Tagebuch aus Israel: Auf dem Schuttberg

Die Journalistin Miriam Sachs ist für »nd« in Israel unterwegs – und schildert hier ihre Eindrücke

Die Sphinx wirkt wie ein riesiger Hofhund hinter Gitter.
Die Sphinx wirkt wie ein riesiger Hofhund hinter Gitter.

17.3.2025: Ich sitze auf einem Haufen Schutt. Heiser bellende Hunde in der Gluthitze. Ein Trümmerberg am Ende einer unscheinbaren Sackgasse, die sich an einem Mauerzaun entlangwindet. Einem angebundenen Pferd bleibt keine andere Aussicht als ein Spalt in der Mauer, hinter dem ein anderes »Tier« hinter Gittern sitzt: die Sphinx. Wirkt wie ein riesiger Hofhund, ebenfalls an zu kurzer Leine. Dahinter Pyramiden.

Ich hatte keine Kraft für eine Sightseeing-Tour. Schon der Gang über die Straße vom Hotel (»Need a Taxi, Lady?«, »Wellness?«, »Ride a Camel?«) trieb mich zur Flucht in die Seitengasse. Ich bin am Ende dieser Reise. Und pleite. Der Koffer aber ist übergeben.

Der Schutthaufen, auf dem ich sitze, muss früher zum Touri-Areal gehört haben. Die Ruine eines alten Ladens (»Champion-Papyrus«), ein eingefallenes Portal. Ein zerbrochenes Stück Fußbodenmosaik fällt mir in die Hand. Der Grat zwischen liegen gebliebenem Schrott und archäologischer Relevanz ist hier schmal.

***

Rola hatte sich gefreut, mich zu sehen. Qais, der verletzte Sohn meines Freundes Deeb, freute sich über Tablet und Schokolade. Die Nachricht vom bald eintreffenden Rollstuhl kommentierte Rola, seine Großmutter: Der sei vielleicht gar nicht vonnöten, denn Qais würde möglicherweise in ein paar Wochen wieder laufen können. Eine schwindelerregend gute Nachricht.

Tagebuch aus Israel

Miriam Sachs ist Autorin und Theatermacherin. Ihre Arbeit brachte sie immer wieder nach Gaza. Als im August 2024 der neunjährige Sohn ihres Kollegen Deeb von einer Drohne angeschossen wurde, versuchte sie vergeblich, das Kind zur Behandlung nach Deutschland zu bringen. Ebenso wenig hatte ihr Versuch Erfolg, einen Koffer mit Hilfsmitteln nach Gaza zu bringen. Nun ist sie für einige Wochen wieder in Israel unterwegs – nicht nur, aber auch, um den rosa Rollkoffer doch noch an sein Ziel zu befördern. Für »nd« führt sie ein Tagebuch.

»In ein paar Wochen???«

Klingt zu schön, um wahr zu sein. Ein Kind, das seit sieben Monaten gelähmt ist, soll keinen Rollstuhl mehr brauchen? Alles entgleitet. So sehr Rola sich anfangs über den Kofferinhalt gefreut hatte – Zweifel an einem Happy End kann sie nicht brauchen. Aufgeben? Gibt’s nicht!

Aber gibt es überhaupt irgendetwas? Die Booking.com-Hotels existierten nicht, vom Internet ganz zu schweigen. Das Antibiotikum, das ein Arzt mir zu kaufen empfohlen hatte, ist nirgends »available«. Meine Kreditkarte … weg. Und laut einer Freundin existieren nicht einmal die Pyramiden vor meiner Nase. Sie hat es in einem Film gesehen: Da schwebten sie davon wie Ballons.

Straßenverkäufer in Ägypten bietet Zuckerwatte feil.
Straßenverkäufer in Ägypten bietet Zuckerwatte feil.

Ich brauche den Boden der Tatsachen, meine Freundin aber braucht Hoffnung. Ich habe mit Radiologen in Israel, zwei Professoren in Deutschland, mit der Wundtherapeutin meines Vaters, einer NGO-Krankenschwester, mit Ärzten in und aus Gaza sowie einem Medizinethik-Professor gesprochen – da ist keine Hoffnung.

Auf dieser Reise zerbricht alles. Auch diese Freundschaft. Als ich gehe, ist es Abend. Ein Straßenverkäufer am Bordstein verkauft rosa Zuckerwatte in durchsichtigen Plastiktüten. Sieht aus, als wären es Ballons, die ihn nach oben ziehen müssten. So wie die Pyramiden im Film. Der Mann aber sieht zu niedergeschlagen aus.

Welche Hilfe ist angemessen? Nur die, die Hoffnung aufrechterhält? Oder auch die, die das auffängt, was sonst noch schiefgehen kann?

Alles ist schiefgegangen. Nur die Hunde haben aufgehört zu bellen. Ein Schuttberg neben den Pyramiden ist der richtige Platz.

Vorheriger Eintrag: 13. März 2025 – Krankenhaus hinter Kairo

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