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Joachim Lottmann: Der Überlebenskünstler
Im Juli verkündete Popliteratur-Urgestein Joachim Lottmann, er blicke dem Tod entgegen – was zum Glück nur die halbe Wahrheit war
Der Paukenschlag kam unvermittelt. Nichts hatte einen auf die folgenden Zeilen vorbereitet, die am 8. Juli dieses Jahres auf Facebook zu lesen waren: »Eine Phrase besagt, jeder habe den Tod, den er verdient habe, eine andere, jeder stürbe so, wie er lebte, eine dritte, äh, habe ich vergessen. Die zweite Phrase könnte schon zutreffen. Seitdem ich die furchterregende, jede Hoffnung tötende Krebsdiagnose habe, also in der widrigsten aller nur möglichen Situationen bin, schießt wieder das so vertraute Adrenalin in meinen über jede Neuheit sich freuenden Kopf. Völlig neue Lage! Neue Optionen, neue Chancen, alles verändert sich total, was für ein Glück! Natürlich wird mir das keiner glauben, weswegen ich etwas weiter ausholen muß. Meine vielen Leser sollen nicht glauben müssen, daß mein Leben gut ausging, daß es somit ein gutes Leben gewesen war, sondern sollen es nacherleben können. Sollte ich bei Drucklegung noch immer auf der Erde wandeln, sollen sie nachfühlen, daß sie sich keine Sorgen machen müssen. Der Autor gibt keine Interviews mehr, freut sich aber über jeden erleichterten Leser.«
Rums! Kawumm! Rawums! So schreibt keine Juli Zeh und auch kein Daniel Kehlmann. Diesen Sound – denn Stil würde viel zu behäbig und gesetzt klingen – beherrscht nur einer: Joachim Lottmann. In einer gerechten Welt wären seine Bücher Bestseller. Seine Romane haben das, was der deutschen Literatur bis heute fehlt: Flow, Groove, Swing. »Dampfplauderer« hat ihn der eine oder andere Neider deshalb verächtlich genannt. »Kerosinerzähler« wäre treffender. Hier blickt jemand von oben auf die Verwicklungen und Verkorkstheiten des eigenen Lebens herab. Geschönt wird dabei nichts, zu Schmunzeln, ja, zu Lachen gibt es viel. Lottmanns Coolness besteht darin, dass er die eigene Uncoolness aufs Süffisanteste zur Schau stellt.
Lottmanns Coolness besteht darin, dass er die eigene Uncoolness aufs Süffisanteste zur Schau stellt.
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Andere kultivieren das Image des gedankenverlorenen, weltvergessenen Literaten. Lottmann hingegen will Teil des prallen, wilden Lebens sein. Für Wolfgang Herrndorfs Schreibwut im Angesicht des Todes hat er kein Verständnis: »Besser wäre es gewesen, er wäre in der Zeit vor dem Tumor produktiv und glücklich gewesen, und hätte danach die ihm gegebene Frist genutzt, sich von der Welt und den Menschen zu verabschieden. Immerhin ist es ein Privileg, den Zeitpunkt seines Todes zu kennen.«
Das ist die Lottmann’sche Unverblümtheit, mit der er sich in Künstlerkreisen bereits in den 80er Jahren in die Nesseln setzte. Das ging später so weit, dass Rainald Goetz über ihn urteilte: »Dieser Mensch ist wirklich böse. Finster, zuinnerst, zutiefst und ohne Grund, einfach böse.« Ist er natürlich nicht! Was Goetz möglicherweise irritiert, ist der Umstand, dass Lottmann nicht greifbar ist und unaufhörlich Kapriolen schlägt. So kündigte Letzterer in einer Erklärung an, er werde Texte künftig in limitierter Auflage – vergleichbar einem durchnummerierten Kunstdruck – »für viel Geld« verkaufen.
»Diese neue Schreibweise, an der Öffentlichkeit und jedweder Zensur/Gerichtsbarkeit vorbei, öffnet mir grenzenlose neue Freiheiten«, begründet er seinen Schritt. Was natürlich Kokolores ist! Einer dieser typischen Lottmann’schen Großer-Zampano-Sätze, die sich beim näheren Hinschauen als Soufflé entpuppen. Das ist so absurd, als würde der Papst verkünden, er werde hinfort der Vielweiberei entsagen. Die Zensur hat Lottmann nämlich noch nie bekümmert. Seit jeher hat er private Dinge öffentlich gemacht und dabei weder sich noch andere geschont. Beliebt wird man damit nicht. Dafür unterhält man seine Leser prächtig.
Das tut er auch mit seiner Erzählung »Die Großfreunde«, die er dem Publizisten Holm Friebe widmete und die er unter der Hand vertreibt (mit der Bitte, den entsprechenden Betrag auf sein Konto zu überweisen). Lottmann feiert darin jenen exklusiven Hamburger Zirkel der späten 70er und frühen 80er Jahre, dem unter anderem der Popintellektuelle Diedrich Diederichsen und der Maler Martin Kippenberger angehörten. Es sind nur 19 Seiten (was für einen Mann, der sonst 300-Seiten-Romane schreibt, sehr wenig ist), aber er lässt darin eine untergegangene Welt aufleben, die einem heute fremdartiger vorkommt als ein Eingeborenenstamm fernab der Zivilisation.
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100 Euro kostet dieses Kleinod, verglichen mit seinen 9,95-Euro-Taschenbüchern von früher ein Vermögen. Doch ist der Stoff sein Geld wert. Joachim Lottmann war schon immer der Glückspillen-Dealer unter den Literaten, das emotionale Gegenstück zu Franz Kafka. Aberwitziger als in »Der Geldkomplex« wurde ein Leben unterhalb des Existenzminimums nie beschrieben. Und wenn er »Unter Ärzten«, also Psychiatern, seine seelischen Probleme breitwalzt, gerät selbst seine soziale Phobie zur Farce.
Es wäre also ein Spektakel gewesen, mitzuerleben, welche Funken Lottmann aus einer tödlichen Krankheit schlägt. Nur wird es dazu nicht kommen. Im Oktober gab der Siechende Entwarnung: »Ich werde noch bis Ende November behandelt, danach bin ich definitiv GEHEILT. Schon jetzt fühle ich mich bombe, wie man in Wien sagt.« Da kommt also noch einiges auf uns zu.
Wer Interesse an »Die Großfreunde« hat, möge Joachim Lottmann über Facebook kontaktieren.
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