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Goldene Zitronen: »Plötzlich kam die ›Bravo‹ ...«

Die Hamburger Punkband wird 40 – ein Gespräch mit Schorsch Kamerun

  • Interview: Luca Glenzer
  • Lesedauer: 7 Min.
Es geht immer nur vorwärts bei den Punk-Avantgardisten der Goldenen Zitronen.
Es geht immer nur vorwärts bei den Punk-Avantgardisten der Goldenen Zitronen.
Interview

Schorsch Kamerun, geboren als Thomas Sehl 1963, wuchs in der Gemeinde Timmendorfer Strand auf und lebt seit den 80er Jahren vornehmlich in Hamburg. Er ist Mitbegründer der Band Goldene Zitronen, Theatermacher und Mitbetreiber des Goldenen Pudel Clubs.

Die Goldenen Zitronen werden 40. Die Band hat sich 1984 als Fun-Punk-Band gegründet. Wie viel Fun steckt heute noch in der Band?

Das hat sich gar nicht so sehr verändert. Wobei, Fun klingt ja erst mal nur inhaltsfrei. Ich würde feuilletonistisch sagen, dass bei uns der Spaß am Spott bei gleichzeitiger Selbsthinterfragung im Vordergrund steht. Uns geht es darum, nicht überdogmatisch zu sein, nicht zu parolenhaft zu kritisieren. Und wenn sich Selbstgewissheit einschleicht, erscheint es uns wichtig, diese zu unterlaufen. Das hat sich – insbesondere auch auf der Bühne – über die Jahre bis ins Psychedelische weiterentwickelt, wir können da auch gar nicht mehr anders. Ich beschreibe das gern mit einer nicht unterdrückbaren Hysterie, die uns als Gruppe motorisiert. Demgegenüber gibt es Bands, die »cool« sein wollen und dementsprechend auftreten, um ihre Ernsthaftigkeit zu unterstreichen. Das ist nicht unsere Methode. Und cool sind wir eh.

Die Musik der Band umweht seit jeher ein spezieller Humor …

Genau, das ist ein ganzer Kessel an Elementen: Überhöhung, Umkehrung und eben zeitgenössischer Spott etwa. Das war seit jeher Teil unseres Zugangs zur Szene – auch zur politischen. Dadurch haben wir versucht, Dogmen immer wieder zu hinterfragen und einer bestimmten eigenen Verhärtung entgegenzuwirken – norddeutsch gesagt: »Buten und Binnen«, also außen und intern. Diese Schneller-Härter-Lauter-Attitüde der frühen Punkszene drohte schnell, in öder Eindeutigkeitsbehauptung zu erstarren und Humor war immer ein gutes Mittel, dem ein Stück weit entgegenzuwirken. Wir lieben die Befragung von Festlegungen: So war die Parole »Für immer Punk« etwa damals absurd und lächerlich, weil Punk nur im jeweiligen Moment sinnvoll irritieren kann. Gleichzeitig ging es uns auch, trotz mancher ironischen Abstraktion, immer um die ernsten Hintergründe. Manchmal wird übersehen, dass die Zitronen auch in den frühen Fun-Punk-Zeiten schon eine genauso politische Band war wie später.

Das ist wohl auf das altbekannte Problem zurückzuführen, dass man sich durch starke Ironisierung am Ende immer auch entzieht und Positionierungen verunklart oder gar verunmöglicht?

Ja. Deswegen ist uns Schärfe und Haltung im Humor auch wichtig. Wir haben dabei Band-intern immer wieder Diskussionen und Streitpunkte. Für mich ist Ironie als Überhöhung trotzdem manchmal ein nützliches Mittel. Umwege können manchmal stärker sein als sture Eindeutigkeit. Wir nutzen eben auch Kunststrategien und sind keine Politiker. Auch das Lächerliche oder das Pathetische kann trefflich beschreiben. Wir veröffentlichen etwa gerade auf Social Media alte Konzertplakate. Darauf steht dann zum Beispiel »Sexy Blutsommer 89« oder »Junge Leute flippen aus« – was offensichtlich bewusst Gaga und selbstironisch ist. Damals war das ein notwendiger Spin gegenüber plumpen Ansagen der teils doch recht eindimensionalen Konkurrenz.

Oft genug hat sich die Band aber auch eindeutig positioniert, vor allem politisch?

Das stimmt. Eigentlich immer. Am deutlichsten Anfang der 1990er Jahre im Zuge der damaligen Pogrome. Das war schon eine Zäsur, auf die wir dann mit radikaler Eindeutigkeit reagiert haben, auch weil wir fanden, dass Lichterketten zu stumm waren. Am Ende muss man mit sich ringen und von Fall zu Fall schauen, wann eine spöttische Attacke angebracht ist und wann sie lahm ist. Ich liebe Vieldeutigkeit, aber es braucht dabei eine Unmissverständlichkeit. Ansonsten droht es, anbiedernd oder gar zynisch zu werden.

Neben den Goldenen Zitronen sind Sie über die Jahre auch in etlichen anderen Musikprojekten aktiv gewesen, aber keines hat nur annähernd den Bekanntheitsstatus erreicht wie Ihre Hauptband. Ist das auch ein Grund dafür, dass man trotz wiederkehrender Konflikte und Krisen so lange daran festhält – weil die Band eben in gewisser Weise eine Marke geworden ist?

Ich betrachte die Gruppe als etwas eigenständig Wertvolles, als eine Art seltenes Floß. Der Begriff »Marke« hat natürlich in Bezug auf uns wieder etwas sehr Ambivalentes, aber letztlich sehen viele Menschen in uns so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Gleichzeitig waren und sind wir kein geschlossener Kosmos: Wir gehen ja jetzt auch wieder mit vielen Mitstreiterinnen auf Tournee und verstehen uns weiter als Teil der Szene.

War es innerhalb der Band eigentlich umstritten, das Jubiläum zu zelebrieren? Das hat ja auch immer etwas Etabliert-Bürgerliches, womit zwangsläufig eine Musealisierung der eigenen Kunst einhergeht.

Die haben wir schon erlebt, immer wieder. Ich hatte im Sommer ein Theaterprojekt zur Wahl in Thüringen und habe parallel jeden Tag einen neuen Song unter dem Titel »Wahl Watching« bei ARD Kultur veröffentlicht. Danach meldete sich bei mir das Museum »Haus der Geschichte« aus Bonn und fragte, ob es mein – wirklich krankes Kostüm – für ihre Sammlung haben kann. Und auch unser Video zu »Das bisschen Totschlag« wird in dem Museum gezeigt. Was Jubiläen angeht, sind wir natürlich einerseits skeptisch, andererseits macht es – und da sind wir wieder bei Humor – auch einfach Bock, uns selbst unkorrekt abzufeiern. Deshalb spielen wir die Tour auch unter dem Motto »Zauberhafte Ballnacht mit den Zitronen und ihren Genoss*innen«.

Der Titel eurer begleitenden Best-Of-Platte lautet »Inventur«. Wenn man bei diesem Sprachbild bleibt: Was aus der Geschichte der Band hat denn noch Bestand und was nicht?

Inventur bedeutet ja auch Durchforsten und Ausmisten, und so ein bisschen hat sich das auch angefühlt. Wir haben auch einige ältere Sachen draufgepackt. Einerseits bewundere ich darin die beeindruckende Energie, andererseits finde ich es teils ganz fürchterlich und scheiße, auch wie ich mich da selbst aufführe als Shouter, manchmal eben auch gar nicht doppelbödig und sehr, sehr testosterongetragen. Wie ein quietschpraller Alarmballon, undenkbar heute. Ich wüsste heute nicht mehr, wie ich einen Song wie »Porsche Genscher Hallo HSV« noch adäquat performen sollte. Auch wenn ich die Idee, besonders den Titel des Songs, bis heute toll finde. Denn darin steckt schon der Versuch, die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit zu fassen zu kriegen. Ich würde mich deshalb von diesem Frühwerk weiterhin nicht distanzieren, aber es ist von der Band, die wir heute sind, ästhetisch denkbar weit entfernt.

Euer Stilwechsel Anfang der 1990er Jahre ist euch ja damals zum Vorwurf gemacht worden?

Ja, meistens leider mit den falschen Argumenten. Uns wurde beispielsweise vorgeworfen, dass wir »Kommerzkacke« machen, was natürlich totaler Quatsch ist. Im Gegenteil glaube ich, dass wir nie so richtig vermarktbar waren, bei unserer gewollten Sperrigkeit. Aber der Gegenwind war schon enorm damals, es gab einige Punker-Auseinandersetzungen mit heftigen, auch physischen Konflikten auf und nach Konzerten. Der Trouble war aber auch ganz geil eigentlich, zumal: Wenn er von der falschen Seite kommt, weiß man auch irgendwie, dass man auf dem richtigen Weg ist.

Es gab nach der Auflösung von den Ärzten Ende der 80er Jahre von Industrieseite sogar die Überlegung, die Goldenen Zitronen als Ärzte-Ersatzprodukt aufzubauen. Die Band hat abgelehnt und stattdessen 1990 das Album »Fuck You« veröffentlicht …

Ja, das war der reine Wahnsinn. Plötzlich kam die »Bravo« an und wollte Homestories mit uns machen. Es gab Bild-Zeitungs-Storys und Tim Renner (damaliger Mitarbeiter von Polydor und späterer Berliner Kulturstaatssekretär; Anm. d. Interviewers) bot uns einen süffig dotierten Plattenvertrag über fünf Alben an. Das fanden wir aber wirklich nur lachhaft.

Das heißt, innerhalb der Band war das auch keine Frage, mit der man sich beschäftigt hat? Rocko Schamoni hat sich für zwei Alben damals auf diesen Pfad begeben.

Keine Sekunde haben wir darüber nachgedacht. Im Koffer eines Industrievertreters drinzustecken, der auch Sachen anpreist, mit denen man nun wirklich nichts zu tun hat und zu tun haben will, kam nicht infrage. Ich werfe das aber auch nicht allen gleich vor, die das für sich anders handhaben. Es war und ist eben nicht der Weg der Zitronen.

Die Goldenen Zitronen: »Inventur. 1984–2024« (Buback). Tour: 2.12. Frankfurt/Main, Zoom; 3.12. Köln, Gloria; 4.12. Berlin, Festsaal; 6.12. München, Technikum; 8.12. Berlin, Festsaal (Zusatzkonzert); 19.12. Hamburg, Kampnagel; 21.12. Wien, Arena

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