Die »großen Drei«

Während sich der Westen ans Öl klammert, ist China zum Vorreiter der Energiewende geworden

Vor allem im Norden und Westen errichtet China gigantische Photovoltaik-Kraftwerke wie dieses in der autonomen Region Xinjiang Uygur.
Vor allem im Norden und Westen errichtet China gigantische Photovoltaik-Kraftwerke wie dieses in der autonomen Region Xinjiang Uygur.

Zu den beliebtesten Argumenten europäischer Konservativer gehört der Hinweis, dass man es mit der Klimapolitik nicht übertreiben solle, weil andere Länder viel mehr Treibhausgase produzierten als die EU. Die politische Absicht dahinter ist leicht zu durchschauen: Die Gewinne der fossilistischen Industrien sollen vor politischen Beschränkungen geschützt werden. Doch gleichzeitig zeigt sich auch immer deutlicher, dass der Kampf gegen den Klimawandel nicht in den alten Industriestaaten, sondern der VR China entschieden wird.

China als Treiber des Klimawandels

Die Zahlen der Emissions Database for Global Atmospheric Research (EDGAR) sprechen eine eindeutige Sprache. Trotz regelmäßiger Absichtserklärungen aus Politik und Wirtschaft sind die globalen Emissionen seit den ersten Weltklimakonferenzen Ende der 80er Jahre schneller gewachsen als die Weltbevölkerung, nämlich von 22,7 Gigatonnen (Gt) im Jahr 1990 auf 39 Gt 2023. Der rasante Anstieg geht vor allem auf das Konto der industriellen Entwicklung in China. Während der jährliche CO2-Ausstoß der EU-Staaten (nicht zuletzt aufgrund der Abwanderung von Schwerindustrien in den Globalen Süden) zwischen 1990 und 2023 von 3,8 auf 2,5 Gt gefallen ist und selbst die Emissionen der USA leicht zurückgingen, haben sich die Emissionen der Volksrepublik im selben Zeitraum von 2,4 auf 13,3 Gt mehr als verfünffacht. Selbst bei den Pro-Kopf-Emissionen hat das bevölkerungsreiche China mit 8,2 Tonnen CO2-Äquivalenten jährlich die EU (mit 6,3 Tonnen) mittlerweile überholt.

Der Trend fällt etwas uneindeutiger aus, wenn globale Handelsbeziehungen und historischer Verlauf berücksichtigt werden. So sind die chinesischen Emissionen um etwa ein Zehntel niedriger (und die deutschen um 15 bis 20 Prozent) höher, wenn sie nicht nach Herstellungs-, sondern nach Konsumort erfasst werden. Ein beträchtlicher Teil der in China produzierten Konsumgüter wird nämlich an westliche Industriestaaten geliefert und müsste daher eigentlich deren Emissionsbilanz zugeschlagen werden. Zudem ist die Verantwortung der westlichen Industriestaaten auch historisch zu betrachten: Seit Beginn der Industrialisierung 1850 haben die USA etwa 420 Gigatonnen, die EU-Staaten 293 Gt und China 256 Gt CO2-Äquivalente verursacht, obwohl die Bevölkerung Chinas fast doppelt so groß ist wie die von USA und EU zusammengerechnet.

UN-Klimakonferenz COP 29

Wie weiter bei der globalen Klimapolitik? Darüber beraten über 200 Staaten vom 11. bis 22. November in Baku.

Die »neuen Drei«

Die Führung in Peking zeigt sich allerdings zuversichtlich, dass es in China schon bald zu einer Trendwende kommen könnte. In den chinesischen Staatsmedien wird in diesem Zusammenhang häufig auf eine Rede von Generalsekretär Xi Jinping im vergangenen Jahr verwiesen, in der er die Entwicklung »der neuen Produktivkräfte« als zentrales Ziel der Wirtschaftspolitik ausgab. Im Mittelpunkt der technologischen Offensive stehen die sogenannten »neuen Drei«: erneuerbare Energien, Batterieproduktion und E-Autos, mit denen China bis 2060 klimaneutral werden will.

Tatsächlich hat die chinesische Energiewende eine beeindruckende Dynamik entwickelt. Das Umweltmagazin »Yale Environment 360« rechnete vor einigen Wochen vor, dass die Volksrepublik mittlerweile über 80 Prozent der globalen Produktionskapazitäten für Solar-Panels verfügt und mit 200 Gigawatt Leistung allein im letzten Jahr mehr Solaranlagen neu installierte, als die USA (179 Gigawatt) und die EU (170 Gigawatt) insgesamt besitzen. Auch der Ausbau der Windkraft verläuft rasant: Mit 80 Gigawatt Leistung hat China im vergangenen Jahr mehr als viermal so viel Windenergiekapazität neu aufgebaut wie die Europäische Union.

Mit 200 Gigawatt Leistung hat China allein im vergangenen Jahr mehr Solaranlagen installiert, als die USA (179 Gigawatt) oder die EU (170 Gigawatt) insgesamt besitzen.

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Vorangetrieben wird dieser Boom von den staatlichen Energiekonzernen – was auf einen strukturellen Vorteil staatlich gelenkter Ökonomien bei Transformationsvorhaben verweist. Noch bedeutender allerdings sind die globalen Effekte von Chinas Politik. Wie eine Analyse des finnischen Klima-Thinktanks Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) zeigt, sind die Preise für Solar-Panels durch die chinesische Massenfertigung zuletzt um 42 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen. Batterien sind sogar um 50 Prozent preiswerter geworden. Damit steigen die Anreize weltweit, aus fossilen Energien auszusteigen.

Erneuerbare als Wachstumstreiber

Ähnlich rasant verläuft die Entwicklung im Automobilsektor. Unter den knapp 25 Millionen Autos, die vergangenes Jahr in China neu zugelassen wurden, waren acht Millionen E-Autos; dieses Jahr, so heißt es, würden in dem ostasiatischen Land erstmals mehr Elektrofahrzeuge als Verbrenner verkauft. Weil auch hier die Preise purzeln, dürften sich die chinesischen Pkw vor allem im Globalen Süden als konkurrenzlos erweisen. Zahlen der Internationalen Energieagentur zufolge lag der Anteil Chinas am globalen Absatz für E-Autos 2022 bei 60 Prozent – Tendenz steigend. Dabei kristallisiert sich vor allem der Mischkonzern BYD, der neben Fahrzeugen auch Akkumulatoren, Smartphones und Batteriespeicher herstellt, als neuer Weltmarktführer heraus. Im dritten Quartal 2024 überholte BYD mit einem Umsatz von umgerechnet 26 Milliarden Euro auch erstmals den Konkurrenten Tesla von US-Unternehmer Elon Musk.

Illusionen wegen dieser Transformation sollte man indes nicht hegen. Die Hoffnung, dass sich in China so etwas wie eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise herausbilden könnte, ist unbegründet. Der Boom von E-Autos, Batterien und erneuerbaren Energien sorgt vor allem in den globalen Bergbauregionen für neue Umweltkrisen, und wegen des wachsenden Energiebedarfs setzt China auch weiterhin massiv auf fossile Stromerzeugung. So werden im Moment noch 60 Prozent des chinesischen Stroms mit Kohle produziert.

Dennoch sorgt die Dynamik der chinesischen »neuen Drei« bei internationalen Analysten für Erstaunen. Lauri Myllyvirtav und Qi Qin vom bereits erwähnten Umwelt-Thinktank CREA kommen in ihrer viel beachteten Studie zu dem Schluss, dass der Sektor aus Batterieproduktion, E-Autos und erneuerbaren Energien die kriselnde Baubranche als Treiber der chinesischen Wirtschaft abgelöst hat. Mit 890 Milliarden US-Dollar investierte die Volksrepublik 2023 genauso viel in »saubere Energien«, wie weltweit in die Erschließung fossiler Energiequellen floss. Zudem gingen 40 Prozent des chinesischen Wirtschaftswachstums auf Investitionen in die »neuen Drei« zurück.

Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze gibt sich bei der Bewertung der Zahlen etwas zurückhaltender. Auch er hält es für bemerkenswert, dass »China die erste große Wirtschaft ist, in der die Investitionen in saubere Energien zum wichtigsten Investitions- und Wachstumstreiber geworden sind«. Doch Tooze benennt auch zwei große Probleme: Zum einen sind in China gewaltige Produktionskapazitäten entstanden, für die es möglicherweise keine ausreichende Nachfrage auf den Weltmärkten gibt. Zum anderen ist die Bedeutung der alten Schwerindustrien für die chinesische Gesamtwirtschaft nach wie vor enorm. Tooze schlussfolgert: »Wenn die Energiewende in China nicht auch die industriellen Kernbereiche erfasst, wird sie das Umweltproblem nicht entscheidend lindern können.«

Geopolitischer Konflikt

Doch für Peking gibt es gute Gründe, am eingeschlagenen Weg festzuhalten. Der eine ist innen- und umweltpolitischer Natur: Die Luftverschmutzung war in den meisten chinesischen Großstädten in den vergangenen Jahrzehnten so groß, dass ein ökonomischer Strukturwandel auch aus gesundheitspolitischen Gründen geboten war.

Noch gewichtiger allerdings ist der geopolitische Aspekt: Im Westen produzieren selbst verhaltene Reformen des fossilistischen Modells enorme Widerstände. Vor allem in den USA liegen die Gründe hierfür auf der Hand: Die Ölkonzerne und der Export von Fracking-Öl stellen wichtige Pfeiler der US-Ökonomie dar, die globale Militärpräsenz Washingtons ist um Ölförderregionen herum organisiert. Eine Energiewende müsste vom Staat gegen die Interessen mächtiger Kapitalfraktionen durchgesetzt werden und würde die geopolitische Ordnung, von der die USA massiv profitieren, auf den Kopf stellen.

Für China hingegen eröffnet die Energiewende enorme Chancen. In den dünn besiedelten Regionen im Norden und Westen der Volksrepublik stehen riesige, landwirtschaftlich kaum nutzbare Flächen für Solar- und Windkraftanlagen zur Verfügung. Gleichzeitig besitzen die meisten Staaten des Globalen Südens großes Interesse daran, ihre Abhängigkeit von Rohstoffimporten zu reduzieren. Mit Auslandsinvestitionen in die Energiewende könnte China den eigenen Industrien globale Absatzmärkte eröffnen und die Vormachtstellung des Westens weiter unterminieren.

Der Kampf gegen den Klimawandel hat das Zeug, zu einem geopolitischen Konflikt zu werden. Chinas Interesse an einer »grünen« Transformation dürfte dabei deutlich größer sein als das des Westens, dessen Vormachtstellung mit der fossilistischen Produktionsweise verbunden ist.

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