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Trotz Klimaneutralität weiter emittieren?
Einige Branchen verlangen staatliche CCS-Förderung, um die Klimaziele zu erreichen
Wenn ab 2039 wie geplant keine neuen CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel mehr ausgegeben werden, bekommen Kraftwerke und energieintensive Industrien ein Problem: Sind ihre zuvor erworbenen »alten« Zertifikate aufgebraucht, dürften sie keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Das setzt vor allem die Wirtschaftszweige unter Druck, deren CO2-Emissionen schwer oder gar nicht vermeidbar sind: die Zement-, Kalk- und Abfallbranche. Laut Prognosen werden aber ab 2045 – wenn Deutschland klimaneutral sein soll – aus Industrie, Abfalldeponien und Müllverbrennung jedes Jahr noch mehr als 20 Millionen Tonnen CO2 emittiert. 2039 dürfte diese Menge noch viel größer sein. Wenn sich ein Unternehmen davon im Emissionshandel nicht mehr freikaufen kann, wie soll der Umgang mit den Klimagasen dann aber aussehen?
Abgesehen von der Stilllegung von Anlagen gibt es zwei Auswege: per CCS-Technologie das CO2 abzuscheiden und unterirdisch einzulagern oder negative Emissionen zu erzeugen, um den unvermeidbaren Ausstoß aufzuwiegen. Einen Markt, auf dem Zertifikate für negative Emissionen käuflich zu erwerben sind, gibt es bislang aber nur als Konzept.
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Anders sieht es bei CCS aus: Ende Juni beschloss die Ampel-Regierung eine Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes, die Ende September eine erste Lesung im Bundestag hinter sich brachte. Nun schmort das Gesetz im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, während Teile der Industrie es noch vor den Neuwahlen beschlossen sehen wollen. Um Druck aufzubauen, hoben Unternehmen der Zement-, Kalk-, Energie- und Transportbranche sowie der Abfallwirtschaft vor wenigen Tagen die Carbon-Management-Allianz (CMA) aus der Taufe. Sie verfolge das Ziel, branchenübergreifend die Abscheidung, Speicherung sowie Weiterverarbeitung von CO2 – also die zeitweilige Speicherung in langlebigen Produkten – in Deutschland zu etablieren, teilte der neue Lobbyverband mit.
Eine weitere Verzögerung des Gesetzes stelle geplante Investitionen infrage, erklärte anlässlich der CMA-Gründung Alexandra Decker, Vorständin bei Cemex, einem weltweit führenden Zementhersteller mit Sitz in Mexiko. Ohne die Novelle laufe Deutschland Gefahr, bei CCS immer mehr ins Hintertreffen zu geraten.
Cemex hat im Zementwerk Rüdersdorf westlich von Berlin den Industriegase-Konzern Linde beauftragt, eine Anlage zur CO2-Abscheidung zu errichten und zu betreiben, einschließlich Verflüssigung des Kohlendioxids. Am Ende sollen hier jährlich 1,3 Millionen Tonnen CO2 abgeschieden werden, um das Werk bis 2030 zu dekarbonisieren.
Laut Prognosen werden ab 2045 aus Industrie und Müllverbrennung jedes Jahr noch mehr als 20 Millionen Tonnen CO2 emittiert werden.
Vorständin Decker würde das Treibhausgas mit Blick auf die Kosten gern möglichst nah am Produktionsstandort lagern. Aufgrund der Akzeptanzprobleme für CCS will Cemex es aber zunächst exportieren. Bevorzugtes Ziel: die Meerestiefen der Nordsee vor Norwegen. Da CCS einen ordentlichen Kostenbatzen bedeutet, benötigt die Branche aus Sicht von Decker eine Förderung über Klimaschutzverträge – sowie längerfristig einen Markt für CO2-freie Produkte.
Der Abfallbranche wiederum bereiten vor allem die Emissionen aus der Müllverbrennung Sorgen. Aus einer Tonne Abfall entsteht beim Verbrennen etwa eine Tonne CO2, räumte Timo Poppe von der Energy from Waste GmbH bei der CMA-Präsentation ein. Das ist in etwa so viel Treibhausgas, wie beim Verbrennen einer Tonne Braunkohle entsteht. Während damit spätestens 2038 Schluss ist, gibt es fürs Müllverbrennen bislang kein Enddatum.
Die Bundesregierung geht in ihrer Carbon-Management-Strategie davon aus, dass die Müllverbrennung 2045 noch rund 15 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Rund 80 Prozent der bis dahin im Bereich Abfallverbrennung erreichten Emissionsminderung sollen demnach auf CCS entfallen.
Klimaschutz läuft damit größtenteils auf CO2-Abscheidung und -Speicherung hinaus. Das CCS-Gesetz sei deshalb ein »fossiler Irrweg«, stellen etwa 70 Verbände und Initiativen aus dem Umwelt- und Energiebereich in einem Mitte November veröffentlichten offenen Brief fest. Anstatt den dringend nötigen Ausstieg aus fossilen Energien fortzuführen, plane die Bundesregierung, Milliarden an Steuergeldern in eine Technik zu stecken, die diesen Ausstieg zumindest stark verschleppen würde. Weiter wird kritisiert, dass das Gesetz auf die Entwicklung großer kommerzieller Abscheideanlagen, die Errichtung von CO2-Deponien sowie den Bau eines flächendeckenden Pipelinenetzes ziele. Dabei hätte jeder Emittent ein Recht auf Anschluss – selbst wenn er seine CO2-Emissionen auch vermeiden könnte. Und auch bei CCS gelangten weiter bedeutende CO2-Mengen in die Atmosphäre.
Nicht unterzeichnet hat den offenen Brief bisher der Naturschutzbund Deutschland (Nabu), der die neue Industrie-CCS-Allianz berät. Technische Lösungen wie CCS sollten dabei nur in »eng begrenzten« Bereichen angewendet werden, forderte Nabu-Expertin Steffi Ober. Sie kritisiert insbesondere die gesetzliche Erlaubnis, CCS auch bei Gaskraftwerken anzuwenden. Auch berge der Einsatz von CCS Risiken für den Arten- und Klimaschutz.
Vertreter der Unionsparteien und der FDP teilten übrigens inzwischen mit, dem CO2-Speichergesetz noch vor dem Neuwahltermin am 23. Februar zustimmen zu wollen. Auf der Tagesordnung des Parlaments ist es bis dato allerdings noch nicht aufgetaucht.
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