Dividenden schwächen Wirtschaft

Während die Autoindustrie kriselt, verteilen andere Dax-Konzerne üppige Gewinne an Aktionäre

Die einzige Brache, in der es für Dividenden mau aussieht: die Autoindustrie. Angestellte von Volkswagen machen Druck gegen drohende Entlassungen, Lohnkürzungen und Werksschließungen.
Die einzige Brache, in der es für Dividenden mau aussieht: die Autoindustrie. Angestellte von Volkswagen machen Druck gegen drohende Entlassungen, Lohnkürzungen und Werksschließungen.

Dem Deutschen Aktienindex (Dax) gelang im Dezember erstmals in seiner Geschichte der Sprung über »die magische Marke« von 20 000 Punkten, freut sich der Chefredakteur des Infodienstes »Börse«. Während die Wirtschaftsleistung insgesamt stagniert, legen die Aktienkurse rasant zu. Für den deutschen Leitindex Dax errechnete sich damit in diesem Jahr mittlerweile ein Plus von stolzen 19,5 Prozent.

Der Index misst die Wertentwicklung der 40 größten Unternehmen, deren Aktien breit gestreut sind, und steht für etwa 80 Prozent des Kapitals aller börsennotierten Aktiengesellschaften in Deutschland. Zusammen haben die Dax-Konzerne allein im dritten Quartal dieses Jahres 18,6 Milliarden Euro Gewinn gemacht, errechnete das »Handelsblatt«. Unterm Strich sind dies zwar 14,4 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Doch das Minus haben die drei großen Autobauer zu verantworten, deren Quartalsgewinne binnen eines Jahres um 67 Prozent auf knapp 3,5 Milliarden Euro einbrachen. Ohne BMW, Mercedes und VW sieht die Bilanz ganz anders aus: Die anderen großen Börsenkonzerne machten ein Plus von 33 Prozent.

Verantwortlich für diesen Erfolg sind neben großen Gewinntreibern wie dem Versicherungskonzern Allianz, der Deutschen Telekom und dem Mischkonzern Siemens etliche Unternehmen, die vor einem Jahr noch mehr oder weniger in Schwierigkeiten steckten. Ihre Gewinnaussichten für 2024 und vor allem für das kommende Jahr gelten nun als gut.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich: ein neuer Chef, ein straffer Konzernumbau oder Effizienz- und Sparprogramme wie beim Windkraftanlagenspezialisten Siemens Energy. Oder es half ein Krisen-Boom auf die Sprünge, wie beim Rüstungskonzern Rheinmetall, dessen Auftragsbuch sich in diesem Jahr füllte und dessen Börsenkurs – Stand diesen Montag – um ungeheure 128 Prozent zulegte.

Aktionäre leben nicht vom »Kaviar«, den Kursgewinnen, allein, sondern auch vom »Schwarzbrot«, den Dividenden.

Auch Aktionäre leben allerdings nicht vom »Kaviar«, den Kursgewinnen, allein, sondern auch vom »Schwarzbrot«, den Dividenden. Statistiken zeigen, dass die Bedeutung der Ausschüttungen seit der Jahrtausendwende zugenommen hat und mittlerweile gut die Hälfte zur Sättigung der Aktionäre beiträgt. Im kommenden Frühjahr, wenn die Ausschüttungssaison in den meisten Dax-Konzernen beginnt, werden sie wieder ein reichhaltiges Nahrungsangebot erhalten. 22 Teilnehmer der obersten Börsenliga werden ihre Dividenden voraussichtlich sogar erhöhen. Lediglich in einer Branche sieht es auch hier mau aus: in der Autoindustrie.

Die Dividende wird mit dem Jahresabschluss üblicherweise von Vorstand und Aufsichtsrat vorgeschlagen und von der Hauptversammlung, also dem Treffen der Aktionäre, beschlossen. Politisch unter Druck steht der Vorstand von Volkswagen. Er wird seine Dividende laut Prognosen wohl mindestens halbieren, schließlich drohen momentan Entlassungen, Lohnkürzungen und Werksschließungen. Analysten des Bankhauses Metzler geben zu bedenken: »Die Vetorechte des Landes Niedersachsen könnten dazu führen, dass die an die Aktionäre gezahlten Dividenden aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit erheblich gesenkt werden müssen.«

Nach Berechnungen des US-amerikanischen Vermögensverwalters Vanguard haben die Dividendenzahlungen auf der Welt im dritten Quartal dieses Jahres mit 583 Milliarden US-Dollar, rund 530 Milliarden Euro, ein Rekordhoch erreicht. Treiber waren die Vereinigten Staaten (plus neun Prozent) und China (plus zehn Prozent). Für das laufende Schlussquartal erwartet Vanguard hohe Ausschüttungen vor allem in Japan und asiatischen Schwellenländern.

Auf Jahressicht fließen mehr als zwei Billionen Euro auf die Girokonten der kleinen sowie vor allem großen und institutionellen Aktienbesitzer. Aus Vorstandssicht können hohe Dividenden durchaus zweckmäßig sein, werden dadurch doch die Aktien eines Unternehmens attraktiv. Das kann bei der Beschaffung von neuem Kapital durch die Ausgabe von Wertpapieren nützlich sein.

Zugleich stützen hohe Dividenden den Börsenkurs. Das wiederum ist wichtig für Manager, die sich vorrangig vom »Shareholder Value« (deutsch: »Aktionärswert«) leiten lassen, der anhand des aktuellen Börsenkurses gemessen wird. Doch das an die Aktionäre ausgeschüttete Kapital steht nicht mehr für Investitionen zur Verfügung.

Der Ökonom Christian Hecker argumentiert daher in der aktuellen Ausgabe des »Wirtschaftsdienstes«, dass die großzügigen Gewinnausschüttungen der börsennotierten Großunternehmen in den vergangenen beiden Jahrzehnten in Teilen die Investitionszurückhaltung erklärten. Und damit die aktuelle Schwäche der deutschen Wirtschaft.

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