Eine Zufallswahl

Christoph Ruf hält den Wahl-O-Mat für keine gute Unterstützung bei der Suche nach dem besten Kreuz

Bundestagswahl – Eine Zufallswahl

Kürzlich hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis. Bei einem Termin mit einem Gastronomen war es um die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung von 19 auf sieben Prozent gegangen. Dass die nicht erfolgen würde, sondern die Absenkung endgültig sei, hatte Olaf Scholz im September 2021 versprochen – und Anfang 2024 gebrochen. Als mein Gastronom anmerkte, dass es einem die Politik nicht immer leichtmache und ich antwortete, dass sie manchmal ganz einfach lüge wie ein Heiratsschwindler, war er beeindruckt. »Jetzt sind Sie gleich in meiner Achtung gestiegen.« Von einem Journalisten hätte er Kritik an der Regierung nun wirklich nicht erwartet.

Die Frage, warum meine Zunft bei vielen Menschen den Ruf hat, den Mächtigen nach dem Schnabel zu schreiben, sei hier nicht erörtert. Mir geht es eher um die Befürchtung, dass auch besagter Gastronom in den nächsten zwei Monaten ganz oft Getränke an einen Tisch bringt, an dem Menschen über Politik debattieren. Das tun sie nämlich immer dann besonders erregt, wenn ein Wahltermin naht. Und dagegen ist ja auch nichts einzuwenden, wenn nicht so viele Gespräche auf niedrigstem Niveau verharren würden. Wagenknecht: irgendwas mit AfD und Putin. Merz: Bierdeckel, unbeherrscht, etc. Der wackere Wirt wird sich schrecklich langweilen.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Aber ich will nicht ungerecht sein: Es gibt ja Menschen, die sich vor ihrer Wahlentscheidung (denn wählen muss man ja, oder?) Mühe geben. Und die deshalb den Wahl-O-Mat konsultieren. Das Problem ist allerdings, dass der seine Informationen aufgrund der jeweiligen Programmatik vergibt, die aber nicht viel gelten.

So hatten Grüne und SPD vor der letzten Bundestagswahl akzeptable Programme. Man bekam dann allerdings die Ampel, an deren Ende nun erneut hübsche rote und grüne Programme zusammengeschustert werden. Wer seine Wahlentscheidung auf Grundlage von Programmen trifft, kann sich auch gleich bei Mac Donald’s beschweren, dass er einen Klumpen Matsch aus dem Wachspapier gewickelt hat, wo doch auf dem Bestellterminal ein farbenfrohes Gesamtkunstwerk mit taufrischem Salat angepriesen worden war.

Und ich fürchte, die Wahl-O-Mat-Wähler sind noch die Informierteren. Es wird Leute geben, die grün wählen, weil sie Habeck toll finden, so als Teddy jetzt. Solche, die FDP wählen, weil Angela und Marius Müller-Westernhagen behaupten, dass »Freiheit« was Nettes sei und sie (vielleicht im Wahl-O-Mat) gelesen haben, dass die FDP etwas damit zu tun habe. Und es wird ganz viele Leute geben, die AfD wählen, weil man sonst nichts wählen könne – und Tiktok das so sagt.

Wahlentscheidungen die weniger treffsicher sind als per Zufallsgenerator also – so etwas kommt dabei heraus, wenn man die politische Bildung an den Schulen kaputt spart. Der Politik war es wichtiger, dem Wehklagen der Arbeitgeberverbände nachzugeben und konsumfreudige, leistungswillige Ja-Sager auszubilden. Zumindest ersteres hat gut geklappt. Sie glauben, dass ich zu pessimistisch bin? Just am Wochenende wurde mir von einer Veranstaltung berichtet, an dem 70 Prozent der Menschen am Tag nach dem Scheitern der Ampel nicht wussten, dass die Ampel gescheitert war. Es handelte sich dabei um ein Proseminar an einer süddeutschen Universität.

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