»Ein ganz zauberhaftes Jahr«

Aurelia Hölzer verbrachte ein Jahr auf der Forschungsstation »Neumayer III« in der Antarktis

  • Interview: Jutta Blume
  • Lesedauer: 6 Min.
Polarforschung – »Ein ganz zauberhaftes Jahr«

Vermissen Sie manchmal die Antarktis?

Ich vermisse das Eis immer und mein Team eigentlich auch, obwohl ich es hier auch sehr schön finde.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in der südlichen Polarregion zu überwintern?

Ich wollte schon immer nach Spitzbergen, in den hohen Norden, seit ich Kind bin, aber nie wollte jemand mit. Nachdem ich einige Jahre als Oberärztin an der Uniklinik in Dresden wahnsinnig viel gearbeitet hatte, hatte ich ein Sabbatjahr geplant. Aber kurz vorher ging meine Beziehung in die Brüche und damit alle Pläne. Und dann habe ich mich drauf besonnen, was ich schon immer machen wollte und bin nach Alaska gegangen, im Sommer. Allein. Im Winter war ich noch in Norwegen, aber das war alles noch nicht genug. Bei einer Google-Suche ploppte eben die Antarktis auf. Ich habe mich informiert über die Forschungsarbeit des Alfred-Wegener-Instituts und war total begeistert.

Wie lange verbringt man bei einer Überwinterung auf der Forschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts und wie viel Zeit davon nur noch in der kleinen Gruppe?

Man ist ein Jahr lang dort. Im Sommer, wenn die Antarktis für ungefähr vier Monate zugänglich ist, sind ungefähr 50 Leute auf der Station. Da laufen ganz viele unterschiedliche Forschungsprojekte und auch Bau- und Wartungsarbeiten. Ungefähr Ende Februar fliegen fast alle ab und übrig bleibt das Überwinterungsteam aus normalerweise neun Leuten. Also vier Wissenschaftler, drei aus der Technik, ein Koch und ein Arzt. Und die halten den Rest des Jahres die Stellung, betreiben die Langzeitobservatorien und halten die Station von technischer Seite am Laufen. Sieben Monate lang kann niemand evakuiert werden, auch nicht, wenn jemand schwer verletzt ist oder wenn jemand durchdreht.

Sie waren dort als Ärztin, das heißt für alles, was irgendwie medizinisch anfällt. Und zusätzlich waren Sie noch Stationsleiterin ...

Genau. Also nicht in wissenschaftlicher und technischer Hinsicht. Aber einer hat den Hut auf in der Verantwortung. Hinzu kommen noch kleine Aufgaben wie Brandschutz, Wasserhygiene und Geländesicherheit und ich habe Studien zur Weltraummedizin für die Nasa und die Uni München betreut. Es ist ein bunter Strauß. Man hat als Arzt ja glücklicherweise nicht genug zu tun. Und natürlich musste ich das ganze Krankenhaus ständig warten und pflegen. Das ist auch viel Arbeit, die hier in Deutschland ja immer andere machen.

Interview

Aurelia Hölzer, geboren 1978, studierte Medizin und spezialisierte sich später auf Gefäßchirurgie. Im Jahr 2022 überwinterte sie auf der Forschungsstation »Neumayer III« in der Antarktis. Ein Dreivierteljahr später verbrachte sie noch einmal vier Monate in der Antarktis, diesmal auf der »Kohnen-Station« im Inlandeis. Heute arbeitet sie wieder als Ärztin an einer Klinik. Über ihre Überwinterungserfahrung hat Aurelia Hölzer ein Buch geschrieben:
Polarschimmer. Malik, 320 Seiten, Hardcover, 22 €.

Was waren die herausforderndsten Situationen vor Ort?

Bei aller Begeisterung ist das Ankommen auch ein Schock, weil die Antarktis so eine ganz krasse fremde Atmosphäre hat. Die hat mich irgendwie überfordert, obwohl ich es wunderschön fand. Und dann weiß man gar nicht, wie zieht man sich an, wie bewegt man sich? Wo kann ich hinlaufen, ohne in eine Spalte zu fallen? Was gehört sich sozial in dieser Station? Im Winter stürmt es dann häufig bis zur Orkanstärke. Also man muss sich vorstellen, ein Auto fährt 120 oder schneller und man steht auf dem Dach. Ansonsten war es eigentlich ein sehr weiches, harmonisches und ganz zauberhaftes Jahr.

Sie betonen in Ihrem Buch, wie wichtig das Team ist. Worauf muss man achten, wenn man in einer kleinen Gruppe so aufeinander angewiesen ist?

Ich kann zumindest sagen, was für uns gut funktioniert hat. Es kann sein, dass eine andere Gruppe eine ganz andere Dynamik hat. Aus meiner Erfahrung würde ich sagen: milde sein. Die anderen sein lassen, wie sie sind und nicht umerziehen. Wenn wir unsere Fähigkeiten, unsere Charaktereigenschaften zusammenschmeißen, dann wird es richtig gut. Ich hätte nicht mit neun Aurelias überwintern wollen. Die Vielfalt macht es, aber auch das Verständnis dafür, dass Leute wirklich ganz anders sind. Und wichtig ist natürlich: sich unterstützen, schöne Sachen machen, Spaß haben, genießen, staunen, über die Stränge schlagen, Quatsch machen und auch mal feiern. Frohsinn und gemeinsame Aktionen sind ganz wichtig.

Wie war das Leben ganz ohne Geld und Supermärkte?

Ich hatte gedacht, dass es sich ganz sensationell anfühlt, ohne Geld zu leben. Aber es war, als hätten wir das schon immer gemacht. Man hat Geld wirklich vergessen. Wir hatten, was wir hatten und was aus war, war aus. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Also im Gegenteil, es macht sogar Spaß, weil man wirklich die letzte Karotte feiert, in die man schon Knoten machen kann, weil sie so gummiartig ist. Man hat wahnsinnig viel Spielräume, auch ohne Geld und auch ohne einkaufen zu können.

Wie viele Monate haben Sie in völliger Dunkelheit verbracht?

Die Polarnacht dauert zwei Monate und ist eigentlich die schönste Zeit im Jahr. Mittags in der Dämmerung wird die ganze Welt bunt, knallpink und orange. Die Dunkelheit hat ja dort auch nichts Gefährliches. Es gibt keine Tiere, keine Bösewichte, keine Kriege, keine Viren, keine Autobahnunfälle. Es gibt Eis und Licht und Wind und viele Pinguine und neun Menschen, die sich, wenn es gut läuft, wohlgesonnen sind.

Lassen sich in der Antarktis schon konkrete Auswirkungen der Klimaerwärmung spüren?

Die Observatorien, die wir dort betreiben, sind auf lange Zeitskalen ausgelegt. Da findet man jetzt nicht unbedingt in einem Jahr was Neues, sondern es geht darum, zu gucken, was nur kurzfristige Schwankungen und was langfristige Veränderungen sind. Und an Neumayer selber sind die Temperaturen aufgrund der örtlichen Luftströmungen relativ stabil. Aber es gibt weite Teile in der Arktis, wo der Klimawandel längst angekommen ist. In der Westantarktis und auf der Antarktischen Halbinsel schmelzen riesige Gebiete ab. Und am Ende unseres Jahres im zweiten Sommer, da hat die Meereisbedeckung ein Rekordminimum gezeigt.

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Wie war es für Sie, nach dem Jahr wieder in Ihr altes Leben zurückzukehren?

Das ist eine extreme Umstellung. Von der Weltraumforschung weiß man auch, dass es eigentlich drei Momente gibt in der Überwinterung, in denen der Körper viele Stresshormone ausschüttet. Das sind die Ankunft, die Polarnacht und die Rückkehr. Es ist natürlich wunderbar, die Lieben wiederzusehen, die Familie, auch wieder in den Wald zu gehen und Pflanzen zu sehen. Aber unsere zivilisierte Welt hat so eine Dichte und Hektik und Angespanntheit. Die kann man nicht gut aushalten, wenn man gerade überwintert hat. Mich hat am vierten Tag hier Corona erwischt. Da lag ich erst mal im Nest und es war gar nicht so verkehrt, weil ich mich in Ruhe sortieren konnte. Es hat Monate gedauert, bis ich mich wieder wirklich anpassen konnte.

Sie haben ein sehr begeisterndes Buch geschrieben, aber ist es eigentlich gut, die Menschen für die Antarktis zu begeistern? Es sollen ja am Ende möglichst wenig Menschen dorthin fahren.

Ich bin natürlich nicht für Tourismus in der Antarktis. Auch nicht dann, wenn es mich selber ausgrenzt mit meiner Sehnsucht, noch mal dorthin zu kommen. Es ist einfach ein wahnsinnig fragiles Ökosystem. Die Absicht des Buches ist es, Leute, die nicht überwintern können, die aber ein Interesse dafür haben, einfach durch meine Erlebnisse dorthin mitzunehmen. Die können sozusagen trittbrettfahren in meinem Kopf und meine Empfindungen, mein Staunen und auch die Überforderungsmomente miterleben.

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