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»Warum muss ich das machen?«
Die innere Freiheit suchen: Angela Merkel stellte in Berlin ihre Autobiografie vor
Alles ist möglich», das sei die Quintessenz ihrer politischen Erfahrungen, meint Angela Merkel. Sogar ihre Autobiografie, die am Dienstag unter dem Titel «Freiheit» erschien. Zeitgleich in 30 Ländern, denn galt sie nicht einmal als mächtigste Frau der Welt? Zur Buchpremiere ließ sie sich von Anne Will befragen, im ausverkauften Deutschen Theater in Berlin. Das war zwei Stunden live im Fernsehen zu sehen, wenn auch nur auf Phoenix.
Im Juli wurde sie 70, nun sei die Zeit, ihre «beiden Leben», wie sie es nennt, zu betrachten: 35 Jahre in einem Staat, den es nicht mehr gibt, und 35 Jahre als bundesdeutsche Politikerin in einem Land, in dem sie 2005 Bundeskanzlerin wurde. Das hatte es vorher noch nicht gegeben. Hätte man ihr Leben als fiktiven Roman einem Verlag angeboten, wäre der wohl abgelehnt worden, mutmaßt sie in ihrem Vorwort, in dem auch ihr «Alles ist möglich»-Satz zu finden ist. Dabei reden doch alle von ihrem «Wir schaffen das»-Diktum. «Für mich jedoch war dieser Satz banal», schreibt sie, er sei schlicht Ausdruck ihrer Haltung, die man auch «Gottvertrauen» nennen könne «oder einfach die Entschlossenheit, Probleme zu lösen».
Er gilt auch für die Gestaltung ihrer Buchvorstellung im DT. Sie fing sehr lahm an, wurde dann sukzessive politisch interessant. Zuerst sah man zwei leere Stühle auf der Bühne, und man hörte Merkel als Toneinspielung, wie sie ihr Vorwort vortrug. Sofort war er wieder da, der schon fast vergessene Merkel-Effekt: eine einschläfernde Ruhe verbreiten, um die Dinge zu kontrollieren. Die Tonart, mit der sie dann Stellen ihres Buchs live vorlas, war noch monotoner, und da sie sie eine Spur zu schnell las, wurde alles noch undeutlicher.
Erst durch die Befragung von Will wurde sie munterer und unterhaltsam. «Ich musste lernen, in den Sitzungen bestimmt zu sprechen und nicht verlegen zu lächeln, wenn ich angegriffen wurde», schreibt sie im Buch über ihren Aufstieg in der Union, die man sich nicht spießig-autoritär genug vorstellen kann. Sich als junge Ministerin für Jugend und Familie im Vorstand von CDU/CSU zum Paragrafen 218 zu äußern, habe ihr 1991 eine Nackenstarre eingetragen, an der sie mehrere Wochen laborierte, erinnert sie sich in «Freiheit». Und als sie als Ministerin im Bundestag vereidigt wurde, empfand sie den Hosenanzug, den sie statt eines Kleides trug, als «Mutprobe».
«Was war das größere Problem auf ihrem Weg ins Kanzleramt», fragte Anne Will im DT, «eine Ostdeutsche oder eine Frau zu sein?» – «Eine Frau», antwortete Merkel, die sich heute auch gern als «Feministin wider Willen» bezeichnen lässt. Die Männer, die sie dabei zur Seite räumte, nannte sie im DT bis auf Kohl und Schäuble schlicht «das mittlere Management der CDU», ohne auf sie näher einzugehen oder sich über sie zu belustigen. Man könne aber in ihrem Buch zwischen den Zeilen lesen, behauptet Merkel.
Dass es überhaupt zustande kam, dafür dankte sie wiederholt ihrer jahrzehntelangen Büroleiterin Beate Baumann, mit der zusammen sie es verfasste. Baumann gilt als die entscheidende Beraterin, die Merkels Tendenz, sich am Rande der Langeweile zu bewegen, auf der Suche nach den «Mehrheiten», wie sie das gerne nennt, zu ihrer Stärke transformierte. Immer normal erscheinen, als entschieden neoliberale Politikerin, um dabei höflich, freundlich und scheinbar unbestimmt rüberzukommen.
«Man weiß, dass es sie gibt, aber Genaues ist nicht bekannt», hieß es 2009 im «Spiegel», Baumann trete nicht öffentlich auf und sei «ein Phantom». Auch im DT war sie hinter der Bühne und hörte den Applaus, wie Anne Will informierte. Meistens sprach Merkel in der Wir-Form, wenn es um das Buch ging, nur sei sie eben «in der Öffentlichkeit» und Baumann nicht. Vielleicht geht es so gelockert-formell zwischen ihnen zu wie an der Supermarktkasse, wenn die eine Kassiererin zur anderen ruft: «Frau Merkel, weißt du, wie teuer das ist?»
Tatsächlich ist Merkel ein PR-Profi, wie es nur wenige gibt. Ihren politischen Aufstieg startete die promovierte Physikerin im Politmarketing der Spätest-DDR: Als Pressesprecherin der Bürgerrechtler-Splitterpartei Demokratischer Aufbruch, die dann zur stellvertretenden Regierungssprecherin der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière wurde, mit dem sie dann auch nach Bonn ging, wo er pro forma Minister «für besondere Aufgaben» war, obwohl diese für die Ex-DDR-Politiker nicht vorgesehen waren.
Als PR-Profi hat Merkel für die DDR ein unbestimmtes Bild eines ungerechten Staates in Grau gewählt. Im Buch nennt sie die dortige Atmosphäre eine «Inkarnation der Geschmackslosigkeit»: «Nur Imitate statt richtiger, natürlicher Materialien, nie freudvolle Farben.» Auf der Bühne betont sie aber, dass die DDR mehr als dieser Staat gewesen sei, geprägt von den Menschen, die im Land wohnten, mit ihren Festen und Freuden. Ein typischer, eine prästabile Normalität anrufender Merkel-Move, verstärkt durch die Behauptung, sie sei 1990 «in die Politik gegangen, weil mich die Menschen interessierten». Nicht ihre «Werte», wie es die Rechten, und auch nicht ihre «wahren Bedürfnisse», wie es die Linken sagen würden, sondern «die Menschen» an sich; wer oder was genau, ist leider unklar – macht ja nichts, klingt erst mal gut.
In der DDR habe sie, die in der Provinz in einem Pfarrerhaushalt aufwuchs, den sie vorsichtig als «politisch eher links» beschreibt, sich nicht ohne «Schere im Kopf» äußern können, schreibt sie – und das habe sich in der BRD fortgesetzt, selbst als sie Bundeskanzlerin war. Hatte sie früher die Befürchtung, sie könne irgendwie zu wenig DDR sein, wollte sie später vermeiden, dass sie man ihr zu viel DDR unterstellte. Und so lebt dieser Staat in der Person von Angela Merkel immer weiter. Nur kann sie sich heute besser dazu äußern.
Und dabei bleibt sie weiterhin pragmatisch souverän. Wird ihr Buch in seiner Erzählung um so starrer und offiziöser, je höher sie die politische Leiter aufsteigt, desto lebhafter wurde sie während dessen Vorstellung im DT. Merkel versicherte auch im November 2024, dass ihre Politik des «freundlichen Gesichts» in der Flüchtlingspolitik 2015 richtig gewesen sei. Ebenso ihre Entscheidung, für die Ukraine 2008 eine Nato-Mitgliedschaft auszuschließen, denn das habe die Welt damals sicherer gemacht. Obwohl von Will fast schon inquisitorisch dazu genötigt, wollte sie sich auch nicht von ihrer früheren Russland-Politik, weder vom Minsker Abkommen noch vom Normandie-Format, distanzieren.
Stattdessen warf sie die Frage auf, was das für eine merkwürdige Vorstellung sei, angesichts des heutigen russischen Krieges gegen die Ukraine von ihr automatisch eine moralische Buße für ihre frühere Politik zu verlangen: «Warum muss ich das machen? Ist das ein Gütesiegel an sich?» Deshalb plädierte sie für militärische Stärke und «vorgefertigte» Diplomatie. Denn wer nicht weiß, was er will, der könne auch nicht verhandeln.
«Alles ist möglich» – ist das eine Drohung oder ein Versprechen? In der DDR wollte sich Angela Merkel «eine innere Freiheit» bewahren, um nicht «zu verkümmern, zu verdumpfen», sagte sie Will. Aber warum immer nur über das Gestern sprechen? Das müsste doch auch für das Morgen gelten.
Angela Merkel (mit Beate Baumann): Freiheit. Erinnerungen 1954–2021. Kiepenheuer & Witsch, 736 S., geb., 42 €. Diesen Donnerstag spricht sie mit Maybrit Illner in deren Talkshow, 22.15 Uhr, ZDF.
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