Herrmann Zschoche: Die Kraft der Träume

Der Defa-Regisseur und Buchautor Herrmann Zschoche wird 90

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Herrmann Zschoche hörte nicht auf, ein nach Ausdruck suchender Romantiker zu bleiben.
Herrmann Zschoche hörte nicht auf, ein nach Ausdruck suchender Romantiker zu bleiben.

Herrmann Zschoche ist der Romantiker unter den Defa-Regisseuren. Was ihn nie daran hinderte, mit hartem Blick den oft traumlosen Alltag in der DDR zu schildern. Er bestand darauf, dem Alltag eine Poesie zu geben, die diesen erst lebenswert machte.

So bereits in seinem ersten Filmerfolg von 1964 nach dem Kinderbuch von Benno Pludra »Lütt Matten und die weiße Muschel«, einer Vater-Sohn-Geschichte am Meer. Lütt Matten fühlt sich vom Vater, der niemals Zeit für ihn hat, unverstanden, träumt von der »Weißen Muschel«. Deren Verwandtschaft zur »Blauen Blume« der Sehnsucht aus Novalis’ »Heinrich von Ofterdingen« ist unübersehbar. Dem Traum folgen, ihn nie verraten – das ist die Botschaft in all seinen Filmen, von denen mindestens ein Dutzend zum bleibenden Bildgedächtnis der Ostdeutschen gehören.

Er fand wichtige Mitstreiter, so die Drehbuchautoren Benno Pludra, Ulrich Plenzdorf oder Christa Kożik. Und natürlich Schauspieler wie Jutta Hoffmann (mit der er verheiratet war) und Ulrich Mühe, aber auch Laien, die er sich selbst spielen ließ.

Geboren wurde Herrmann Zschoche 1934 in Dresden. Er ist also ein Kind des Krieges, das sich um seine Kindheit betrogen sah. Darum machte er später so gern Filme für Kinder und Jugendliche, weil er sie bei ihren Lebensanfänger-Abenteuern begleiten wollte. Und ihnen Werte dabei vermittelte, die nichts mit dem falschen Heldentum des Krieges und auch nichts mit dem ideologischen Dogmatismus der Funktionäre in der DDR zu tun hatten. So geriet er mit seinem wunderbaren Film »Karla« 1965 hinein ins Kesseltreiben des XI. Plenums des ZK der SED gegen die Künstler. Sein Film gehörte zu den zwölf von vierzehn verbotenen der Defa-Jahresproduktion. Ein Kahlschlag, den Erich Honecker, der damals federführend war, zu verantworten hatte und von dem sich die DDR nie mehr erholte. Für viele war jetzt schon der Traum vom Sozialismus ausgeträumt.

In »Karla«, nach dem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf, ist Jutta Hoffmann eine junge Lehrerin, die frisch von der Universität an eine Schule kommt. Sie will, dass die Schüler nicht nachbeten, was man ihnen vorsetzt, sondern selber denken. Sie trifft den enttäuschten Journalisten Kaspar (Jürgen Hentsch), der geradezu ein Aussteigerleben führt. Zu ihm fühlt sich Karla hingezogen, was man ihr übel auslegen wird. Keine Lügen mehr, ist ihr Anspruch, der zum Anlass wird, nicht nur die junge Lehrerin im Film kaltzustellen (aber da wird sie nur versetzt), sondern dieses so wichtige Werk zu verbieten. Erst 1990 konnte »Karla« uraufgeführt werden.

Das war die bittere Realität des Zensursystems in der DDR. Und dennoch machte Zschoche immer neue Filme, von denen die meisten große Publikumserfolge wurden. Nach einem Buch von Benno Pludra »Die Insel der Schwäne« (1983), wieder ein Plädoyer für die Kraft der Träume. Bereits fünf Jahre zuvor kam »Sieben Sommersprossen« ins Kino, der über eine Million Zuschauer fand. Karoline (Kareen Schröter) ist vierzehn, Robert (Harald Rathmann) fünfzehn. Sie wohnten mal im gleichen Haus und treffen sich nun im Ferienlager. Und da entwickelt sich zwischen ihnen etwas, das sie selbst irritiert und worauf die Erwachsenen befremdet reagieren. Erste Liebe in einer feindlichen Umgebung!

Der Kunstgriff dieses Films, zu dem Christa Kożik das Drehbuch schrieb, besteht darin, dass im Ferienlager »Romeo und Julia« einstudiert wird, womit man bei der benachbarten LPG auftreten will. Auch das gehörte zu DDR: die Kunst dem Proletariat, auch den Bauern zu bringen, ob sie das wollten oder nicht. Natürlich sind Robert und Karoline im Laienspiel des Ferienlagers die Hauptfiguren Romeo und Julia. Und sie nehmen das Schicksal der beiden Liebenden, die bei Shakespeare statt der erfüllten Liebe den Tod finden, sehr ernst. Zum Nebeneffekt von »Sieben Sommersprossen« wurde dann auch (neben einigen recht unschuldigen Nacktszenen), dass viele der jungen Zuschauer sicherlich erstmals bemerkten, was dieser Shakespeare doch für ein großartiger Autor ist. Der kannte sie und ihre Nöte offenbar genau, obwohl er bereits Ende des 16. Jahrhunderts geboren wurde. 1980 folgte »Und nächstes Jahr am Balaton«, ein Roadmovie mit zwei Jugendlichen, die erstmals allein auf sich gestellt sind, Entscheidungen allein treffen müssen. Ich habe diese Filme damals alle gesehen und sie gemocht, weil in ihnen immer etwas Freigeistiges mitschwang.

Dieser Regisseur, so hatte ich den Eindruck, steht immer auf der Seite seiner Akteure, die zumeist zu Lebensentdeckern werden und dafür Beistand brauchen. Bloße Erziehungsobjekte sind sie nie. Darum geht es dann in »Bürgschaft für ein Jahr« von 1981, mit Katrin Sass als Nina Kern. Die junge Frau ist geschieden und hat drei Kinder. Sie arbeitet als Putzhilfe, aber zieht häufig durch die Kneipen, trinkt zu viel und vernachlässigt ihre Kinder. Die kommen deshalb ins Kinderheim – eine herbe Poesie der Verhältnisse. Nina werden zwei Bürgen zur Seite gestellt. Sie soll endlich lernen, Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Aber das gelingt nur halb – ein Happy End gibt es nicht.

Der für mich schönste – und wichtigste – Film von Herrmann Zschoche ist »Hälfte des Lebens« von 1985 (wieder nach einem Buch von Christa Kożik) über Hölderlin und Susette Gontard. Der junge Dichter als Haushofmeister und die Bankiersgattin. Auch dies eine unmögliche Liebe, aber diesmal auch sehr stark mit dem Fokus auf deutsche Verhältnisse. Eine Sternstunde für den jungen Ulrich Mühe an der Seite von Jenny Gröllmann (die gleich nach Drehschluss heirateten). Hölderlin, den »Hyperion« im Sinn, flieht im Geiste zu Diotima und notiert über die Deutschen mit bitteren Worten: »Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen ...« Die Unmenschlichkeit der Verhältnisse und das Leiden des Einzelnen daran – dies rückt für Zschoche immer mehr ins Zentrum.

Ende der 80er Jahre wird auch in Zschoches Filmen der Ton rauer. In »Die Alleinseglerin« (nach dem Buch von Christine Wolter) von 1987 gibt er einer Laiin die Hauptrolle: Christina Powileit, Schlagzeugerin der Frauenband Mona Lise. Wolters feinsinnige Geschichte vom Segelboot als Metapher für ererbte Verantwortung auf der einen und Freiheit der eigenen Entscheidung auf der anderen Seite bekommt im Film etwas geradezu Punkig-Rustikales. Vielleicht ist »Die Alleinseglerin« nicht Zschoches stärkster Film, aber ein Fingerzeig, dass die Geduld mit den bleiernen Verhältnissen in der Endzeit der DDR auch bei ihm erschöpft war.

In die Wendezeit 1989 fällt dann die Fortsetzung von »Sieben Sommersprossen«. Da heiratet das Liebespaar von einst viel zu früh, wird von der Last des Alltags überfordert und steht am Ende ratlos da. Wo sind sie hin, die »Weiße Muschel« oder die »Blaue Blume«, jene Sehnsuchtsbilder, denen Zschoche – trotz aller Widerstände – auch im Alltag beharrlich folgte? Der poetische Funke droht immer aufs Neue verloren zu gehen, er erlischt geradezu unter der Last des Alltags.

Nach der Wende drehte Zschoche noch einige Serien fürs Fernsehen und beendete dann diesen Abschnitt seines Lebens. Aber er hörte darum nicht auf, ein nach Ausdruck suchender Romantiker zu bleiben, schrieb zahlreiche Bücher über Künstler und Dichter, gleich mehrere zu Caspar David Friedrich. Wie schön, dass da einer sich treu geblieben ist!

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