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Grüne: Die Drehtür steht nie still
Die Partei ist entgegen ihrem Ruf wirtschaftsnah – vor allem wenn sie regieren
Manche rechte Landwirte sehen Grünen-Politiker zumindest symbolisch gerne hängen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände kürte vor einigen Jahren den Hardliner Rainer Dulger zum Präsidenten, um, wie die »Welt« schrieb, die »Wirtschaft gegen die grünen Ideen zu verteidigen«. Und der Verband der Familienunternehmer warf zur Europawahl der Partei tiefes Misstrauen gegen Unternehmertum und dirigistische Politik vor: »Die Wirtschaft gilt ihnen als Problem, keinesfalls als möglicher Quell technologischer Lösungen gegen den Klimawandel«, hieß es in einem Positionspapier.
Das Kompliment der Unternehmensfeindlichkeit verdient sich Bündnis 90/Die Grünen allerdings schon lange nicht mehr, besonders, wenn es um Realpolitik in Amt und Würden geht. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist gern gesehener Gast bei den mächtigen Autokonzernen im Ländle mit ihren zehntausenden Beschäftigten. Bundesweit sprechen Parteivertreter regelmäßig bei Veranstaltungen von Unternehmensverbänden.
Und auch Grüne nehmen gerne die Drehtür, wenn sie von der Politik genug haben und richtig Kohle machen wollen. So wechselte Andrea Fischer, Gesundheitsministerin unter Gerhard Schröder, zur Pharma-PR-Agentur Pleon. Annalena Baerbocks Büroleiter Titus Rebhann wurde vergangenes Jahr Chef der RWE-Konzernrepräsentanz in der Hauptstadt. Kerstin Andreae, langjährige Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionschefin, ist seit November 2019 sogar Hauptgeschäftsführerin des einflussreichen Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.
In der Ampel-Regierung hat sich die Unternehmensklientel der Grünen weiter vergrößert.
Vor allem für Energiejobs sind Grünen-Politiker prädestiniert. Zwar gehört der Kampf gegen Atomkraft zur Gründungsgeschichte, doch spätestens in der rot-grünen Koalition mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz von Umweltminister Jürgen Trittin – dieses wurde zum Türöffner für den Wind- und Solarenergieausbau – bandelte man mit Teilen der Wirtschaft an. Und schnell nicht mehr nur mit alternativ strukturierten, rebellischen Kleinunternehmen wie den Elektrizitätswerken Schönau. Die Energiewende mutierte zum Milliardenmarkt, neben großen Finanzfirmen mischen längst auch die einst verhassten »Atomkonzerne« mit. Bei den kapitalträchtigen Offshore-Windparks vor deutschen Küsten sind Eon, RWE, EnBW und Vattenfall dick im Geschäft, auch Ölmultis wie BP und Total. Eine ehemalige Siemens-Tochter gehört zu den größten Windkraftanlagenbauern der Welt.
Die Verbände im Bereich der Erneuerbaren finden in den Grünen Fürsprecher. Der Einsatz für die Energiewende ist eines der wenigen Themen, welche die Partei konstant verfolgt. Selbst der Verband der wichtigsten deutschen Industriebranche, des Maschinen- und Anlagenbaus, fühlt sich bei den Grünen gut aufgehoben. Zumal sie die Kritik von Gewerkschaftern, dass die häufig im Osten angesiedelten Firmen der Branche mit Tarifverträgen und guter Bezahlung fremdeln, meist mit Schweigen quittieren.
Umwelttechnologien, welche die Partei traditionell stärken will, sind aber ein viel weiteres Feld, das in den Dienstleistungsbereich und ins Handwerk hineinreicht. Dazu gehören auch Abfallbeseitigung und Abwasserreinigung, Gewässer-, Boden-, Lärm- und Strahlenschutz, Verfahren zur Minderung der Luftverschmutzung oder zur Erfassung und Überwachung von Umweltschäden.
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Waren die Grünen früher Interessenvertreter einer überschaubaren Gruppe von Unternehmen, hat sich dies spätestens mit dem gesetzlichen Ziel der Klimaneutralität geändert. Diese wird zur Querschnittsaufgabe der gesamten Wirtschaft. Minister Robert Habeck lässt sich bei Thyssen-Krupp gerne den Umbau zur klimaneutralen Stahlproduktion zeigen. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen man die Autokonzerne mit Forderungen nach fünf D-Mark für den Liter Benzin verärgerte. Es gibt eine Nähe zu allen Unternehmen, die die eigene Klimatransformation vorantreiben wollen. Im Vorstand der parteinahen »Wirtschaftsvereinigung der Grünen« sitzt ein Lobbyist von Post/DHL, zu den wichtigsten Fördermitgliedern gehören das Recyclingunternehmen Alba und die Telekom. Das dehnbare Ziel der Vereinigung ist es, »Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit« zu verbinden.
In der Ampel-Regierung hat sich die Klientel noch weiter vergrößert. So setzt man die wenig umweltverträgliche Chipindustrie mit den Umweltbranchen gleich. Milliardensubventionen für Intel & Co. waren im Klima- und Transformationsfonds des Wirtschaftsministeriums vorgesehen. Gleichzeitig sieht man dem Sterben der Solarenergie in Ostdeutschland, verursacht durch Dumpingkonkurrenz in China, tatenlos zu.
Hinzu kommt, dass die Grünen in der Ampel-Zeit wieder einstige Grundsatzpositionen über den Haufen warfen, trotz gewissen Grummelns an der Basis. War man lange Kritiker von Waffenexporten, speziell in Krisengebiete, befürwortet man diese in der Zeitenwende des Ukraine-Kriegs. Zur Freude der Rüstungsfirmen. Abschlüsse von Gaslieferverträgen mit Autokratien sind ebenfalls kein Problem mehr. Bei der Bankenrettung in der Finanzkrise noch passiver Handheber, war man bei der Rettung und Verstaatlichung des Gaskonzerns Uniper Ende 2022 zentraler Akteur. Überhaupt freut sich die fossile Gasbranche, dass Wasserstoff im künftigen Energiesystem eine weit größere Rolle spielen soll, als Experten dies für sinnvoll halten. Die Grünen sind hier einer der Treiber – die frühere Klientel hatte sich hingegen mehr Unterstützung für den Ausbau der Erneuerbaren versprochen.
Kompromiss zum Zwecke des Machterhalts gehört eben zu grüner Realpolitik. Bandelt man in der Oppositionszeit mit auch wirtschaftskritischen Protestbewegungen an, hat man in der Ampel nur noch auf grünen Kapitalismus gesetzt, teils ohne das Adjektiv. Aktuell sieht Kanzlerkandidat Robert Habeck den Klimaschutz eher als Anhängsel der Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit – mit Blick auf ein mögliches Regierungsbündnis mit der Union. Und wenn das nichts wird, steht immer noch die Drehtür offen.
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