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Grüne nach links ruckeln
Krönungszeremonie für Habeck mit Kurskorrektur
Das Jahr 2024 lief für die Grünen nicht gut. Bei den Europawahlen im Juni hat sich die Partei beinahe halbiert. Die Wahlen in Ostdeutschland gerieten zum Desaster. In Thüringen und Brandenburg flog die Partei aus dem Landtag. Dann trat auch noch der Bundesvorstand, nach nicht mal einem Jahr im Amt, geschlossen zurück. Auch beim Bruch der Ampel-Koalition machten die Grünen keinen guten Eindruck. Sie wirkten wie ein Zaungast, der den Konflikt zwischen SPD und FDP zwar beobachtet, aber nicht ganz so wichtig findet.
Trotzdem versprüht die Partei jetzt Aufbruchstimmung. Wer die neue Führung bilden soll, ist entschieden, und Robert Habeck möchte eine »Kanzler-Era« einläuten. Dafür hat er sich ein Armband gemacht, wie es Taylor-Swift-Fans tragen, und ist auf Elon Musks Social-Media-Plattform »X« zurückgekehrt. In einem Video kündigte Habeck an, die Küchentische der Republik besuchen zu wollen, um zu erfahren, wie seine Politik als Kanzler aussehen soll. Die 50. Bundesdelegiertenkonferenz, so heißen Parteitage bei den Grünen, am Wochenende in Wiesbaden soll Habecks Krönungszeremonie werden. Erst soll die Partei eine neue Spitze bekommen, dann soll es am Sonntag eine Abstimmung über die Kandidatur von Habeck geben. Ein herausragendes Ergebnis ist zu erwarten.
Doch so einig sind sich die Grünen nicht. Am Kurs der Parteiführung gibt es Kritik. Linke Grüne wollen zurück zu den Grundüberzeugungen ihrer Partei. Einer von ihnen ist Philipp Schmagold aus Kiel. Beim Parteitag im vergangenen Jahr kandidierte er schon gegen Omid Nouripour um den Parteivorsitz. Sein Ergebnis: immerhin zwölf Prozent. Diesmal tritt Schmagold nicht alleine an. Es gibt eine Sammelbewerbung von sechs linken Basisgrünen für den Parteivorstand. Die Kandidaturen sind auch eine Reaktion darauf, wie Franziska Brantner und Felix Banaszak als künftiges Führungsduo präsentiert wurden. »Es ist bemerkenswert, dass wenige Tage nach dem Rücktritt des alten Bundesvorstandes die beiden zukünftigen Sprecher*innen scheinbar schon feststanden und vom eigentlichen Entscheidungsgremium, dem Bundesparteitag, nur noch abgenickt werden sollen«, erklärt Schmagold gegenüber »nd«. Für seine Mitbewerber und sich reklamiert er die Trennung von Amt und Mandat. Und er hofft, die Delegierten dazu zu bewegen, »nicht erneut ausschließlich auf Bundestagsabgeordnete bei der Führung unserer Partei zu setzen«.
Schmagold und die anderen Alternativkandidat*innen zum Establishment kritisieren, dass bei den Grünen viel falsch läuft. Inhaltlich wie auch strukturell. Ist die Partei nicht genauso eine bürgerliche Partei wie andere? Schmagold widerspricht: »Wir Grünen haben unseren Fokus nicht verloren und setzen im Gegensatz zur politischen Konkurrenz auf die lebenswichtigen Themen.« Er nennt das Artensterben, klimabedingte Katastrophen und die Verhinderung des Rückbaus der Sozialsysteme als Beispiele. Dort müsse man aktiv werden, damit »die Feinde der Demokratie« davon nicht profitieren. Schmagold hofft, bei der Wahl für den Parteivorstand besser abzuschneiden als vor einem Jahr. Für Basisdemokratie im Parteivorstand.
Dass Schmagold und seine Mitstreiter*innen mehr als Achtungserfolge erringen werden, ist unwahrscheinlich. Aber dass es insgesamt 15 Kandidaturen für die sechs Vorstandsplätze gibt, sorgt in der Partei schon für leichte Unruhe. Inhaltlich muss sich die Partei auf eine Nachschärfung ihrer Linie einrichten. Delegierte und Mitgliedschaft stehen ein Stück links der Parteiführung. Vor dem Parteitag konnte abgestimmt werden, welche inhaltlichen Anträge unbedingt besprochen werden sollen. Auf den obersten Plätzen landeten Anträge für eine Finanzpolitik, die »die Großen nicht laufen lässt«. Ein Antrag zum Klimageld und ein weiterer, der ein Tempolimit und den Ausbau des ÖPNV fordert.
Ein Dringlichkeitsantrag mit dem Titel »Verantwortung in dieser Zeit«, der nach dem Koalitionsbruch von den Spitzen aus Partei, Fraktion und Regierung eingereicht wurde, wurde bis Donnerstagmittag um 48 Änderungsanträge ergänzt. Die meisten dieser Anträge schärfen das ursprüngliche Papier, das sehr auf eine Positionierung in der politischen Mitte bedacht ist. So heißt es dort etwa, dass die Partei sich »konsequent gegen Ausgrenzung und Diskriminierung stellt und für ein modernes Einwanderungsland steht«. Ein Antrag fordert die Aussage um den Satz zu ergänzen: »Wir kämpfen weiterhin für das individuelle Recht auf Asyl, sichere Fluchtwege und die Garantie der Menschenrechte und -würde für alle.«
Einige inhaltliche Zugeständnisse wird die Führung der Grünen ihren Delegierten am Wochenende in Wiesbaden wohl machen müssen. Großer Streit ist allerdings nicht zu erwarten. Interessant könnte eine Debatte zum AfD-Verbot werden. Mit dem Vorschlag, erstmal ein Gutachten einzuholen, bevor im Bundestag ein Verbotsantrag eingebracht wird, sorgten einige Abgeordnete kürzlich auch intern für Unmut. Insgesamt wird bei der Bundesdelegiertenkonferenz aber wohl nichts dem großen Höhepunkt am Sonntag entgegenstehen: der Einleitung von Robert Habecks »Kanzler-Era«. Zu viele Schrammen darf der grüne Küchentisch dafür am Wochenende nicht bekommen.
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