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Spekulation am Hafenplatz: »Da müssen schon mal Kanonen donnern«
Am Kreuzberger Hafenplatz sollte der Bezirk einen Treuhänder einsetzen, meint Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins
Wie schätzen Sie die Perspektive der Mieter*innen am Hafenplatz ein?
Die Mieter*innen leiden doppelt: Sie leben mit dramatischen Mängeln und müssen dennoch besorgt sein, dass es sich mietrechtlich nicht lohnt, dagegen anzukämpfen. Drohender Abriss, Umbau und ständig neue Mängel verunsichern sie. Doch genau auf diesen Zermürbungseffekt scheinen die Eigentümer zu spekulieren. Daher ermuntern wir die Mieterschaft, sich durch Klagen auf Instandsetzung sowie konsequente Mietminderungen zu wehren. Eine weitere Strategie wäre es, einen Mieterrat zu wählen – auch wenn so ein Gremium bislang nur für landeseigene Wohnungsbaugesellschaften vorgesehen ist.
Klagen einzelner Mieter*innen würden am grundsätzlichen Problem, dass hier eine Immobilie systematisch verkommt, nur wenig ändern. Hier wären doch die Aufsichtsbehörden gefordert.
Sebastian Bartels ist Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, der mit über 190 000 Mitgliedern größten Mieterorganisation in Berlin. Zuvor war er als Rechtsanwalt für Arbeits- und Mietrecht tätig. Interview: Günter Piening
Ja, das Mietrecht ist zwar bei kollektiver Anwendung ein scharfes Schwert, muss aber bei einer so hartnäckigen Vermieterin wie dieser hier durch das Wohnungsaufsichtsrecht unterstützt werden. Hier bedarf es weit mehr als nur Warnschüsse – da müssen schon mal Kanonen donnern. Sprich: Auflagen genügen nicht, die Bezirksämter sollten auch mal Treuhänder einsetzen, um die Immobilie wieder ordentlich zu bewirtschaften und auf der Grundlage des geltenden Mietrechts zu vermieten.
Der Bezirk hat aber bisher keinen Anlass gesehen, wohnungs- oder baurechtlich durchgreifende Auflagen zu machen. Können Sie das nachvollziehen?
Nein, daher werden wir mit dem Bezirksamt und der eingesetzten Mieterberatungsgesellschaft Kontakt aufnehmen und klären, woran das liegt und wie von der Wohnungsaufsicht noch mehr Druck aufgebaut werden kann. Es heißt oft in solchen Fällen zu Recht, dass Mieter*innen die Mängel und Missstände der Behörde umfassend melden sollen. Aus den Akten wird ja hervorgehen, inwieweit das Beweismaterial ausreicht, um harte Maßnahmen zu verhängen. Leider herrscht in Bezirksämtern oft die Ansicht vor, dass man nichts weiter tun könne, wenn der Vermieter auf wiederholten, sanften Druck hin bestimmte Mängel beseitigt. Wir denken, dass diese Salamitaktik nicht nachhaltig ist und geahndet werden muss.
Rechtlich gäbe es auch das Instrument der Ersatzvornahme oder das der Treuhänderschaft. Ist das in Berlin überhaupt schon mal genutzt worden? Warum nicht?
Die Bezirke sind zu vorsichtig und daher fehlt es an Erfahrungen. Im Übrigen scheint Personal zu fehlen, da solche Verfahren extrem zeitaufwendig sind. Der Senat unterstützt zwar neuerdings einige Pilotprojekte, diese aber kommen angesichts der Wild-West-Kulisse auf dem Wohnungsmarkt viel zu spät. Die Instrumente im Wohnungsaufsichts- und Zweckentfremdungsrecht gibt es schließlich schon seit vielen Jahren. Wir brauchen endlich berlinweit Erfahrungen und Urteile des Verwaltungsgerichts. Nur durch Urteile können die Bezirksämter wissen, was künftig zu beachten ist. Vermutlich hängt das Gericht den Eigentumsschutz aus Artikel 14 Grundgesetz nicht höher als die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Sicher können die Bezirke auch selbst die Mängel beseitigen lassen und die Kosten dem Eigentümer auferlegen. Doch dieses Verfahren ist aus unserer Sicht nicht so effektiv wie die Einsetzung von Treuhändern. Denn die Ersatzvornahme gibt dem Bezirk keine Verfügungsgewalt über das Haus – der Bezirk wird quasi zum Handwerker des Vermieters. Effektiver ist es, diesem sein Spielzeug für einige Zeit wegzunehmen.
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Zeigt das Drama um den Hafenplatz nicht die generellen Probleme der Wohnungsaufsicht in Berlin?
Ja. Wir sehen eindeutig den Senat in der Pflicht, die Wohnungsaufsicht zu stärken und Problemimmobilien wie am Hafenplatz besser in den Griff zu bekommen. Der Senat muss noch mehr Geld in die Hand nehmen und den Bezirken mit Personal, Expertise und Steuerungsrunden zur Seite stehen – am besten in Form eines Landeswohnungsamtes oder einer Stabsstelle. Außerdem braucht Berlin ein Gesetz über die ordnungsgemäße Wohnungsbewirtschaftung. Darin könnten noch viel weitreichendere Maßnahmen als im Wohnungsaufsichtsgesetz geregelt werden – zum Beispiel Instandsetzungsrücklagen und die Wahl von Mieterbeiräten in Wohnhäusern, die von privaten Eigentümern bewirtschaftet werden. Die Koalition hat sich die Wohnungsaufsicht auf die Fahne geschrieben – nun müssen endlich mehr Taten folgen.
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