Erster der Letzten Generation

In Kempten tritt der erste Klimaaktivist der Umweltgruppe eine Haftstrafe an

Karl Braig steht vor Beginn seines Haftantritts vor der Justizvollzugsanstalt Kempten.
Karl Braig steht vor Beginn seines Haftantritts vor der Justizvollzugsanstalt Kempten.

Der erste Unterstützer der Letzten Generation hat nach Angaben der Gruppe eine Haftstrafe in Folge einer gerichtlichen Verurteilung angetreten. Zuvor habe es lediglich sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen gegeben, die Protestierende antreten mussten, wenn sie eine Geldstrafe nicht bezahlt hatten.

Der am Montag inhaftierte Karl Braig stammt aus dem Allgäu und ist 69 Jahre alt. Nach eigenen Angaben wurde er vom Amtsgericht Passau zu einer Haftstrafe von fünf Monaten auf Bewährung verurteilt. Weil er sich aber geweigert habe, die Bewährungsauflage von 500 Euro zu zahlen, habe die Staatsanwaltschaft Passau ihn zu einer fünfmonatigen Haft in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Kempten geladen, sagte der Umweltschützer.

Hintergrund sind nach seinen Worten zwei Sitzblockaden im März 2023 in Passau. Dort habe er sich mit weiteren Demonstrierenden auf der Straße festgeklebt. Einen Tag später wiederholte die Gruppe die Aktion in Passau an anderer Stelle. Insgesamt habe er an beiden Tagen anderthalb Stunden den Verkehr blockiert.

»Wir erleben, dass seit zwei Jahren immer härter gegen Klimaaktivist*innen vorgegangen wird.«

Lilly Schubert Pressesprecherin RAZ e.V.

»Ein Vater und Rentner muss für fünf Monate in Haft kurz vor Weihnachten, wegen eines kurzen Verkehrsstaus«, so Lilly Schubert vom Verein Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft (RAZ), der Braig vor, während und nach seiner Haft unterstützt. »Dieses unverhältnismäßig harte Urteil jetzt wirft die Frage auf, wie künftig gegen Engagement für Menschenrechte und Klimaschutz vorgegangen wird.«

Christian Bergemann, Sprecher der Letzten Generation, bezeichnet das Urteil als »krasse Überreaktion« der Justiz. Insbesondere die Ladung kurz vor Beginn der Weihnachtsamnestie sei nicht nachvollziehbar. In dieser Zeit kurz vor Weihnachten bis Anfang Januar würden in der Regel keine Ladungen zur Haft ausgestellt.

Für Braig ist es nicht der erste Gefängnisaufenthalt. »Karl hat sich sein Leben lang auf unterschiedlichen Wegen für Umweltschutz und Klimagerechtigkeit eingesetzt«, schreibt die Letzte Generation in den sozialen Medien. »Dafür saß er unter anderem bereits im Zuge der Anti-Atom-Proteste der 80er Jahre im Gefängnis.« Einem Blog zufolge musste Braig später noch einmal hinter Gitter. Der Website ist zu entnehmen, dass der Rentner im Januar 2019 offenbar eine weitere Haftstrafe antrat, wegen »Aktionen des zivilen Ungehorsams« gegen das Verkehrsprojekt Stuttgart 21. Auch für den jetzigen Gefängnisaufenthalt ist ein Online-Tagebuch aufgelegt. Unter karl.hamatoma.de sollen Briefe von Braig aus dem Gefängnis veröffentlicht werden. Indes seien inzwischen viele Solidaritätsbriefe für ihn über ein Formular eingegangen, teilte Schubert vom RAZ mit.

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Zum aktuellen Zeitpunkt seien bereits 22 Mitglieder der Letzten Generation zu Haftstrafen verurteilt worden, so die Pressesprecherin zu »nd«. Rechtskräftig sei von diesen bislang nur die nun angetretene von Karl Braig. Einige Urteile wurden zudem in zweiter Instanz nicht bestätigt. Zwei Rekordstrafen wurden im August ausgesprochen: Miriam Meyer wurde zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt und Winfried Lorenz zu einem Jahr und zehn Monaten. Beide Strafen sind nicht zur Bewährung ausgesetzt, aber auch noch nicht rechtskräftig. In Meyers Fall ist es Schubert zufolge wahrscheinlich, dass das Verfahren größtenteils nach Flensburg verlagert wird, dort läuft gegen die Aktivistin eine weitere Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Termine für ein Berufungsverfahren im Fall von Winfried Lorenz sind noch nicht angesetzt.

»Allgemein erleben wir, dass seit zwei Jahren immer härter gegen Klimaaktivist*innen – auch außerhalb der Letzten Generation – vorgegangen wird«, klagt Schubert. Außerdem wachse die »Kluft zwischen den Extremen«: »Sowohl Freisprüche werden häufiger, als auch immer härtere Urteile«, sagt die Pressesprecherin.

Immer härteres Vorgehen gegen Umweltaktivist*innen ist nicht nur in Deutschland zu beobachten. Vielmehr handelt es sich um ein globales Phänomen. Das belegt etwa ein kürzlich erschienener Bericht von Amnesty International über die Verfolgung von gewaltfreiem Protest. Auch die Klima- und Menschenrechtsorganisationen Climate Rights International (CRI) und Global Witness veröffentlichten entsprechende Untersuchungen. Für besonders viel Aufsehen sorgte ein Gerichtsverfahren in Großbritannien: Im Juli wurden fünf Mitglieder der Umweltschutzgruppe Just Stop Oil zu vier bis fünf Jahren Haft verurteilt. Möglich wurde das durch ein eigens geschaffenes Gesetz, mit dem härter gegen Straßenblockaden vorgegangen werden kann.

»Die Unterdrückung der Umweltaktivist*innen stellt eine große Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte dar.«

Michel Forst UNECE-Sonderberichterstatter zur Situation von Umweltschützern

»Die Unterdrückung, der Umweltaktivist*innen, die friedlichen zivilen Ungehorsam leisten, derzeit in Europa ausgesetzt sind, stellt eine große Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte dar«, meint der Sonderberichterstatter zur Situation von Umweltschützern der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE), Michel Forst. Der ökologische Notstand, mit dem wir kollektiv konfrontiert seien und den Wissenschaftler seit Jahrzehnten dokumentierten, könne nicht angegangen werden, wenn diejenigen, die Alarm schlagen und Maßnahmen fordern, dafür kriminalisiert werden, so Forst in einem Positionspapier.

Alarm schlugen jedenfalls die Unterstützer von Karl Braig: Vor dem Haftantritt des 69-Jährigen organisierte die Letzte Generation eine Mahnwache vor der JVA Kempten. Anwesend waren etwa 50 Mitglieder der Gruppe. Unter Tränen hielten mehrere Menschen Reden und verabschiedeten sich von Braig. Als der Rentner den Gang in die JVA antrat, rief die Gruppe im Chor: »Du bist nicht allein!«  mit dpa

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