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Arbeitsverbot für UNRWA: »Die Auswirkungen wären gravierend«

Johannes Gunesch vom UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge erläutert die Folgen des angestrebten Arbeitsverbots für die Menschen in Palästina

  • Interview: Katja Hermann
  • Lesedauer: 6 Min.
Ohne das Hilfswerk UNRWA würde wohl die medizinische Notversorgung und Nahrungsmittelhilfe für einen Großteil der Bevölkerung im Gazastreifen zum Erliegen kommen.
Ohne das Hilfswerk UNRWA würde wohl die medizinische Notversorgung und Nahrungsmittelhilfe für einen Großteil der Bevölkerung im Gazastreifen zum Erliegen kommen.

Das israelische Parlament hat Ende Oktober beschlossen, dem Hilfswerk UNRWA die Arbeit vor Ort zu untersagen. Zudem wird den israelischen Behörden der Kontakt zu der Organisation verboten. Wie werden sich die Maßnahmen auf die Situation der Menschen in Palästina auswirken?

Wenn die Gesetze in Kraft treten, wären die Auswirkungen gravierend – vor allem für die Menschen im Gazastreifen. Ohne UNRWA würde die medizinische Notversorgung und Nahrungsmittelhilfe für den Großteil der Bevölkerung zum Erliegen kommen. Dabei steht der Winter gerade erst bevor. Und 660 000 Kinder würden die einzige Einrichtung verlieren, die in der Lage ist, das allgemeine Schulwesen wieder aufzunehmen. Auch im besetzten Westjordanland inklusive Ostjerusalem würden grundlegende Sozial-, Gesundheits- und Bildungsdienste zusammenbrechen. Davon wären fast 50 000 Schüler*innen betroffen.

Ihr Hilfswerk setzt ein Mandat der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1949 um. Wie kommt es, dass die israelische Regierung trotzdem ein Arbeitsverbot verhängen kann?

UNRWA hat ein Mandat von der Generalversammlung der Vereinten Nationen, also von den Mitgliedern der Vereinten Nationen, zu denen auch Israel gehört. Seither hat Israel die Arbeit des Hilfswerks zwar nicht gerade gelobt, war sich aber stets ihres humanitären Beitrags zugunsten der Stabilität in der gesamten Region bewusst. Schließlich hat es auch Aufgaben übernommen, die nach humanitärem Völkerrecht eigentlich die Verpflichtungen Israels als Besatzungsmacht wären.

Interview

Ende Oktober hat das israelische Parlament zwei Gesetze verabschiedet, die dem UN-Hilfswerk UNRWA die Arbeit vor Ort verbieten. Außerdem untersagen sie israelischen Behörden den Kontakt zur UNRWA. Damit ist ein Tiefpunkt in dem ohnehin schwierigen Verhältnis zwischen Israel und dem UN-Hilfswerk und darüber hinaus den Vereinten Nationen insgesamt erreicht. Mitten im Gaza-Krieg wird mit dem Verbot der zentralen Hilfsorganisation die Versorgungslage im Gazastreifen weiter eskaliert. Mit Johannes Gunesch, der Ansprechperson des UNRWA in Berlin, sprach Katja Hermann. Sie ist Referentin der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Westasien.

Was bedeutet es künftig für das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Israel und den Vereinten Nationen, wenn es eine ihrer Unterorganisationen aus dem Land wirft?

Das Arbeits- und Kontaktverbot würde es unmöglich machen, das so dringend benötigte gegenseitige Vertrauen aufzubauen oder überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen. Die Gesetze richten sich nicht nur gegen das Hilfswerk, sondern gegen das gesamte multilaterale System. Sie widersprechen der UN-Charta und verletzen die Verpflichtungen des Staates Israel nach internationalem Recht. Das betont auch das vorläufige Urteil des Internationalen Gerichtshofes zur Verhinderung des Völkermordes im Gazastreifen. Auch nationale Gesetzgebung entbindet von dieser Verpflichtung nicht.

Ihr Hilfswerk ist den israelischen Regierungen schon lange ein Dorn im Auge. Viele Jahre wurden vor allem angeblich antisemitische Darstellungen in den Schulbüchern der UNRWA kritisiert. Was war dran an den Vorwürfen, und inwieweit wurden sie von der Organisation aufgearbeitet?

Wir wissen um die Kritik und nehmen sie sehr ernst. Was die Schulbücher anbelangt, ist zunächst wichtig zu betonen, dass es keine UNRWA-Schulbücher sind, sondern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah. Das ist eine anerkannte Praxis in der Flüchtlingsbildung, um die Anerkennung der Abschlüsse und die Kontinuität im Schulsystem zu gewährleisten. UNRWA überprüft alle Schulseiten, ob sie mit den UN-Werten, Prinzipien und Positionen übereinstimmen und altersgerecht sowie gendersensibel sind. Dabei gibt es auch einige wenige diskriminierende oder gewaltverherrlichende Elemente. Einzelne Seiten werden weggelassen und übersprungen, wenn es nicht anders geht. Da sie aber nicht einfach herausgerissen werden können, arbeitet die UNRWA zusammen mit der PA an der Einführung neuer Bücher.

UNRWA ist inmitten von Kriegs- und Konfliktgebieten aktiv. Was tut Sie, um zu gewährleisten, dass Ihre Hilfe nicht zweckentfremdet oder umgeleitet wird?

Wir sind ein direkter Hilfs- und Dienstleister, der seine Leistungen selbst durchführt und die Umsetzung kontrolliert. Dabei sind wir verpflichtet, die grundlegenden Prinzipien und Werte der Vereinten Nationen aufrechtzuerhalten, einschließlich des humanitären Neutralitätsprinzips. Was das Hilfswerk alles tut, um dieses Prinzip in all seinen Operationen und Einsatzgebieten einzuhalten, hat der Colonna-Report untersucht. Die unabhängige Prüfkommission unter Leitung der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna kam dabei zu dem Ergebnis, dass UNRWA über »robuste« Mechanismen und über »einen weiter entwickelten Ansatz zur Neutralität« verfügt als andere UN-Agenturen oder NGOs. Weil UNRWA in einem komplexen, stark gespaltenen und emotional aufgeladenen Kontext operiert, bedeutet null Toleranz gegenüber Hassreden, Diskriminierung und Gewalt jedoch nicht null Risiko. Es gibt daher Bedarf, die bestehenden Mechanismen zu stärken und auszubauen. Dafür hat der Colonna-Bericht 50 Empfehlungen gemacht, die in acht Bereiche aufgeteilt sind wie interne Aufsicht, Neutralität des Personals oder Schulbildung. UNRWA hat sich zur Umsetzung dieser Empfehlungen verpflichtet.

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Die Verstrickung einiger Mitarbeiter in die Angriffe der Hamas am 7. Oktober 2023 auf israelische Zivilist*innen hat erneut Kritik an dem Hilfswerk hervorgerufen. Eine Untersuchung hat ergeben, dass neun der insgesamt rund 30 000 Mitarbeitenden an dem Massaker beteiligt waren. Inwieweit trägt dieser Sachverhalt zu den Verboten bei?

UNRWA hat die furchtbaren Terrorattacken des 7. Oktober immer aufs Schärfste verurteilt und die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln und ihre sichere Rückkehr zu ihren Familien gefordert. UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte zudem Anfang 2024 das höchste Untersuchungsorgan der Vereinten Nationen damit beauftragt, sich mit dem Vorwurf zu befassen, dass 19 UNRWA-Mitarbeitende an den Terrorangriffen beteiligt gewesen sein sollen. In einem Fall konnten keine Beweise für die Vorwürfe gefunden werden, dieser Mitarbeiter ist wieder eingestellt worden. In neun Fällen reichten die vorgelegten Beweise nicht aus, um eine Beteiligung nachzuweisen. In den übrigen neun Fällen könnten die Beweise darauf hinweisen, dass die betreffenden Mitarbeiter am 7. Oktober beteiligt waren. Diesen Mitarbeitenden ist unmittelbar und fristlos gekündigt worden.

Unsere Priorität besteht darin, lebensrettende Dienste für Palästina-Flüchtlinge im Gazastreifen und unseren anderen Einsatzgebieten fortzusetzen, insbesondere angesichts des anhaltenden Krieges, der Instabilität und der regionalen Eskalation. Das Hilfswerk zu diskreditieren und seine Rolle zu delegitimieren zielt auch darauf ab, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen und ihr Streben nach einer gerechten und dauerhaften Lösung des Nahost-Konflikts zu beenden.

In Israel scheint es bereits Pläne zu geben, wie UNRWA zukünftig durch andere Hilfsorganisationen ersetzt werden könnte. Für wie realistisch halten Sie diese Pläne?

Wir wissen nicht, wie konkret und ausgereift diese Pläne sind. Aber wir wissen, wie lebenswichtig es ist, dass ausreichend humanitäre Hilfe in den Gazastreifen kommt – das aktuelle Ausmaß aber bei Weitem nicht ausreicht. Das hat auch der internationale Gerichtshof bestätigt und dabei die Verpflichtungen des Staates Israel betont. Ebenso wissen wir von allen im Gazastreifen tätigen UN-Organisationen und NGOs, dass sie auf UNRWA und seine Infrastruktur vor Ort angewiesen sind.

Deutschland zählt zu den größten Gebern des UNRWA. Was erwarten Sie von der Bundesregierung, sollte Israel an dem Verbot festhalten?

Wir ersuchen die Bundesregierung wie alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen dazu beizutragen, dass UNRWA sein Mandat weiter ausfüllen kann. Da die gerade verabschiedeten Gesetze es unmöglich machen würden, das zu tun, muss nun verhindert werden, dass sie in Kraft treten. Darauf hinzuarbeiten, ist ein Rennen gegen die Zeit.

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