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Abschiebewahn ignoriert immer öfter Schutzzonen
Behörden brechen Kirchenasyl und forschen Frauenhäuser aus
In einer zunehmend migrationsfeindlichen gesellschaftlichen Stimmungslage sehen sich Geflüchtete immer öfter Angst, Verunsicherung und Verzweiflung ausgesetzt. Deshalb beschäftigt sich auch die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) auf ihrer am Sonntag beginnenden Synode in Würzburg mit dem Thema.
In Neumünster hatte dazu am Freitag der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein zu einem »Fachtag Kirchenasyl« geladen. Man bekäme ein Klima zu spüren, das rauher wird, berichtete Dietlind Jochims, Flüchtlings- und Menschenrechtsbeauftragte der Nordkirche, die Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern umfasst. Das bestätigt auch Fanny Dethloff, die Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Segeberg/Plön. »Machen wir uns nichts vor: Die Zahl der Abschiebungen wird steigen und damit unsere Herausforderungen. Dabei stoßen auch wir an unsere Grenzen«. Sie erhalte täglich bis zu fünf Anfragen zum Kirchenasyl, während Personal und Ressourcen immer knapper würden, sagte Dethloff auf der Tagung.
Umso mehr gelte es, zusammenzurücken und einen Schwerpunkt auf Vernetzungsarbeit zu legen, so der Tenor der Neumünsteraner Tagung, die unter anderem darüber diskutierte, wann eine stille Diplomatie in Bedrängnis geratenen Geflüchteten mehr Erfolgsaussichten bietet und wann Öffentlichkeitsarbeit wirkungsvoller ist.
Kirchenasyl meint die vorübergehende Aufnahme von Geflüchteten durch eine Kirchengemeinde, um eine als bedrohlich angesehene Abschiebung abzuwenden. Es ist oft ein letzter Versuch, um Zeit für eine erneute Überprüfung des Asylgesuchs zu gewinnen und humanitäre Härten zu vermeiden. 2023 gab es laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 2065 Fälle von Kirchenasyl, so viele wie nie zuvor.
Bislang blieben kirchliche Räumlichkeiten, psychiatrische Einrichtungen, Krankenhäuser oder Frauenhäuser anonyme Schutzzonen, die zur Durchsetzung staatlicher Restriktion gegen Geflüchtete weitgehend unangetastet. Doch auch dieses Tabu gerät im Zuge des politischen Rechtsrucks ins Wanken. In den letzten Monaten kam es vermehrt zu Polizeieinsätzen in Kirchen, um Geflüchtete abzuschieben.
Entsprechend groß war der Aufschrei unter flüchtlingssolidarischen Gruppen und Organisationen über den Bruch des Kirchenasyls am vergangenen 30. September, als ein 29-jähriger Afghane aus der Heilig-Elisabeth-Pfarrgemeinde in Hamburg-Bergedorf abgeführt und nach Schweden abgeschoben wurde. Dort hatte der an einer psychischen Erkrankung leidende Mann bereits einmal einen Asylantrag gestellt, der aber negativ beschieden wurde.
Trotz seiner Erkrankung wurde der Mann in Schweden in die Obdachlosigkeit entlassen. Er reiste zurück nach Deutschland, stellte erneut einen Antrag auf Asyl und wurde daraufhin in Gewahrsam genommen und in den von Hamburg gemeinsam mit Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern betriebenen Auslieferungsknast verbracht. Kirchliche Initiativen protestieren gegen das Vorgehen und pochen auf eine humanitäre Lösung. Es ist Hamburgs erster Fall eines Kirchenasylbruchs seit Mitte der 80er Jahre.
Kürzlich vollzog der rot-grün regierte Stadtstaat in Hamburg einen nächsten Tabubruch – für Beobachter ein Wink für die am 2. März anstehende Bürgerschaftswahl in der Hansestadt. Getroffen hat es eine 28-jährige Türkin, die mit ihren sechs und acht Jahre alten Kindern Unterschlupf vor ihrem gewalttätigen Ex-Partner in einem Hamburger Frauenhaus gefunden hat. Routinemäßig wollte sie ihre Aufenthaltspapiere in der Hamburger Ausländerbehörde verlängern, wurde dort aber mit ihren Kindern in Gewahrsam genommen und nach Österreich abgeschoben, nicht ohne sie vorher unter Druck zu setzen, das Frauenhaus, das ihr Obdach gewährte, preiszugeben.
Das BAMF hatte den Asylantrag der 28-Jährigen zuvor abgelehnt und ihre Rückführung nach Österreich angeordnet, dem in der EU nach Dublin-Übereinkommen für ihr Asylgesuch zuständigen Land. Dort läuft sie nun Gefahr, wieder auf ihren Ex-Partner zu treffen. Solch eine Abschiebung aus dem Frauenhaus hat es in Hamburg bislang noch nicht gegeben.
Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, spricht von einer »nächsten Eskalationsstufe des rot-grünen Senats«, der einen gewaltigen Aufwand betreibe, um ausgerechnet die verletzlichsten Menschen abzuschieben. Katherine Braun, Referentin für Flucht, Migration und Menschenrechte in der Nordkirche, sieht die aktuelle Abschiebung als Fingerzeig für einen administrativ sich gerade wandelnden Umgang gegenüber der Personengruppe geflüchteter Menschen. Für Braun, die auf der Tagung in Neumünster über den Abschiebefall berichtete, sei die Kirche als Institution gut beraten, vor dem deutlich wahrnehmbaren Gegenwind in der Frage von Flucht und Migration nicht einzuknicken.
Das Treffen in Neumünster fand an historischem Ort statt: Die Kirche der Anschargemeinde war am 12. September 1991 für 45 Tage Schauplatz von Deutschlands bis heute längster Kirchenbesetzung. Eine knapp 90-köpfige Gruppe von Geflüchteten verließ damals mit Unterstützung aus linksalternativen Kreisen und unter Vermittlung der nordelbischen Kirche ihre eigentlich in Greifswald zugeteilte Gemeinschaftsunterkunft, weil sie sich dort nicht sicher und ungerecht behandelt fühlten.
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