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Die Welt als Schuttablagerungsplatz
Luise Voigt hat Bertolt Brechts Stück »Die Gewehre der Frau Carrar« zusammen mit Björn SC Deigners »Würgendes Blei« in München inszeniert
Ein eigenartiges Stück Literatur ist »Die Gewehre der Frau Carrar«, eigenartig auch für dessen Autor Bertolt Brecht. 1937 uraufgeführt, ist es neben »Furcht und Elend des Dritten Reiches« wohl das einzige abgeschlossene dramatische Werk des Schriftstellers, das Gegenwartsgeschichte so unmittelbar und nicht etwa parabelhaft zeigt. Den sich überschlagenden Geschehnissen jener Tage Rechnung tragend, hat Brecht sogar Überarbeitung auf Überarbeitung folgen lassen.
In den 30er Jahren wandte die internationale Linke den Blick ab von Stalins Sowjetunion und richtete ihn – voll Sorge, aber auch nicht ohne Hoffnung – auf Spanien. Auch Brecht, bereits seit einigen Jahren ein Flüchtling, sah auf den Spanischen Bürgerkrieg, in dem progressive Kräfte Bündnisse schmiedeten, internationale Brigaden sich formierten – und dennoch der Faschismus triumphierte.
Ungewöhnlich ist auch die Form der »Gewehre der Frau Carrar«. Der zum Anti-Aristoteliker erklärte Brecht fällt zurück in Traditionen, die er selbst doch längst zu überwinden geholfen hat. Ein Kammerspiel ist die Geschichte der Teresa Carrar, die ihren Mann im Kampf gegen Francos Generäle verloren hat, die um das Leben ihrer Söhne fürchtet, von der wir zu wissen glauben, dass sie auf der richtigen Seite steht, und die doch nicht den Weg der Gewalt gehen kann, ehe sie merkt, dass sie es tun muss.
Die aristotelische Dramaturgie und den pointierten Text nimmt Regisseurin Luise Voigt für ihre Inszenierung am Marstall, der zum Münchner Residenztheater gehörenden Studiobühne, durchaus ernst. Die Gefahr eines gefühligen Psychologismus in der Spielweise umgeht sie aber weiträumig. Den Umgang mit der Sprache und den szenischen Aufbau übernimmt sie, zumindest passagenweise, von einer berühmt gewordenen »Carrar«-Fernsehaufzeichnung vom Berliner Ensemble der 50er Jahre und schnell leuchtet in der Titelheldin, gespielt von Barbara Horvath, die Weigel auf.
Das spanische Fischerhaus wird uns als weiß getünchte Bretterbude (Bühne: Fabian Wendling) präsentiert, in der sich das Ensemble zusammenfindet. Es ist Krieg. Und deshalb wird jedes Gespräch auch zu einem Wettbewerb der widerstreitenden Haltungen und, zum Teil versteckten, Positionen.
Dass die Inszenierung dabei aber trotz historisierendem Sound nicht zum abendlichen Museumsbesuch wird und schon gar nicht zum Reenactment einer 70 Jahre alten Theaterarbeit, verdankt das Publikum unter anderem auch der überzeugenden Idee, die Darstellerinnen und Darsteller biomechanisch arbeiten zu lassen (Choreografie: Toni De Maeyer). Mit Mitteln von Wsewolod Meyerholds Methode der Biomechanik verwandeln sie das Bühnengeschehen zu einem körperbetonten, im Ausdruck artifiziellen Spiel, bei dem nichts zufällig bleibt, sondern zum Zeugnis höchster Konzentration wird.
Diese Konzentration überträgt sich in den Zuschauersaal. So schlägt Voigt Brecht, der mit dem Einfühlungscharakter seines eigenen Stücks haderte, ein Schnippchen. Das Publikum erliegt nicht dem Gefühlswust in einer kriegerischen Zeit, sondern folgt den Dynamiken auf der Szene analytisch.
Und auf einmal werden doch die großen Gefühle aufgefahren in diesem ersten Teil der Doppelinszenierung. Voigt integriert eines der »Vier Wiegenlieder für Arbeitermütter« von Bertolt Brecht und Hanns Eisler in das Stück und legt es naheliegenderweise der Carrar in den Mund. Damit wird aber weder der bisherige Inszenierungsansatz denunziert noch eine einfache Lösung komplexer Probleme beschworen. Das Lied gehört zu den intensivsten Momenten dieses ästhetisch wie intellektuell einnehmenden Abends.
»Mein Sohn, was immer auch aus dir werde: / sie steh’n mit Knüppeln bereit schon jetzt. / Denn für dich, mein Sohn, ist auf dieser Erde / nur der Schuttablagerungsplatz da, und der ist besetzt«, singt Barbara Horvath unaufgeregt die erste Stophe heraus. Aus Brechts Wiegenlied und aus dem Stück spricht die tiefe Überzeugung, dass es nicht nur das eine gegen das andere Land ist, die eine Partei im Bürgerkrieg gegen eine andere, sondern dass jeder Krieg ein Kampf derer da oben gegen die ganz unten ist.
Eine dritte Merkwürdigkeit kennzeichnet »Die Gewehre der Frau Carrar«. Das Stück kann kaum als abendfüllend bezeichnet werden. In München bringt es das Ensemble in 50 Minuten über die Bühne. Brecht war sich über dieses Manko durchaus im Klaren und hat daher angeregt, sein Drama zusammen mit einem Dokumentarfilm zu zeigen.
»Würgendes Blei« von Björn SC Deigner, das hier seine Uraufführung erfährt, ist kein dokumentarischer, nein, ein im besten Sinne poetischer Text. Eine Fortschreibung nennt Deigner sein Stück und stellt damit auch klar, worum es sich nicht handelt: um eine Antwort oder eine Korrektur, eine Rücknahme oder ein Gegenstück zu »Die Gewehre der Frau Carrar«.
Gerade hat die Teresa Carrar zum Ende des ersten Teils, einer sich allmählich durchsetzenden Einsicht folgend, nicht nur die Waffen zum Kampf freigegeben, sondern selbst zu den selbigen gegriffen. Da fällt in Voigts Inszenierung das Bühnenbild lautstark in sich zusammen und es ist, als würde Raum geschaffen für eine ganz andere Art Text: »Da liegt ein Körper / und der Körper heißt Carrar«, ist von der Bühne her zu hören.
Wo im ersten Teil das Für und Wider der Gewalt abgewogen und dem Publikum das Handeln einer jeden Figur szenisch plausibel gemacht wird, da nimmt mit dem zweiten Teil plötzlich die Ratlosigkeit, die der Krieg mit sich bringt, auf der Bühne Platz. Das Spanien der 30er Jahre verschwindet und wir folgen der Carrar durch unbekannte Zeiten und unbekannte Gegenden. Der Charakter eines Requiems vermittelt sich.
Fragt Brecht nach der Notwendigkeit der Gewalt, um die Verhältnisse menschlich gestalten zu können, wird bei Deigner der Krieg in seiner Unmenschlichkeit selbst sichtbar. Das sind keine konkurrierenden Ansichten, sondern einander ergänzende Perspektiven. Hat Voigt für den ersten Teil des Abends eine überaus überzeugende Form gefunden, stellt sich beim zweiten Teil allerdings gelegentlich der Eindruck einer nicht abgeschlossenen Suche im Umgang mit dem Text ein.
Am Ende bringt Deigner ein Maschinengewehr zum Sprechen. Die Waffe als Zeuge, das automatisierte Töten als Exempel des vermeintlich täterlosen Mords und gleichzeitig Ausdruck größter Grausamkeit. Eindrucksvoll gibt Florian Jahr diese Figur Tee trinkend bei Klaviermusik und lässt noch einmal daran denken, dass man in guten Bürgerstuben anders über Krieg reden muss als in armen Fischerhäusern.
Björn SC Deigner wie Luise Voigt verzichten auf banale Analogien im Hier und Jetzt. Nach den gut 90 Minuten im Marstall fühlt man sich dennoch gut gerüstet, um an der kriegerischen Gegenwart zu verzweifeln, weil an diesem Theaterabend jeder schlichten Vereinfachung aus dem Weg gegangen wird.
Nächste Vorstellungen: 17., 23. und 28.12.
www.residenztheater.de
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