Berlin: Kein Ab-Bauetat für Vorurteile

Der Senat streicht die Förderung für Berlins Erste Drei-Religionen-Kita

  • Hannah Blumberg
  • Lesedauer: 4 Min.
Iman Andrea Reimann (Zweite von links), Kathrin Janert, Rabbinerin Gesa Ederberg und Pfarrerin Silke Radosh-Hinder
Iman Andrea Reimann (Zweite von links), Kathrin Janert, Rabbinerin Gesa Ederberg und Pfarrerin Silke Radosh-Hinder

Von den Kleinsten ins Große. So plant ein Berliner Kindergartenprojekt nicht nur den Zugang zu Gott, sondern vor allem zu einer interreligiösen Werterziehung, die in angespannten Zeiten vermittelnde Impulse senden soll. Seit zehn Jahren arbeiten Vertreterinnen von Judentum, Christentum und Islam dafür, ihren Traum von der ersten Drei-Religionen-Kita umzusetzen. Jetzt, kurz vor Baubeginn, streicht die Senatsverwaltung für Bildung sämtliche Mittel und das Projekt ist akut gefährdet.

»Wir sind an einem Punkt, wo alles fertig ist«, sagt Anna Poeschel, die sich beim Drei-Religionen-Kita-Haus um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Sämtliche Genehmigungen seien durch, man könne sofort loslegen. »Wenn jetzt die Förderung gestrichen wird, dann bedeutet das quasi das Aus unseres Projektes.« Bei einer weiteren Verzögerung um ein oder zwei Jahre, die Haushaltslage von Berlin sei ja nicht abzusehen, würden die Kosten so steigen, dass sie nicht mehr tragbar wären, so Poeschel.

Auf dem Gelände der Kirchengemeinde St. Markus in Friedrichshain sollte das viergeschossige Gebäude drei Kindergärten und 135 Kinder vereinen. Geplant waren Begegnungszentrum, Familiencafe, Bibliothek mit Seminarräumen und Dachgarten. Die Eröffnung war für 2026 angesetzt. Hinter dem Projekt stehen vor allem Iman Andrea Reimann, Geschäftsführerin des Deutschen Muslimischen Zentrums Berlin, Rabbinerin Gesa S. Ederberg, zuständig für die Synagoge Oranienburger Straße, und Silke Radosh-Hinder und Kathrin Janert vom Evangelischen Kirchenkreis.

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Von den insgesamt zehn Millionen Euro, die der Bau kostet, kämen fast 5,4 Millionen von der Senatsverwaltung für Bildung. Im Bildungsausschuss am 12. Dezember gab Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) bekannt, dass die Investitionsmittel im Zuge der Einsparungen im Gesamthaushalt komplett gestrichen seien. »Da die den größten Batzen ausmachen, sind wir damit zum Scheitern verurteilt«, so Anna Poeschel. Einen Tag vor der Verkündigung im Bildungsausschuss sei das Kitaprojekt durch Staatssekretär Falko Liecke von der Senatsverwaltung für Bildung auf Nachfrage informiert worden. »Einen Tag vorher, da ist man ja auch nicht mehr handlungsfähig«, sagt Poeschel. Die Begründung der Bildungssenatorin: Es gebe keinen Bedarf an neuen Kitaplätzen für Friedrichshain. Auf die Frage von der Grünen-Fraktion, weshalb gerade eine Partei, die das Christentum im Namen trägt, ein solches Projekt streicht, antwortet Günther-Wünsch: »Es gibt ja auch noch mehr Vorhaben innerhalb der Koalition, die mit religiöser Erziehung von Kindern und Jugend zu tun haben.«

»Wir brauchen jetzt eigentlich Orte und Gelegenheiten, wo Menschen sich begegnen, insbesondere Kinder.«

Anna Poeschel Pressesprecherin Drei-Religionen-Kita-Haus

Dabei wurde die Drei-Religionen-Kita mehrmals als »Leuchtturmprojekt des interreligiösen Dialogs benannt«, wie Anna Poeschel sagt. 2022 erhielt das Projekt den Sonderpreis beim Wettbewerb »Respekt gewinnt« des Berliner Ratschlags für Demokratie, 2024 den Förderpreis der Deutschen Nationalstiftung. 2024 war es nominiert für den Deutschen Engagementpreis. Explizit erwähnt ist die Drei-Religionen-Kita sogar in zwei Koalitionsverträgen, die sich mit der »Unterstützung für Projekte der religionsübergreifenden Verständigung« schmücken, dem der rot-rot-grünen Regierung 2021 und dem der jetzigen Großen Koalition, die nun plant, die Förderung komplett zu streichen.

Beim Kita-Projekt sei man fassungslos, dass man so kurz vor der Realisierung dieser Entscheidung zum Opfer falle, so Poeschel. Man habe im Austausch mit der Senatsverwaltung gestanden und sei deshalb umso entsetzter, auch darüber, was das für die Stadt bedeute. »Wir leben ja in einer Zeit von gesellschaftlichen Spaltungen«, so Poeschel. Antisemitismus und islamfeindliche Übergriffe nähmen zu. »Wir brauchen jetzt eigentlich Orte und Gelegenheiten, wo Menschen sich begegnen, insbesondere Kinder.« Stattdessen werde wieder bei den Schwächsten der Gesellschaft gespart.

Trotz der unvermittelt prekären finanziellen Situation kämpft die Drei-Religionen-Kita weiter. »Wir arbeiten im Hintergrund und nutzen unsere Kontakte in die Politik, um da noch mögliche Änderungen zu erreichen«, sagt Poeschel. Zusätzlich werden auf der Seite Openpetition Unterschriften für den Bau der Kita gesammelt, um im vielfältigen Berlin eine eigentlich fertig geplante Vorreiterstätte der kulturellen Verständigung nicht untergehen zu lassen.

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