Drei Jahre bis zum Bruch

Von der »Fortschrittskoalition« zur »Streitampel«: Die Mehrheit der Vorhaben ist nicht umgesetzt

  • Jana Frielinghaus und Pauline Jäckels
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum Ende meistens schlecht gelaunt: Das Ampel-Spitzentrio aus Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner.
Zum Ende meistens schlecht gelaunt: Das Ampel-Spitzentrio aus Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner.

»Mehr Fortschritt wagen« lautete im Dezember 2021 das Motto der frisch gebackenen Regierung aus SPD, Grünen und FDP. Nach 16 Jahren Merkel-Regierungen herrschte Aufbruchsstimmung in Berlin. Gemeinsam wollte man die »notwendige Modernisierung vorantreiben« und »eine neue Dynamik auslösen« versprachen die Ampel-Parteien – was auch immer das heißen sollte.

Weniger als drei Jahre später ist die Ampel kaputt. In seinem Koalitionsvertrag hatte sich das selbsternannte »Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Klimaschutz« noch viel vorgenommen: Eine neue Migrationspolitik, die Menschenrechtsverpflichtungen wie Arbeitsmarktbedürfnissen Deutschlands gerecht wird; eine Bildungspolitik, die Chancengleichheit und Digitalisierung in den Mittelpunkt rückt; eine Sozialpolitik, die den Sozialstaat »bürgerfreundlicher, transparenter und unbürokratischer« macht. Und nicht zuletzt eine Wirtschaftspolitik, die Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander vereinbaren wollte.

Schon damals las sich das Dokument wie eine Aneinanderreihung rot-grün-liberaler Versatzstücke. Es barg, wie wir heute wissen, mehr Streit- als Kompromisspotenzial. Mithin wird die Koalition den meisten Menschen wohl eher als Streitampel in Erinnerung bleiben.

Man mag ihr zugutehalten, dass die Umstände herausfordernd waren. Die Coronakrise war noch nicht vorbei, und kurz nach ihrem Amtsantritt griff Russland die Ukraine an. Ihren Handlungsspielraum hat die Ampel aber selbst begrenzt, unter anderem durch das strikte Festhalten an der Schuldenbremse. Was haben SPD, Grüne und FDP dennoch geschafft? Das Projekt »Frag den Staat« identifizierte 271 Vorhaben der Ampel. Davon setzte das Bündnis ein gutes Drittel der Projekte ganz oder teilweise um. Ein weiteres Drittel wurde demnach zumindest begonnen.

Das Thema Flucht und Migration hat im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg neues Gewicht bekommen, denn Deutschland hat in der Folge rund eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, überwiegend Frauen und Kinder. Da sie nach wie vor mehrheitlich Bürgergeld erhalten, hat sich der Umfang des entsprechenden Postens im Bundeshaushalt beträchtlich vergrößert.

Als »Schuldige« daran machte die Ampel aber angeblich faule Erwerbslose aus – und die Höhe des zuletzt auf 560 Euro monatlich angehobenen Regelsatzes. Die Liberalen forderten seine Senkung, weil angeblich sonst nicht genug Anreiz bestehe, eine Arbeit aufzunehmen.

»Wer sich im Wahlkampf den Schutz fliehender Menschen auf die Fahnen schreibt, aber in der Regierung Haftzentren an den EU-Außengrenzen zustimmt, macht sich unglaubwürdig.«

Wiebke Judith Pro Asyl

Vor allem aber ist dem auch in der Ampel vorherrschenden Diskurs zufolge die »irreguläre Migration« an allen Haushalts- und sonstigen gesellschaftlichen Problemen schuld. Irregulär oder illegal kommen demnach vor allem Menschen aus Krisenländern wie Afghanistan, Syrien, Iran, Irak nach Deutschland, die zudem pauschal als Gruppe gelabelt werden, von der Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen.

Vorfälle wie der Messerangriff von Mannheim am 31. Mai dieses Jahres, bei dem ein Afghane einen Polizisten tötete und fünf weitere Personen schwer verletzte, nahm die Ampel zum Anlass für ihr »Asyl- und Sicherheitspaket«, das die Befugnisse für Ermittlungsbehörden zur Überwachung nochmals erweiterte und die Rechte Geflüchteter erneut einschränkte.

Zwei Drittel der asyl- und migrationspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrags vom Dezember 2021 wurden nicht oder nur rudimentär umgesetzt. Zwar gibt es im Rahmen des sogenannten Chancenaufenthaltsrechts inzwischen einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen ohne Aufenthaltstitel. Doch der Nachzug von Angehörigen subsidiär Schutzberechtigter – dies betrifft vor allem Kriegsflüchtlinge aus Syrien – ist noch immer weitgehend blockiert. Auch das Versprechen, sogenannten Ortskräften der Bundeswehr und deutscher Organisationen in Afghanistan in der Bundesrepublik Schutz zu gewähren, wurde nicht eingelöst. Statt geplant 25 000 wurden bis dato weniger als 900 ehemalige Ortskräfte aufgenommen, das entsprechende Bundesaufnahmeprogramm ist inzwischen gestoppt.

Zugleich trieb die Ampel die massiven Rechteeinschränkungen im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) mit voran. Generell folgte ihre Fluchtpolitik nur noch der Maßgabe von Kanzler Scholz, man müsse »in großem Stil abschieben«, und der Minimierung der »irregulären« Grenzübertritte, die bereits messbare »Erfolge« hatte.

Diese gehen Unionsparteien, BSW und AfD längst nicht weit genug, sie wollen Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten verlagern. Dagegen wenden sich SPD und Grüne nun in ihren Programmen zur Bundestagswahl. Pro Asyl erinnerte daran, dass beide Parteien der GEAS-Reform zugestimmt haben. »Wenn man im Wahlkampf die völkerrechtswidrigen Pushbacks kritisiert und sich den Schutz von fliehenden Menschen auf die Fahnen schreibt, aber dann in der Regierungsverantwortung einer massiven Verschlechterung der Rechte von Asylsuchenden durch Haftzentren an den Außengrenzen zustimmt, macht man sich unglaubwürdig«, kritisierte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin der Organisation.

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