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Sachsens Kommunen im Milliardenloch

Spitzenverband sträubt sich wegen Finanznot gegen »soziale Wohltaten«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Wegen ihrer finanziellen Notlage sträuben sich die Kommunen gegen »soziale Wohltaten« im Kita- und Vorschulbereich.
Wegen ihrer finanziellen Notlage sträuben sich die Kommunen gegen »soziale Wohltaten« im Kita- und Vorschulbereich.

In den sächsischen Kommunen »schlägt das Herz unserer Demokratie«. Der hochtönende Satz steht im Koalitionsvertrag, den CDU und SPD Anfang Dezember für die von ihnen gebildete Minderheitsregierung im Freistaat abgeschlossen haben. Vier Wochen später werden sie eindringlich darauf hingewiesen, dass das kommunale »Herz« kurz vor dem Infarkt steht. Grund ist eine katastrophale Finanzlage. Der Schuldenstand der Kommunen habe erstmals die Marke von einer Milliarde Euro überschritten, teilte der Sächsische Städte- und Gemeindetag (SSG) mit. Die kommunalen Haushalte befänden sich »in einem Ausnahmezustand«.

Die schwierige Lage hat nach Angaben des Spitzenverbands zwei Gründe. Zum einen wüchsen die Steuereinnahmen nicht mehr. Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer seien im dritten Quartal erstmals seit vier Jahren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken. Zugleich würden die Ausgaben »sprunghaft« ansteigen. Bei den Personalkosten betrage das Plus gegenüber dem Vorjahr knapp 8 Prozent, bei den Sozialausgaben sogar 17 Prozent.

Beide Entwicklungen münden gemeinsam in eine Krise, die sich in hohem Tempo zuspitzt. Im Juni hatte das Defizit noch bei 640 Millionen Euro gelegen, drei Monate später war es mit 1,07 Milliarden Euro mehr als anderthalbmal so hoch. Gut die Hälfte der Summe entfällt auf die drei kreisfreien Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz. Deren Stadträte sehen sich derzeit mit dramatischen Sparplänen der Verwaltungen konfrontiert, die auch soziale sowie Jugend- und Kulturprojekte hart träfen. Die andere Hälfte betrifft Kommunen im ländlichen Raum.

Der SSG mahnt das Land angesichts der dramatischen Lage nachdrücklich zum Handeln. Man benötige »entschiedene Schritte«, sagte Präsident Bert Wendsche, Oberbürgermeister von Radebeul. Neben einem Bekenntnis zu einem Finanzpaket, auf das man sich im Juli nach zähen, zwischenzeitlich bereits fast gescheiterten Verhandlungen geeinigt hatte, und der Einsetzung einer Reformkommission, die unter anderem einen Abbau von Bürokratie bewirken soll, verlangte er auch einen »Verzicht auf soziale Wohltaten«. Konkret nannte er das kostenfreie Vorschuljahr und das sogenannte Kita-Moratorium.

Damit wenden sich die Kommunen freilich gegen wichtige Vorhaben der neuen Koalition. Diese will, vor allem auf Drängen der CDU, zum einen dafür sorgen, dass das letzte Jahr im Kindergarten in ein verpflichtendes und vor allem für die Eltern kostenfreies Vorschuljahr umgewandelt wird. Da sich in die Finanzierung der Kinderbetreuung bisher Freistaat, Eltern und Kommunen teilen, befürchten Letztere eine erhebliche Mehrbelastung.

Zugleich hat die Landespolitik entschieden, trotz des derzeitigen Rückgangs der Kinderzahlen nicht im gleichen Tempo auch das Personal in den Kitas zu reduzieren. Vielmehr wolle man, wie es im Koalitionsvertrag heißt, die »demografische Rendite« nutzen, um den Personalschlüssel zu verbessern, der im Bundesvergleich zu den schlechtesten gehört. Auch hier fürchten die Kommunen erhebliche Mehrkosten.

In der Landesregierung gibt es durchaus Mitgefühl. »Wir erkennen an, dass die kommunale Finanzkraft nicht ausreicht und dauerhaft weiter gestärkt werden muss«, heißt es im Regierungsprogramm. Offen ist, wie schnell Hilfe gewährt wird. Eine Überarbeitung des Gesetzes über den Finanzausgleich (FAG) ist erst für 2027/28 geplant. Für nächstes und übernächstes Jahr werden »Übergangslösungen« in Aussicht gestellt. Dadurch sollen Städte und Gemeinden etwa bei der Finanzierung von Nahverkehr und Kinderbetreuung entlastet werden, die Landkreise im Sozialbereich. Allein dort droht ihnen laut Landesregierung im Jahr 2025 ein Defizit von einer halben Milliarde Euro. Die drei Großstädte betreffe das »analog«.

»Wir erwarten Verzicht auf soziale Wohltaten und Standardsteigerungen wie elternbeitragsfreies Vorschuljahr oder Kita-Moratorium.«

Bert Wendsche Präsident SSG Sachsen

Die Kommunen hatten sich vom Koalitionsvertrag enttäuscht gezeigt und waren darin etwa vom BSW bestärkt worden. Dessen Landtags-Fraktionschefin Sabine Zimmermann erklärte, die Städte und Gemeinden suchten in dem Regierungsprogramm »vergeblich nach Lösungen für eine auskömmliche Finanzierung«.

Bisher gibt es wegen der Landtagswahl und der nachfolgenden Regierungsbildung noch nicht einmal einen Landeshaushalt für 2025. Der Freistaat befindet sich in der vorläufigen Haushaltsführung, was bedeutet, dass Mittelempfänger wie die Kommunen nicht einmal die üblichen Mittel in voller Höhe erhalten.

Die Koalition peilt einen Etatbeschluss bis zum Sommer an, benötigt dafür aber Hilfe aus der Opposition, weil ihr zehn Stimmen zur Mehrheit fehlen. Die Linke hat bereits angekündigt, man werde nur einem »sozial verantwortungsvollen« Landeshaushalt zustimmen. Fraktionschefin Susanne Schaper betonte in diesem Zusammenhang, auch die Kommunen müssten »schnellstens besser ausgestattet werden«.

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