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Im Schwimmerbecken der Literaten
Hauptquartier der Bohème in Berlin: Das Romanische Café der Zwanzigerjahre in einem prächtigen Bildband und in einer Ausstellung
Nach Berlin kam man schon vor 100 Jahren mit der Absicht, berühmt zu werden. Und ins Romanische Café ging man, um dazuzugehören und seine Bedeutung anerkannt zu sehen. Berlin war in den 1920er Jahren ein Eldorado der Avantgarde und sein Mittelpunkt dieses legendäre Café im Neuen Westen zwischen Kurfürstendamm, Tauentzien, Budapester Straße und Zoo. Seinen Namen hat es vom Romanischen Viertel, einem Bauensemble im neoromanischen Stil mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Zentrum.
Nach nur 14-monatiger Bauzeit eröffnet am 1. April 1901 das Romanische Café im Romanischen Haus II und wird fortan zum Anziehungspunkt der Künstler und Literaten – gerade solcher, die nie viel Geld hatten. Mitten in der Inflation notiert der junge Bertolt Brecht 1923: »Wenn ich im Romanischen Café auftauche, werden sie an vielen Tischen gell[en]. Aber ich kann nicht leben. Ich fahr nicht Auto und besuch nicht Spielhöllen. Ich kann mit meinen Einnahmen meinen Lebensunterhalt nicht mehr bezahlen.«
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Der Kaffeehausbetrieb geht die ganze Nacht. Der größte Raum mit dem Jugendstilmobiliar trägt den Spitznamen »Nichtschwimmerbecken« für die, die noch nicht ganz dazugehören (es aber gern wollen); die Konditorei ist wegen der prominenten Gäste als »Schwimmerbecken« bekannt. Am meisten bevölkert ist stets die Café-Terrasse mit dem Ausblick auf den Trubel der Metropole, quirlig und aufregend.
In nächster Nähe finden sich die modernen Kinopaläste, und so zieht es auch zahlreiche Schauspieler hierher. Der Operettenstar Fritzi Massary etwa trifft mit dem Song »Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben« das Lebensgefühl der Zeit. Hier beginnt auch die Affäre von Else Lasker-Schüler mit Gottfried Benn. Und neben ihnen sieht man die berühmten Gesichter der Stammgäste: Irmgard Keun und Erich Kästner, Mascha Kaléko und Egon Erwin Kisch, Valeska Gert und Wolfgang Koeppen, Elisabeth Bergner und Albert Einstein, Ruth Landshoff, Joachim Ringelnatz oder Leni Riefenstahl.
Sie alle verkehren im Café zu ihren speziellen Zeiten. Literaten und bildende Künstler sorgen für das glamouröse Flair, das immer wieder auch in Zeichnungen und Collagen festgehalten wird. Maler wie Christian Schad (»Sonja«) oder der unbekanntere Ulrich Neujahr – von ihm stammt das Titelbild des Buches – überliefern mit ihren Arbeiten die unnachahmliche Atmosphäre des Kaffeehauses. Walter Benjamin gibt ihm den treffenden Namen »Hauptquartier der Bohème«. Ein Jahrhundert ist das nun schon her, und doch ist seine Aura noch heute unvergessen.
Das alles und vieles mehr bietet der prachtvoll ausgestattete Band »Das Romanische Café im Berlin der 1920er Jahre« vom Verlag für Berlin und Brandenburg, der mit Texten und Illustrationen der Zeit das einzigartige Genrebild eines historischen Künstlertreffs präsentiert. Es ist der Band zu einer Ausstellung über das Café, die noch bis Ende Januar im Berliner Europa-Center zu sehen ist.
»Es war für Hunderte von uns in den zwanziger Jahren ›Pumpstation‹, Salon, Auskunftsbüro, Diskutierklub, Lesesaal, Büro und Panoptikum zugleich«, schreibt der Journalist und Zeitzeuge Hans Tasiemka in seinen Erinnerungen. Wenn einem von ihnen das Geld ausgegangen ist, findet er im Romanischen Café noch immer eine Tasse Kaffee, ein paar aufbauende Gespräche und gratis die neuesten Zeitungen des Landes. Ein Team von Autoren um die Herausgeberin Katja Baumeister-Frenzel – zugleich Kuratorin der Ausstellung – hat ganze Arbeit geleistet.
In einer rasanten Chronik vom Ende des 19. Jahrhunderts über die Weimarer Republik und die Nazizeit bis hin zur Kriegszerstörung des Bauensembles um die Gedächtniskirche im August 1943 zeigen die Autoren, wie und warum das Romanische Café (nachdem das Café des Westens, der ursprüngliche Treffpunkt, 1921 schließen musste) ein solcher Magnet werden konnte. Er strahlte weit über Berlin aus und hat als Synonym für die moderne deutsche Literatur und Kunst Geltung erlangt.
Das musste den neuen Machthabern ein Dorn im Auge sein, und so beginnt 1933 die Vertreibung der meisten Stammgäste durch die Nazis. Unter ihnen ein Urgestein wie John Höxter, Maler, Dichter und Morphinist, zudem homosexuell und jüdischer Abstammung. Er verliert mit dem Café den Boden unter den Füßen und nimmt sich 1938 das Leben. So endet bald darauf eine Ära.
Katja Baumeister-Frenzel (Hg.): Das Romanische Café im Berlin der 1920er Jahre. VBB, 196 S., geb., zahlr. Abb., 25 €; Ausstellung bis 31.1. im Europa-Center, Tauentzienstraße 9, Berlin.
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