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Merkel-Bücher: Durchwursteln als Regierungsstil
Drei aufschlussreiche Neuerscheinungen zur Kanzlerschaft von Angela Merkel – eine stringent linke Kritik steht noch aus
Sechzehn Jahre »alternativlose« Politik unter Kanzlerin Angela haben Trümmerlandschaften in Deutschland hinterlassen: marode Brücken hundertfach; die Deutsche Bahn heruntergewirtschaftet; digitale Wüste wie kaum anderswo in Europa; Schulen in beklagenswertem Zustand; rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte im Aufwind, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa … Eine Mehrheit der Deutschen schien diese Friedhofsruhe unter der ersten deutschen Kanzlerin genossen zu haben. War ja so bequem, Probleme nicht wahrnehmen zu müssen.
Martin Heipertz hat eine tiefschürfende Bestandsaufnahme zum »Merkelismus« mit dem Untertitel »Die hohe Kunst der flachen Politik« vorgelegt. Darin bezeichnet er ihr »Durchwursteln« als eine Regierungsform, die zu einer Aushöhlung von Demokratie führe. Unter dem Zeitdruck tagespolitischer Ereignisse kämen »verfassungsmäßige Grundrechte« unter die Räder.
Heipertz ist ein politischer Beamter mit »Treuepflicht«. Unter Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) war er stellvertretender Büroleiter und somit in der Finanzkrise 2010 selbst Akteur. Seine Sprache ist nicht unbedingt eingängig, aber technokratisch. Der Inhalt ist ziemlich kleinteilig und vorrangig beschränkt auf auf eine dichte Chronologie der Griechenland-Krise und Euro-Rettungspolitik seinerzeit. Viele Zahlen, viel Finanzlatein, ein Buch für die Fachwelt. Dennoch enthält Heipertz’ Buch interessante Einblicke hinter die politischen Kulissen. Eine mögliche »politische Union« in Europa oder »zumindest eine Fiskalunion« sei während der Griechenland-Krise beispielsweise vertan worden, eine »einmalige historische Chance«.
Zur »Methode Merkel« habe gehört, Parlamentarier mit einer Fülle von Dokumenten zu überrennen, die kaum zu verstehen, geschweige denn zu verarbeiten waren. »Diejenigen, die sich um die Vitalität der repräsentativen und parlamentarischen Demokratie sorgen, können sich mit Fug und Recht fragen, ob die Merkel-Ära dauerhafte Schäden in unserer politischen Kultur verursacht hat«, schreibt Heipertz. Abwarten und aufschieben und statt die Zukunft lediglich die Stimmung im Volk und den nächsten Wahltermin im Blick zu haben sei Merkels Markenzeichen gewesen. »Eine autoritäre Herrschaftsform ist das durchaus mögliche Ende des Durchwurschtelns«, warnt Heipertz, »aber kein notwendiges. Es liegt an uns.« So lautet am Ende das Urteil eines staats- und regierungstreuen politischen Beamten.
Ansprechender und breiter gefasst in der Analyse ist die Darstellung des FAZ-Redakteurs Eckart Lohse. Er hat dazu mit vielen prominenten politischen Akteuren, vor allem der Unionsparteien, gesprochen. Eine Abrechnung ist dieses Buch, wie der Titel »Die Täuschung« zu versprechen scheint, (leider) nicht. Lohses Kritik aus konservativer Sicht bleibt moderat und damit unter den Möglichkeiten, aber sie ist in angenehm klare Sprache verfasst.
Abwarten und aufschieben und statt die Zukunft lediglich die Stimmung im Volk und den nächsten Wahltermin im Blick zu haben sei Merkels Markenzeichen gewesen.
Lohse konzentriert sich im Wesentlichen auf die abrupte Kehrtwendung Merkels nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 sowie ihre Bewältigung der »Flüchtlingskrise« von 2015. »Obwohl sie es besser weiß«, urteilt Lohse, habe Merkel mit dem Ausstieg aus der Kernkraft nach Fukushima einen Weg eingeschlagen, »den sie für falsch hält. Das ist eine Täuschung der von ihr regierten Menschen.« Doch die Mehrheit der Deutschen habe sich gerne täuschen lassen, um in vermeintlicher Sicherheit sorglos auf dem Sofa zu verharren. Ihr Kurs in der Flüchtlingspolitik habe für die Ausgrenzung rechter CDU-Kräfte gesorgt, was zum Aufstieg der AfD führte. Markus Söder, der zynische Wendehals aus Bayern, brachte einmal das Motiv für Merkels (und seine eigene) Politik kühl auf den Punkt: »Der Wunsch nach progressiver Veränderung wird von den wenigsten Menschen geteilt.«
Lohse konstatiert abschließend: »Angela Merkel hat keine Neigung, kritisch auf ihre Entscheidungen zurückzublicken.« Was ihr voluminöser autobiografischer Rückblick bestätigt, der nun in mehr als 30 Ländern vertrieben werden soll. Die Kritik an ihrem Regierungsstil und ihrer Regierungspolitik wird die Ex-Kanzlerin damit freilich nicht ersticken können – so viel »Freiheit« wird sein. Das Londoner Wirtschaftsmagazin »The Economist« beispielsweise veröffentlichte Ende Oktober eine scharfe Abrechnung mit Merkels »schrecklichem Vermächtnis«. Darin heißt es: »Merkel führte Deutschland wie in einer Scheinwelt und ließ es ein ausgedehntes geopolitisches und wirtschaftliches Nickerchen genießen, aus dem es noch aufwachen muss.«
Als eine »kritische Biografie« versteht auch Klaus-Rüdiger Mai sein Buch, das zeitgleich mit Merkels Memoiren an diesem Dienstag auf den deutschen Buchmarkt kam. Der Sachbuchautor, von dem in diesem Jahr auch eine Biografie über Sahra Wagenknecht erschien, lastet der Ex-Kanzlerin »all die Missstände« an, »mit denen wir heute zu kämpfen haben«. Hierzu listet er ebenso wie die beiden anderen Biografen auf: die desaströse Energiewende, die Abhängigkeit von Russland, die verfehlte Migrationspolitik, den Abbau von Demokratie und Freiheit, die Einschränkung der Bürgerrechte, das Leben von der Substanz ohne Werterhaltung, den Zusammenbruch des Gesundheitswesens, der öffentlichen Sicherheit und der Infrastruktur.
Eine linke Bilanz von Merkels 16-jähriger Regierungszeit steht noch aus. Diese müsste vor allem schonungslos offenlegen, was in den hier angezeigten Büchern fehlt: nämlich die Kritik an der während ihrer Kanzlerschaft erfolgten weiteren Entfesselung eines rabiaten Kapitalismus, der für eine Umverteilung von unten nach oben steht und die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderklaffen ließ.
Martin Heipertz: Merkelismus. Die hohe Kunst der flachen Politik. Westend, 270 S. geb., 26 €.
Eckart Lohse: Die Täuschung. Angela Merkel und ihre Deutschen. dtv, 336 S., br., 25 €.
Klaus-Rüdiger Mai: Angela Merkel. Zwischen Legende und Wirklichkeit. Eine kritische Biografie. Europa-Verlag, 414 S., geb., 26 €.
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