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London: Mietwucher und Rechtlosigkeit
In der britischen Hauptstadt und im ganzen Land wird das Wohnen immer mehr zum Luxus
»Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht und ein Einbrecher stand in meinem Zimmer«, erzählt Florence Wright. Sie sitzt in einem kleinen Café und wärmt ihre Hände an einer Tasse mit Tee. »Als er mich gesehen hat, ist er wieder gegangen, er hat nichts geklaut oder kaputtgemacht. Trotzdem habe ich mich zu Tode erschreckt.«
Florence ist 25 und studiert Architektur. Seit 2017 lebt sie in London – zuletzt in einer 7er-WG in Peckham, einer beliebten Gegend für junge Leute im Süden der Stadt. Dort hat sie in einem kleinen viktorianischen, aber komplett verwahrlosten Haus gewohnt, mit Schimmel an den Wänden, kaputter Heizung und oft ohne Warmwasser. Gekostet hat ihr Zimmer stolze 690 Pfund im Monat, umgerechnet rund 830 Euro. Ein Mitbewohner zahlte mit 850 Pfund sogar noch mehr.
Solche Erfahrungen sind typisch für die von vielen Mieter*innen in London und im ganzen Land. Aus Angst, bei immer weiter steigenden Mieten gar keine Bleibe mehr zu finden und auf der Straße zu landen, akzeptieren viele prekäre Wohnsituationen in Bruchbuden zu absurd hohen Preisen.
Wohnungen haben immer mehr Mängel
»Die Qualität der angebotenen Wohnungen nimmt seit Jahren drastisch ab, während die Mieten immer weiter steigen«, erklärt Nick Bano. Er ist Aktivist und Anwalt für Mietrecht. Vor wenigen Monaten hat er das Buch »Against Landlords. How to Solve the Housing Crisis« mit Vorschlägen zur Lösung des Wohnungsproblems veröffentlicht. Die aktuelle Wohnungsnot sei eine Folge jahrzehntelanger verfehlter Politik, erklärt er darin.
»Heute sind wir an einem Punkt, an dem Mieter fast gar keine Rechte haben, während die Macht von Vermietern uneingeschränkt ist«, betont Bano. »Solange das so ist, werden die Mieten weiter steigen«, ist er sich sicher. »Und die Vermieter werden weiterhin mit fast allem durchkommen.«
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Florence und ihre Mitbewohner*innen haben das erlebt: »Egal, was passierte, unser Vermieter hat uns nie geholfen«, sagt sie. Er trage deshalb auch Mitschuld an dem Einbruch, findet sie. »Wir haben uns nicht mehr sicher gefühlt: Die Tür war extrem alt und morsch. Sie ließ sich nur mit einem einfachen Drehschloss verschließen und der Spalt zwischen Haustür und Rahmen war bestimmt einen Zentimeter groß. Wir hatten ihn mehrfach gebeten, ein besseres Schloss anzubringen.« Ohne Erfolg, obwohl in der Vergangenheit bereits mehrfach in das Haus eingebrochen worden war.
Vermieter wollen nicht sanieren
»Kurz nach meinem Einzug ist die Dusche aus der Wand gefallen«, erinnert sich Florence und lacht kurz auf. Dann holt sie ihr Handy aus der Tasche und zeigt ein Foto. Darauf ist eine Duschbrause zu sehen, die mit braunem Paketband an der Wand befestigt ist. »So ging das für Wochen und Monate«, erinnert sich die Studentin. »Irgendwann kam dann endlich ein Klempner. Der sagte, dass das Bad eine Kernsanierung brauche, weil die Wand wohl durch und durch verrottet war.«
Doch dazu war der Vermieter nicht bereit, betont Florence. In der Folge breitete sich der Schimmel immer weiter aus und die Dusche fiel immer wieder aus der Wand, egal wie viele Schrauben der Hausmeister in die Wand schraubte. »Außerdem hat eine unserer zwei Toiletten wochenlang nicht funktioniert«, fügt die junge Frau hinzu. Sie schüttelt den Kopf und seufzt: »Manchmal will ich lieber vergessen, was ich in diesen Monaten alles erlebt habe.«
»Die Heizung ist im letzten Winter immer wieder für einige Wochen ausgefallen, zudem hatten wir oft kein heißes Wasser«, berichtet sie. Das hätte den Schimmelbefall im Haus nochmals verschlimmert. »In meinem Zimmer waren Schimmel und Feuchtigkeit zum Glück kaum ein Problem, doch im Zimmer eines meiner Mitbewohner waren die Wände teilweise so feucht, dass man nasse Hände bekam, wenn man sie anfasste.« Sein Zimmer war im Untergeschoss.
Gravierende Mängel weit verbreitet
Was Florence und ihre Leidensgenossen in dem Haus in Peckham erlebten, ist bei Weitem kein Einzelfall. Schätzungsweise zwei Millionen Haushalte in Großbritannien kämpfen mit Schimmel in Wohn- und Schlafräumen. Das ergab eine Studie der UK Health Security Agency, einer regierungsnahen Forschungsbehörde, im vergangenen Jahr. Einige NGO gehen sogar von doppelt so vielen Fällen aus. Die meisten Haushalte, in denen Schimmel vorkommt, sind Mietwohnungen.
Einem BBC-Bericht zufolge befinden sich 20 Prozent der privat vermieteten Wohnungen in einem gesundheitsschädlichen Zustand. Dazu gehören nicht nur Schimmel und Feuchtigkeit, sondern auch Schädlingsbefall, undichte Dächer und Rohre oder kaputte elektrische Geräte. Recherchen zeigen außerdem, dass nicht-weiße Mieter*innen überdurchschnittlich häufig in baufälligen oder gesundheitsgefährdenden Wohnungen leben.
Eigentlich ist es Pflicht jedes Vermieters, dafür zu sorgen, dass ihre Wohnungen in einem guten Zustand sind und dass die Sicherheit ihrer Mieter*innen garantiert ist. Tun sie das nicht, kann die Stadtverwaltung ihnen die Lizenz entziehen. Dazu kommt es jedoch in den seltensten Fällen. Wie der BBC-Bericht zeigt, verfolgen lokale Stadtverwaltungen, die Councils, in weniger als 50 Prozent der Fälle die gemeldeten Mängel – auch, weil es dort nach jahrzehntelanger Sparpolitik oft an Ressourcen fehlt. Noch häufiger melden Mieter*innen die Probleme gar nicht erst. Bei vielen von ihnen ist die Angst, dass ihre Vermieter sie vor die Tür setzen könnten, zu groß.
Kündigungsfrist zwei Monate, ohne Grund
Nach dem britischen Mietrecht können Mieter*innen ohne jeden Grund mit zweimonatiger Frist gekündigt werden. Diese »Räumungen ohne Verschulden« hat die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er Jahren eingeführt. Jeden Monat kündigen Vermieter*innen auf diese Weise im Durchschnitt knapp 4000 Haushalten. Außerdem können sie die Miete zu jedem Zeitpunkt erhöhen, Beschränkungen wie in Deutschland gibt es nicht. Akzeptieren Mieter*innen eine Erhöhung nicht, droht ihnen meist die Kündigung. Eine Situation, in der sie nur verlieren können.
Vor wenigen Wochen ist Florence umgezogen. Jetzt wohnt sie in Haringey, ganz im Norden der Stadt. »Der Vermieter hatte angekündigt, die Miete für mein Zimmer auf 740 Pfund zu erhöhen. Das hätte ich mir nicht mehr leisten können«, erklärt sie.
Im Durchschnitt kostet ein WG-Zimmer in Großbritannien monatlich 745 Pfund, in London sogar 995 Pfund. »Ich weiß, dass meine Miete für London sogar günstig war, aber das ist total absurd. Die meisten Menschen haben so viel Geld doch überhaupt nicht.« Sie selbst gebe seit Jahren mehr als die Hälfte von ihrem Studienkredit für das Wohnen aus. »Am Ende des Monats habe ich kaum Geld zum Leben übrig.«
Immer mehr Menschen werden obdachlos
Damit ist sie nicht allein. In London geben die Menschen im Durchschnitt knapp 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Auch im Rest des Landes brauchen sie dafür häufig mehr als ein Drittel ihres Einkommens. Zum Vergleich: In Deutschland sind es durchschnittlich 24 Prozent. Dass das für viele Briten auf Dauer nicht gutgeht, ist offensichtlich. Immer mehr Menschen landen auf der Straße. 2023 waren in Großbritannien so viele Personen obdachlos wie in keinem anderen OECD-Land. Aktivist*innen und Wohltätigkeitsorganisationen fordern deshalb drastische Eingriffe der Politik.
Die London Renters Union (LRU), eine mitgliedergeführte Gewerkschaft von Mieter*innen in der britischen Hauptstadt, setzt sich für einen Mietendeckel und mehr Mieterschutz ein. »Seit Jahren steckt unsere Regierung – egal, ob Torys oder Labour – Gelder in Milliardenhöhe in den Bau von neuen Wohnungen, doch das bringt überhaupt nichts. Denn die neuen Wohnungen sind so teuer, dass sie sich sowieso keiner leisten kann«, sagt Anna Khan verärgert. Sie ist Mitglied in der LRU. Die Aktivistin hält deshalb auch nichts von den Plänen des Premierministers Keir Starmer, in den kommenden fünf Jahren 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen. »Das Problem ist nicht zu wenig Wohnraum, sondern zu wenig bezahlbarer Wohnraum«, erläutert sie.
Trotz der Wohungsnot gibt es viel Leerstand
Das findet auch Nick Bano: »Wir haben heute mehr Wohnraum pro Einwohner als noch vor zwanzig Jahren«, sagt er. Tatsächlich stehen rund 700 000 Häuser in Großbritannien leer, allein in London sind es über 30 000. »Solange sich rechtlich und politisch nicht grundlegend etwas ändert, werden Neubauten nichts bringen, sondern die Preise nur weiter nach oben treiben.« Deshalb seien Regulierungen und Eingriffe so wichtig, wie zum Beispiel ein Mietendeckel.
Dass die Labour-Regierung ein neues Gesetz, den sogenannten Renters Rights Bill, auf den Weg gebracht hat, welches den Schutz von Mieter*innen stärken soll, ist für Leute wie Nick Bano oder Anna Khan ein kleiner Hoffnungsschimmer. Immerhin: Tritt das Gesetz nächstes Jahr tatsächlich in Kraft, dann dürfen Mieter nur noch mit einem triftigen und gesetzlich festgelegten Grund gekündigt werden.
Das Zimmer, das Florence Wright gefunden hat, ist sogar etwas günstiger als ihr altes. Für den Raum in einer Vierer-WG zahlt sie jetzt monatlich 610 Pfund warm. »Mein Zimmer ist sauber, ich fühle mich sicher und die Vermieterin ist tatsächlich richtig nett.« Florence kann ihr Glück kaum fassen: »Manchmal fühle ich mich fast schuldig«, sagt sie nachdenklich. »Ein sicheres und gutes Zuhause sollte doch für alle Menschen die Normalität sein.«
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