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Kanzler Scholz: Neujahrsgruß im Wahlkampfmodus
In seiner letzten Ansprache zum Jahreswechsel appelliert der Kanzler an Vernunft und Solidarität
»Das Böse« sei am 20. Dezember »jäh in unseren Alltag getreten«. So begann Kanzler Olaf Scholz seine Neujahrsansprache. Den von einem aus Saudi-Arabien stammenden Arzt verübten Anschlag von Magdeburg, durch den fünf Menschen starben und mehr als 230 verletzt wurden, erklärte er damit zu einem unabwendbaren Schicksalsschlag. Zwar betonte auch er, Fehler von Behörden und Politik müssten ermittelt und aufgearbeitet werden. Vorrangig nutzte der SPD-Politiker seine Rede jedoch für eine allgemeine Beschwörung von Solidarität und ehrenamtlichem Engagement.
Scholz dankte allen, die Verwundete versorgt und behandelt haben. Polizei und Rettungskräfte hätten in der »Schreckensnacht« hochprofessionell gehandelt, viele Menschen hätten spontan geholfen. »So sind wir. So ist Deutschland«, behauptete der Kanzler. »Wir sind kein Land des Gegeneinanders, auch nicht des Aneinander-vorbei. Sondern ein Land des Miteinanders.« Daraus lasse sich »Kraft schöpfen – erst recht in schwierigen Zeiten wie diesen«, so Scholz mit Blick auf die schwache Wirtschaftslage, hohe Preise und Russlands Krieg gegen die Ukraine.
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Angesichts solcher Sorgen sei es kein Wunder, wenn viele sich fragten, wie es weitergehe. Seine Antwort laute: »Unser Zusammenhalt macht uns stark.« Dass Polarisierung und Hetze gegen Migranten und Geflüchtete nach dem Anschlag weiter zugenommen haben, dass in Magdeburg und anderswo Demonstrationen der AfD für Abschiebungen und Abschottung stattfinden, erwähnte der Kanzler nicht. Erst am Silvesterabend gingen im südbrandenburgischen Cottbus Hunderte AfD-Anhänger gegen »die deutsche Migrationspolitik« auf die Straße.
Der Kanzler erinnerte derweil daran, dass Deutschland immer noch drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt sei. Teil dieser »Erfolgsgeschichte« seien auch viele Beschäftigte aus anderen Ländern, die mit anpackten. »Lassen wir uns also nicht auseinanderdividieren.« Scholz nannte auch Aufstiegschancen, gute medizinische Behandlungsmöglichkeiten, die enge Zusammenarbeit der Tarifpartner und ein vielfach ehrenamtliches Alltagsengagement im Kleinen als Beispiele für die angebliche Stabilität der deutschen Gesellschaft.
Scholz rief zur Beteiligung an der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar auf. »Wie es in Deutschland weitergeht, das bestimmen Sie – die Bürgerinnen und Bürger. Darüber entscheiden nicht die Inhaber sozialer Medien«, fügte er hinzu, ohne den Besitzer der Plattform X, Elon Musk, namentlich zu nennen. Der US-Milliardär hatte zuletzt in einem Beitrag für die Zeitung »Die Welt« für die AfD geworben.
Der Kanzler hielt dem entgegen, wie es hierzulande weitergehe, bestimme nicht, »wer am lautesten schreit«, sondern »die ganz große Mehrheit der Vernünftigen und Anständigen«. Über das Internet verbreitete Gerüchte wie nach dem Attentat von Magdeburg würden das Land spalten und schwächen, warnte er. Wo es Versäumnisse bei Sicherheitsbehörden gegeben habe, würden sie aufgeklärt und abgestellt.
»Wir sind kein Land des Gegeneinanders, auch nicht des Aneinander-vorbei. Sondern ein Land des Miteinanders.«
Olaf Scholz Bundeskanzler
Zur Spaltung und zu Schuldzuweisungen an Migranten und Geflüchtete wie auch an Menschen im Bürgergeldbezug trug derweil die SPD im vergangenen Jahr maßgeblich bei, unter anderem durch die von ihr vorangetriebene weitere Verschärfung der Asylgesetze. Und aktuell wächst in der Partei offenbar die Bereitschaft für zusätzliche Verschärfungen beim Bürgergeld, das CDU und CSU nach der Bundestagswahl abschaffen wollen. Dabei hatte die Ampel-Koalition bereits die Verschärfung von Sanktionen gegen Personen beschlossen, die Jobangebote wiederholt ablehnen.
Daran erinnerte SPD-Chef Lars Klingbeil und teilte mit, in seiner Partei könne man sich vorstellen, weitere Strafen gegen erwerbsfähige Leistungsbezieher zu unterstützen. »Es geht um schärfere Sanktionen gegen so genannte Totalverweigerer, die Jobangebote wiederholt ablehnen, sowie gegen Bürgergeldbezieher, die beim Schwarzarbeiten erwischt werden«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe am 1. Januar.
Der Union warf Klingbeil zugleich Populismus vor. Sie nutze die Debatte um das Bürgergeld, um Stimmung zu machen. »Wir korrigieren, wo Bedarf ist und spielen Menschen nicht gegeneinander aus«, so der SPD-Ko-Vorsitzende. Zuvor hatte bereits SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mit Blick auf eine Beteiligung seiner Partei an einer unionsgeführten künftigen Bundesregierung »Gesprächsbereitschaft« beim Bürgergeld signalisiert.
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CDU und CSU wollen vor allem bei den Sozialleistungen und der Unterstützung von Geflüchteten ansetzen, um weitere Steuergeschenke an Unternehmen und Besserverdienende zu finanzieren.
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz gab sich derweil staatsmännisch und kündigte im Fall eines Wahlsiegs einen neuen Führungsstil an. Der CDU-Vorsitzende sagte der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag, er wolle in einer Koalition keinen öffentlich ausgetragenen Dauerstreit zulassen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verlangte derweil eine effizientere Zusammenarbeit künftiger Regierungspartner. Dabei solle neben einer neuen Art von Koalitionsvertrag der Koalitionsausschuss eine wichtige Rolle spielen, der ein »eigenes Machtinstrument werden« müsse. mit Agenturen
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