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Lisa Poettinger: »Der Shitstorm hat mich geprägt«
Als politische Aktivistin schlug Lisa Poettinger eine Welle des Hasses entgegen. Die angehende Lehrerin fürchtet um ihre berufliche Zukunft.
Sie sind seit Längerem in der Klimabewegung aktiv. Bundesweit bekannt wurden Sie aber als Anmelderin einer großen Demo gegen Rechts in München im Januar. Sie mussten Anfeindungen von Politikern und Medien ertragen. Wie geht es Ihnen knapp ein Jahr später damit?
Am Anfang ging es mir wirklich nicht gut. Ich war mitten in der Vorbereitung für meine drei Staatsexamen und verbrachte viel Zeit am Schreibtisch. Die Vereinzelung, die so ein Shitstorm bewirken soll, fühlte sich noch krasser an. Aber ich habe viel Unterstützung bekommen – von öffentlichen Solidarisierungen bis zu einem Anti-Shitstorm-Kuchen. Ich bin auch zu »Out of Action« gegangen, einer Gruppe, die emotionale Erste Hilfe für Aktivist*innen bietet. Die kollektive Solidarität hat mich wieder aufgebaut. Trotzdem merke ich, dass mich der Shitstorm nachhaltig geprägt hat.
Inwiefern?
Wenn man so eine Phase übersteht, verliert man die Angst, Dinge zu sagen, die man für richtig hält. Ich habe das Gefühl, mein Rückgrat ist gerade, und das ist mir wichtig. Es gibt aber auch schwierige Nachwirkungen: Ich möchte Lehrerin werden, und jeder, der meinen Namen googelt, wird diese Medienberichte finden – Schüler*innen, Eltern oder andere Lehrkräfte. Ich werde mich für meine Meinungsäußerungen rechtfertigen müssen und möglicherweise auch abgestraft werden. Das fühlt sich oft ungerecht an, und ich habe daran noch zu knabbern. Aber so ist das, wenn man eine kritische Position einnimmt.
Rechnen Sie mit einem Berufsverbot?
Ich wünsche mir von Herzen, Lehrerin zu werden und werde dafür auch kämpfen. Aber ich glaube, dass ich flexibel sein muss und mich nicht darauf versteifen sollte, dass es unbedingt das Lehramt wird. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Mir ist auch der Zustand der Welt wichtiger als meine Karriere.
War Ihnen schon vorher klar, dass es einen Konflikt zwischen Aktivismus und Ihrer Berufswahl geben könnte?
Seit 2021, ja. Damals hatte ich eine Gefährderansprache durch den Staatsschutz. Ich war Pressesprecherin bei Extinction Rebellion, und plötzlich stand die Kriminalpolizei vor meiner Wohnungstür und erklärte mir, wie gefährlich ich sei und dass ich mir meine Zukunft verbaue. Später hat mich ein Zivilpolizist angesprochen und gefragt: »Frau Poettinger, wie läuft es denn mit Ihrem Lehramtsstudium, wenn Sie immer auf solchen Aktionen sind?« Seitdem ist mir klar, dass mein Aktivismus Konsequenzen haben kann. Rückblickend wünschte ich, ich wäre unter einem Pseudonym aufgetreten und hätte nicht meinen Klarnamen verwendet.
Warum haben Sie sich entschieden, Lehramt zu studieren?
Ich hatte eine schwierige Jugend. Ein paar wenige Lehrkräfte haben erkannt, dass meine Probleme in der Schule nicht daran lagen, dass ich ein schlechter Mensch bin. Sie haben mich unterstützt und mir die Sicherheit gegeben, die ich zu Hause nicht hatte. Ich bin drei Jahre in Folge fast durchgefallen, habe dann aber eines der besten Abis des Jahrgangs geschrieben. Ich möchte eine Lehrerin sein, die Kindern diese Chance gibt – besonders am Gymnasium, wo Pädagogik nicht so wichtig genommen wird. Denn es wird häufig übersehen, dass es auch dort Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen gibt.
Neben Ihrem Studium arbeiten Sie in einem Kindergarten.
Ich liebe es, mit Kindern zu arbeiten. Da kann ich auch keinen idealistischen Anspruch geltend machen – ich bin einfach sehr gerne mit Kindern draußen. Wir sind ein freier Waldkindergarten. Ich kümmere mich darum, dass die Gruppendynamik passt, aber auch darum, dass ein Pflaster da ist, wenn es gebraucht wird.
Beeinflusst Ihr Aktivismus auch Ihre Arbeit als Kinderpflegerin?
Die Eltern wissen davon, aber gehen ziemlich entspannt damit um. Natürlich mache ich mit den Kindern auch immer wieder etwas zu Umweltthemen. Erst kürzlich wollten sie, dass ich ein Megafon mitbringe. Ich hatte vor, Ihnen etwas über Demokratie beizubringen, aber eigentlich hatten sie eher Interesse daran, Pupsgeräusche ins Megafon zu machen.
Sie selbst möchten aber keine Kinder bekommen, richtig? 2021 sagten Sie: »Vulnerable Geschöpfe in eine zerstörte Welt zu setzen, kommt für mich nicht infrage.«
Das macht mich sehr traurig, ich wollte immer Mutter werden. Mein größter Wunsch war es, eine Familie zu gründen. Es war ein sehr intensiver und schwieriger Prozess zu sagen: »Nein, ich mache das nicht.« Ich habe einfach große Sorge, dass wir in einer Zukunft leben werden, in der ich die Grundbedürfnisse meines Kindes nicht erfüllen könnte. Daran würde ich zerbrechen. Das heißt nicht, dass ich anderen, die Kinder bekommen, einen Vorwurf mache. Ich bin gerade Tante geworden, und das ist wunderschön. Ich freue mich, Kinder um mich herum zu haben. Aber für mich bleibt die Entscheidung, keine eigenen zu bekommen, die richtige.
Wie wollen Sie sicherstellen, nach dem Berufseinstieg weiter politisch aktiv zu bleiben?
Ich habe auf jeden Fall den Anspruch weiterzumachen. Aber wenn das mit dem Referendariat klappt, wird das eine sehr anstrengende Zeit. Und schon jetzt würde ich eigentlich gerne mehr für meine alleinerziehende Schwester und ihr Kind da sein. Ich bin zwar psychisch und was meine Arbeitsbelastung angeht, sehr widerstandsfähig, muss aber schon darauf achten, mich nicht komplett zu überlasten. Ausgebrannte Aktivist*innen bringen der Bewegung nichts – und sie sind auch kein gutes Vorbild. Und das ist wichtig, gerade für jüngere Leute.
Sie wurden gegen die Klimakrise aktiv, als sich die Bewegung in einem großen Aufschwung befand. Für viele war das auch eine Zeit großer Hoffnung. Gerade ist das ganz anders. Der einflussreiche Aktivist Tadzio Müller sagt etwa: Die Klimabewegung ist gescheitert, wir müssen uns auf den Kollaps einstellen. Wie motiviert man da Menschen noch, sich zu engagieren?
Ich glaube, die Analyse, dass ein Kollaps kommen wird, ist richtig, und er wird ungerecht ablaufen. Trotzdem darf solidarische Kollapspolitik nicht die Klimapolitik ersetzen. Das würde den globalen Süden erst recht im Stich lassen. Und ja, die Klimabewegung befindet sich in einer frustrierenden Phase, Gruppen werden kleiner oder orientieren sich neu. Gegen den Frust half mir der Blick auf andere Bewegungen, die in schwierigen Zeiten weitermachten: Die Zapatistas in Mexiko mussten sich jahrzehntelang klandestin organisieren – heute leben sie in autonom regierten Gebieten; und auch die Frauenbewegung erkämpfte das Frauenwahlrecht in einer langen Phase der Hoffnungslosigkeit. Ich glaube dieses Weitermachen-trotz-alledem: Das ist, worauf es ankommt. Klar, als Marxistin finde ich, es braucht Klassenkampf, um die Macht des Kapitals zu brechen. Aber das ist zu abstrakt, um Menschen zu motivieren. Was motiviert, ist eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die für Gerechtigkeit einsteht und nicht zuschauen will, wie die Welt den Bach runtergeht.
Lisa Poettinger, 28 Jahre alt, studierte Lehramt mit einer Zusatzqualifikation in Umweltwissenschaften und arbeitet in einem Waldkindergarten. Seit mehreren Jahren ist sie in linken Gruppen aktiv, teilweise auch als Pressesprecherin. Im Januar meldete sie eine Großdemo gegen Rechts in München an. Dabei kritisierte sie CSU und Ampel-Regierung. Rechte Medien und Politiker stürzten sich auf sie.
Das von Poettinger selbst illustrierte Buch »Klimakollaps und soziale Kämpfe« ist aus ihrer Abschlussarbeit in Umweltwissenschaften entstanden und wird veröffentlicht, wenn das Crowdfunding erfolgreich ist: oekom-crowd.de/projekte/klimakollaps-und-soziale-kaempfe
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