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EuGH: Rechte von Hausarbeiterinnen gestärkt
Europäischer Gerichtshof verpflichtet Arbeitgeberinnen zu systematischer Arbeitszeiterfassung
Mit einem Urteil vom Donnerstag stärkt der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechte von Hausarbeiterinnen und verpflichtet Arbeitgeberinnen prinzipiell dazu, Systeme zur objektiven Erfassung der Arbeitszeit ihrer Angestellten zu etablieren. »Damit wird ihre Situation erheblich verbessert«, erklärt die Soziologin Virginia Kimey Pflücke von der TU Cottbus im Gespräch mit »nd«. Sie hat zur Lage von Hausarbeiterinnen in Spanien und Uruguay geforscht.
Hintergrund ist die Klage einer vollzeitbeschäftigten Hausangestellten aus Spanien, die juristisch gegen ihre Entlassung vorging. Vor spanischen Gerichten bekam sie zwar Recht, ihr wurden aber Auszahlungen für ausstehende Urlaubstage und Sonderzahlungen verwehrt, weil die Arbeitgeberin die Arbeitszeiten nicht erfasst hatte.
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Der EuGH urteilte nun, dass diese mangelnde Arbeitszeiterfassung mit EU-Recht inkompatibel sei. Damit haben die Richter*innen zwar nicht über den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit geurteilt, doch die Entscheidung ist für EU-Gerichte bindend. Das spanische Gericht muss außerdem prüfen, ob eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliegt, weil in Haushalten hauptsächlich Frauen beschäftigt sind.
Das neue Urteil könnte der Soziologin Pflücke zufolge bedingen, dass auch der Haushalt als Arbeitsplatz besser reguliert wird und sich Arbeitgeberinnen stärker als solche verstehen. »Die Arbeitsbeziehung im Haushalt ist historisch stark davon geprägt, dass die Tätigkeiten nur als Hilfen von Mädchen und Frauen verstanden werden, nicht als Arbeit, die erlernt werden muss«, sagt die Sozialforscherin. »Wenn Haushaltsvorstände nun die Arbeitszeit erfassen müssen, werden sie letztlich in ihre Rolle als Arbeitgeber finden müssen.«
Reformen in Spanien
Dass die Klage von einer spanischen Haushälterin angestrengt wurde, hat mit der Rechtssituation in dem Land zu tun. »Lange Zeit gab es dort ein besonderes Regime, das einen Kündigungsschutz für Hausangestellte verhinderte«, erklärt Pflücke. Der Privathaushalt ist stärker vor staatlichen Eingriffen geschützt. »Man kann nicht einfach Arbeitsinspektionen durchführen, sondern braucht einen juristischen Beschluss«, so die Soziologin. »Das wird aber als Vorwand genutzt, um die Hausangestellten aus dem Arbeitsschutz herauszuhalten.«
Das änderte sich teilweise, als die spanische Regierung im Jahr 2022 eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen beschloss. Seitdem haben Hausarbeiterinnen ein Anrecht auf Kündigungsschutz und Arbeitslosengeld. »Jetzt können Verträge nur noch regulär gekündigt werden, es gibt Ausgleichszahlungen und mehr Schutzmaßnahmen«, erklärt Pflücke. Auch vor diesem Hintergrund kommt es vermehrt zu Klagen.
Der Sektor in Spanien ist groß und macht je nach Region 1,9 bis 3,2 Prozent der insgesamt sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse aus. »95 Prozent sind Frauen, davon mindestens 42 Prozent Migrantinnen«, sagt Pflücke. Laut Zahlen der Entwicklungsorganisation Oxfam wurden fast die Hälfte aller Arbeitserlaubnisse, die in Spanien 2020 an Ausländerinnen für die Haushaltsarbeit vergeben. Von den Personen ohne reguläre Aufenthaltserlaubnis arbeiten 23 Prozent in dem Sektor.
Hohe Zahl irregulär Beschäftigter
Die Zahl der irregulär Beschäftigten ist hoch. Nach aktuellen Statistiken aus dem Jahr 2023 sind 376 000 Hausarbeiterinnen in der spanischen Sozialversicherung registriert. Schätzungen aus dem Jahr 2018 gingen davon aus, dass 600 000 bis 700 000 Arbeiterinnen in der Branche tätig sind. Das würde bedeuten, dass in Spanien viele informell arbeiten. Sie haben keine offizielle Anstellung, in der Regel keinen Arbeitsvertrag, kein Recht auf Kranken- und Arbeitslosengeld und werden unter der Hand bezahlt.
Ähnlich auch in der EU: Laut Schätzungen der Kommission arbeiten rund 9,5 Millionen Beschäftigte im Haushaltssektor, davon etwa 3,1 Millionen informell. In Deutschland ist die Lage besonders prekär. Nach aktuellen Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft werden mehr als 90 Prozent informell beschäftigt. »Das hat damit zu tun, dass es in Deutschland keine Anreize zur Anmeldung und keine funktionierende Arbeitsinspektion gibt«, erklärt Pflücke. Es gibt maximal eine Minijobregelung ohne Schutz durch die Sozialversicherung.
Uruguay macht es vor
Umso wichtiger ist eine Regulierung der Branche, deren Bedeutung aufgrund des demografischen Wandels weiter zunimmt. Doch auch nach dem Urteil wird es schwer, die Arbeitszeit zu erfassen, mahnt Pflücke zur Skepsis. »Eine Verbesserung von Arbeitsbedingungen in dem prekären Sektor gibt es nur, wenn der politische Wille dazu stark ist, was sich etwa an einer wirkmächtigen Arbeitsinspektion zeigt, und bei starkem gewerkschaftlichen Druck«, unterstreicht sie. In vielen Ländern sind die Arbeitsschutzbehörden unterbesetzt.
Dabei könnten sich die EU-Staaten an Uruguay orientieren, erklärt die Soziologin. Nach mehreren Reformen ab 2006 wurden Zehntausende Inspektionen durchgeführt und so die informelle Beschäftigung zurückgedrängt. »Arbeitgeber müssen Strafen zahlen, wenn herauskommt, dass Hausangestellte nicht bezahlt wurden.« Mittlerweile liegt die Quote bei über 70 Prozent formeller Beschäftigung. »Das war ein riesengroßer Fortschritt«, betont Pflücke.
Die Europäische Arbeitsbehörde fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation zur Hausarbeit zu ratifizieren und durchzusetzen, womit der Sektor formalisiert würde. Auch müssten regulatorische Rahmen beschlossen werden, die Mindestlöhne, Arbeitszeiten und soziale Standards in der Branche festlegen. Dazu könnte auch ein Voucher-System zählen, wie es in Belgien etabliert wurde, ergänzt Pflücke. »Das kann bewirken, dass Haushaltskräfte für die Pflege- und Hausarbeit staatlich subventioniert zu besseren Arbeitsbedingungen kommen.«
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