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Verkehrsminister Wissing: Liberaler ohne Parteibuch
Verkehrsminister verlässt die FDP und wird Doppel-Minister
Am vergangenen Freitag war es eine Gleichzeitigkeit die zu Spekulationen einlud. Nur wenige Stunden bevor das »Scheidungspapier« der Ampel von Christian Lindner bekannt wurde, veröffentlichte die »FAZ« einen Gastbeitrag von Verkehrsminister Volker Wissing mit dem Titel »Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän«. Ein leidenschaftliches Plädoyer für den Verbleib in der Ampel.
In den Medien wurden Spekulationen laut. War Wissings Beitrag abgestimmt, aber inzwischen veraltet? Testete die FDP bewusst unterschiedliche Botschaften? Oder war der Beitrag von Wissing ein Zeichen für Unzufriedenheit mit dem Kurs des liberalen Parteivorsitzenden Christian Lindner? Am Tag nach dem Ende der Ampel-Koalition ist klar, die Standpunkte gingen wirklich auseinander. Als Finanzminister Lindner sich Mittwochabend im Bundestag vor die Kameras stellte und den Koalitionsbruch erklärte, fehlte Wissing im Unterschied zum Rest der FDP-Führungsspitze und den anderen Minister*innen. Noch in der Nacht wurde aus der SPD geäußert, dass man sich über einen Verbleib Wissings in der Koalition freuen würde. Am Donnerstagmorgen erklärte Wissing dann seinen Austritt aus der FDP und den Verbleib im Ministeramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz habe ihn gefragt, ob er im Ministeramt verbleiben wolle, so Wissing in seiner Erklärung. Weil er für die FDP keine Belastung sein wolle, sei er aus der Partei ausgetreten. Einer anderen Partei wolle er nicht beitreten, er vertrete liberale Werte. Inhaltlich argumentiert Wissing ähnlich wie schon in der »FAZ«. Es brauche unterschiedliche Positionen, sonst gebe es keinen Pluralismus. »Aber es muss Kompromissbereitschaft geben, um am Ende immer eine Lösung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu erarbeiten. Das ist für mich der Sinn von Politik«, so der Verkehrsminister. Es seien »schwierige Zeiten«, sagt Wissing und verweist auf den Krieg in der Ukraine und das Ergebnis der US-Wahlen. Zeiten, in denen es wichtig sei, »verantwortungsvoll zu handeln und zu entscheiden«. Wissing übernimmt bis zu den Neuwahlen zusätzlich noch das Justizressort von Marco Buschmann.
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Volker Wissing war schon 2016 bis 2021 Minister der rheinland-pfälzischen Ampel-Regierung. Bei den Liberalen war er einer der entschiedensten Verfechter des Dreierbündnisses. Wirtschaftlich ist der 54-Jährige nicht auf die Politik angewiesen. Seiner Familie gehören ein Weingut und verschiedene Immobilien. Sie gelten als wohlhabend. Wissing selbst kann in seine auf das Patent- und Erbrecht spezialisierte Kanzlei zurückkehren.
Auch beim historischen Vorbild für den Koalitionsbruch, dem Wechsel der FDP 1982 aus der Koalition mit der SPD hin zur CDU Helmut Kohls, gab es bei den Liberalen einen Prominenten, der nicht mitging. Günter Verheugen, damals Generalsekretär der FDP, verließ die Partei. Er wechselte mit anderen Linksliberalen zur SPD. Als Sozialdemokrat saß er bis 1999 im Bundestag und wurde dann Mitglied der EU-Kommission. Als solcher war Verheugen erst für die EU-Erweiterung und dann für Industrie zuständig.
Volker Wissing äußerte sich nicht zu politischen Ambitionen, die seine verbleibende Zeit als Verkehrsminister übertreffen. Erst mal muss er sich neue parlamentarische Staatssekretäre suchen. Die drei FDP-Staatssekretäre Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker haben um ihre Entlassung gebeten. Der »Bild« erklärten sie, sie hätten nach seiner »einsamen Entscheidung« kein Vertrauen mehr in Wissing.
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