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Im Reich der Taliban-Zensur
Die islamistischen Machthaber in Afghanistan verschärfen sukzessive ihre Einschränkungen des Aussprechbaren
»Ich kann nicht frei sprechen, geschweige denn frei berichten. Mittlerweile zensiere ich mich selbst«, sagt Mohammad Zaman per Sprachnachricht auf Whatsapp. Wenige Minuten später löscht er den Nachrichtenverlauf. Die Gefahr, dass das Mobiltelefon des Journalisten plötzlich an einem Taliban-Checkpoint kontrolliert wird, sei zu groß. Zaman ist Anfang 40 und Journalist. Jahrelang berichtete er für zahlreiche lokale und internationale Medien aus dem Südosten Afghanistans. Heute ist die Arbeit deutlich schwieriger.
Afghanische Journalisten werden von den extremistischen Machthabern bedrängt, zensiert und bedroht. »Die Zensur ist streng. Man muss sich immer mit dem Informationsministerium der Taliban abstimmen. Wer das nicht tut, bekommt Probleme«, erzählt Zaman. Unabhängige Recherchen und Interviews, die in einer freien Medienlandschaft zum Alltag gehören, seien nicht mehr möglich. Wer berichten will, braucht nicht nur eine Akkreditierung der Taliban, sondern muss oft auch deren Narrative übernehmen.
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Schwarze Listen
Doch Zaman und viele andere Journalisten, die weiterhin im Land leben und arbeiten, haben noch andere Probleme. »Ich habe erfahren, dass sie Listen führen. Da steht auch mein Name drauf«, sagt Zaman besorgt. Die Listen der Taliban sollen voll sein mit den Namen jener Journalisten, die einst für westliche Medien tätig gewesen sind. Viele dieser Medien sind bis heute bei den Taliban verhasst. Sie werfen ihnen »Propaganda« vor, die über die Jahre zu einem schlechten Image der Islamisten geführt habe. Auf Feinheiten und Nuancen wird dabei kaum geachtet.
Zaman war für einen großen, international tätigen Sender tätig. Er berichtete meist über die wirtschaftliche Situation im Land und über politische Entwicklungen. In den letzten Monaten widmete er sich zunehmend Naturkatastrophen. Doch selbst da schritt die Medienkontrolle der Taliban ein. »Wir durften nur ihre Todeszahlen benutzen. Wer davon abwich, bekam Probleme«, so Zaman.
Vor drei Jahren zog die Nato unter der Führung des US-Militärs aus Afghanistan ab und überließ das Land abermals den Taliban. Seither sind die militanten Islamisten mit dem Wiederaufbau ihres »Emirats«, das Ende 2001 vom Westen gestürzt wurde, beschäftigt. Entrechtungen jeglicher Art gehören zum Alltag. Besonders gravierend ist etwa das Bildungsverbot für Afghaninnen, denen weder der Besuch von Oberstufenschulen noch von Universitäten gestattet ist.
Doch auch die Presse- und Medienfreiheit leidet extrem in dem Land, das 20 Jahre lang so viele Journalist*innen ausbildete wie noch nie zuvor. Seit der Rückkehr der Taliban haben jedoch zahlreiche Sender geschlossen. Tausende von Journalisten, Nachrichtensprechern oder Moderatoren verließen das Land. Jene, die weiterhin berichten, tun dies meist mit vorgehaltener Kalaschnikow, während afghanische Frauen nahezu vollständig aus dem Medienbetrieb verbannt worden sind. Die wenigen Nachrichtensprecherinnen, die weiter arbeiten, müssen sich an die strengen Kleidungsvorschriften der Taliban halten.
Krieg gegen Bücher
»Es gibt keine Presse- und Meinungsfreiheit mehr in Afghanistan. Das ist die traurige Realität und wir wissen nicht, wann sich das wieder ändern wird«, sagt Jawed Farhad, ein bekannter Publizist, ehemaliger Medienmacher und Universitätsdozent. Einst war Farhad Chef des privaten TV-Senders »Khurshid« und bildete an der Kabuler Universität die Journalist*innen der nächsten Generation aus. Seit August 2021 ist er arbeitslos, unter anderem auch, weil seinem Sender ausländische Gelder gestrichen wurden. Er lebt weiterhin in Kabul und hält sich bedeckt.
Vor zwei Jahren sorgte Farhad für Aufmerksamkeit, als er sich aufgrund seiner prekären Situation gezwungen sah, seine private Buchsammlung zum Verkauf anzubieten. »Damals machte das noch Sinn, doch mittlerweile haben die Taliban ja auch Büchern den Krieg erklärt«, sagt Farhad. Anfang des Jahres beschlagnahmten die Machthaber rund 50 000 Bücher. Betroffen waren hauptsächlich Verlage und Buchhandlungen, hinzu kamen Buchverbote in Universitätsbibliotheken. Sie betrafen die Bücher von religiösen Minderheiten wie Schiiten. Doch auch Werke, die mit salafistischen Strömungen in Verbindung gebracht werden, wurden verbannt und werden mit den verfeindeten Terroristen des »Islamischen Staats« assoziiert.
»Alles, was nicht mit der Taliban-Ideologie konform ist, wird verboten. Bücher über Liberalismus, Sozialismus, Marxismus, Säkularismus und Demokratie werden nicht geduldet. Der gesamte Buchhandel ist stark unter Druck«, erklärt Farhad, dessen eigene Arbeit ebenfalls betroffen ist. Die verantwortlichen Taliban-Ministerien würden regelmäßig intervenieren und Druck auf Autoren und Verleger ausüben. Berichten zufolge werden in den meisten Fällen die Bücher von den Taliban-Zensoren kaum gelesen. Schon der Titel reicht, um als »unislamisch« oder »Unruhe stiftend« zu gelten und auf dem Index zu landen.
Gesichtslose Kunstwerke
Auszüge des Index liegen dem »nd« vor und verdeutlichen das große Ausmaß der Zensur. Eine klare Systematik ist allerdings nicht erkennbar. Bücher über Demokratie und Minderheiten lassen sich finden neben jenen islamistischer Bewegungen, darunter sogar der Taliban selbst. »Die Zensur wird tagtäglich systematischer. Das braucht alles noch Zeit. Je fester sie im Sattel sitzen, umso strenger und repressiver werden sie«, sagt Farhad und erinnert an den Iran nach der Islamischen Revolution im Jahr 1979. Auch damals seien viele Repressalien nicht sofort erkennbar gewesen. Heute sei der iranische Buchmarkt alles andere als divers, obwohl jährlich Tausende Bücher verlegt werden. »Autoren, die die Kernideologie des Regimes hinterfragen, haben keine Chancen«, so Farhad.
»Die Zensur wird tagtäglich systematischer. Das braucht alles noch Zeit. Je fester sie im Sattel sitzen, umso strenger und repressiver werden sie.«
Jawed Farhad
Publizist und ehemaliger Universitätsdozent
Tatsächlich reicht ein einfacher Spaziergang durch Kabul, um Zeuge der orwellianischen Taliban-Zensur zu werden. Zahlreiche Graffitis und Werke lokaler Künstler wurden übermalt und durch steif klingende Taliban-Sprüche ersetzt. Porträts von Königen und anderen historischen Persönlichkeiten wurden gesichtslos gemacht. Der Grund: Wer Lebewesen zeichnet, malt oder in Stein meißelt, versucht laut extrem orthodoxer Auslegung des Taliban-Islam, Gott zu imitieren. Dies war im Übrigen auch in der Vergangenheit einer der Gründe, warum selbst antike und unbezahlbare Kunstwerke wie etwa die Buddha-Statuen von Bamiyan von den Extremisten zerstört worden waren.
Ohne Gesicht sind mittlerweile auch alte Werbeplakate und Mannequins in Modegeschäften. »Selbst die sind nicht sicher vor ihnen«, sagt Sarwar Akbari*, ein Student aus Kabul. Was Zensur, Zwang und Unterdrückung im Afghanistan der Taliban bedeuten, weiß er mittlerweile nur allzu gut. Er, einst kahl rasiert und Jeans tragend, trägt mittlerweile einen langen Vollbart und traditionelle Kleidung, in Kabul meist als »peran tomban« bekannt.
Talibanisierte Stundenpläne
Weder er noch seine Kommilitonen halten sich an diesen Dresscode aus freien Stücken. Es waren die Sittenwächter und die neuen Dozenten des Regimes, die den Campus dominieren und den Studenten ihre Wertvorstellungen regelrecht überstülpten. Dies sei auch am neuen Stundenplan erkennbar.
»Der religiöse Unterricht hat erheblich zugenommen. Wir sind alle Muslime, aber vieles, was die Taliban unterrichten, hat meiner Meinung nach nichts mit dem Islam zu tun. Einer unserer neuen Dozenten stellte den Taliban-Führer de facto mit Gott gleich. Das ist in meinen Augen Ketzerei«, beklagt Akbari. Auch an der Universität gilt: Die neuen Machthaber sehen sich als große Sieger – und schreiben nicht nur Geschichte, sondern auch andere Studienfächer neu.
»Ja, der Alltag ist düster geworden und die Kontrolle ist stets da«, sagt Samira Hamidi*, Lehrerin einer Unterstufe für Mädchen. Auch sie hält sich an die Kleidungsvorschriften der Taliban und trägt dicke, schwarze Stoffe im Hochsommer. Ihren Schülerinnen muss sie unterrichten, was die Taliban ihr vorgeben. »Ich habe keine andere Wahl. Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass unsere Schule von ihnen nicht geschlossen wurde«, sagt sie. Auch in den sozialen Medien müsse man seither Vorsicht walten lassen. Simple Kommentare könnten zu einer Festnahme führen. »Ich habe mein Profil verriegelt (Anmerkung: Diese Funktion gibt es im deutschsprachigen Raum nicht.) und kommuniziere nur noch mit engen Freunden und Verwandten«, sagt Hamidi. Die Gefängnisse seien mittlerweile voll mit Leuten, die aufgrund unliebsamer Meinungen verhaftet wurden.
Jeden kann es treffen
Dass es hier praktisch jeden treffen kann, zeigt ein aktueller Fall. Vor rund fünf Monaten wurde der deutsch-afghanische Aktivist Jama Maqsudi vom Taliban-Geheimdienst in Kabul verhaftet. Maqsudi ist Mitglied der Grünen und lebt seit über 40 Jahren in Deutschland. Seine Kritik am Taliban-Regime äußerte er auf Demonstrationen sowie in den sozialen Medien. Während seiner Haft bemerkte Maqsudi, dass die Taliban über all diese Dinge Bescheid wussten.
In einer ähnlichen Situation fand sich im vergangenen Jahr auch der französisch-afghanische Journalist Murtaza Behboudi wieder. Er war monatelang verschwunden, nachdem ihn die Taliban in der Provinz Bamiyan verhaftet hatten. »Die Situation einheimischer Journalisten und Dissidenten ist noch deutlich schlimmer. Sie haben keinen ausländischen Pass, um das Land zu verlassen«, erklärt Journalist Farukh Abdullah*. Er lebt und arbeitet bis heute in Kabul und ist für internationale Medien tätig. Seit der Rückkehr der Taliban wurden mehrere seiner engen Kollegen verhaftet und gefoltert. »Unsere ganze Whatsapp-Gruppe flog auf«, erinnert sich Abdullah, der seitdem an Verfolgungswahn leidet. »Ich konnte monatelang nicht mehr arbeiten und schlief schlecht«, sagt er. »Stets dachte ich, dass ich der Nächste sei, den sie abholen würden.«
* Diese Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert
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