Oliver Ruhnert: Eisern für Wagenknecht

Oliver Ruhnert Fußballgott ist bei der Bundestagswahl der Berliner BSW-Spitzenkandidat – na und?

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Oliver Ruhnert versucht, seinen Job beim 1. FC Union Berlin und sein politisches Engagement klar zu trennen.
Oliver Ruhnert versucht, seinen Job beim 1. FC Union Berlin und sein politisches Engagement klar zu trennen.

Seinen Job als Fußballmanager beim 1. FC Union Berlin, den er seit Anfang Januar einstweilen ruhen lässt, und sein politisches Engagement möchte Oliver Ruhnert fein säuberlich auseinanderhalten. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar tritt der 53-Jährige extra nicht im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick an, sondern in Marzahn-Hellersdorf. Denn im Köpenicker Stadion An der Alten Försterei trägt die Mannschaft ihre Heimspiele aus. Dort ist Ruhnert bekannt und beliebt. Dort würde er wahrscheinlich mehr Stimmen bekommen als in Marzahn-Hellersdorf.

Den Verzicht auf diesen Vorteil rechnet ihm die Fanszene des Vereins hoch an. Dass er aber in der Hauptstadt den Spitzenkandidaten für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) spielt und für diese Partei in den Bundestag stürmen will, trifft durchaus auf Vorbehalte, berichtet Frank »Nussi« Nussbücker – und der kennt sich bestens aus in der Szene. Als sogenannter Ghostwriter verfasst Nussbücker für andere Menschen Autobiografien. Als Schriftsteller veröffentlicht er Bücher unter seinem eigenen Namen, darunter das 2022 erschienene Buch »Eisern nach oben« über die ersten drei Jahre des Vereins in der ersten Bundesliga.

»Solange Ruhnert die Geschicke Unions maßgeblich mitverantwortet, ist mir auch nach etlichen Niederlagen am Stück nicht bange.«

Frank Nussbücker

Es ist ein außergewöhnlich gutes Buch und immer noch sehr lesenswert, wenn auch wegen seines Erscheinungsjahrs inzwischen nicht mehr auf dem allerneuesten Stand der Dinge. Es ist keinesfalls übertrieben, wenn der Rotbuch-Verlag damit wirbt, Nussbücker nehme »Fußballfans und die, die es werden wollen, mit ins Stadion«. Kurze Spielberichte im Stile einer Radioreportage sind so meisterlich geschrieben, dass sie Gänsehautmomente bescheren oder Tränen der Rührung in die Augen treiben.

Selbst glühender Anhänger des 1. FC Union, steckt Nussbücker seine Leser mit seiner Begeisterung für den Verein an. Besonders wertvoll sind seine warmherzigen Porträts über den Busfahrer Martin Schäfter, der die Mannschaft zu Spielen chauffiert, und über Dirk Weisheit, der an der Alten Försterei Bratwürste und Steaks grillt, um den Hunger der Besucher zu stillen.

Zum Aufstieg im Jahr 2019 und zum Klassenerhalt seitdem haben nun einmal viele beigetragen, nicht nur der frühere Trainer Urs Fischer. Dass Union mit den Spitzenklubs der Liga finanziell nicht ansatzweise mithalten kann, führt wie selbstverständlich dazu, dass Talente immer wieder weggekauft und abgeworben werden.

Doch die Fans vertrauen da voll und ganz auf den Manager. »Egal welche Spieler uns verlassen – Oliver Ruhnert wird schon was einfallen, damit unsere Mannschaft am Ende nicht geschwächt dasteht, oft sogar stärker«, schreibt Nussbücker. »Auch ich vertraue ihm, was unseren Kader angeht, wie niemandem sonst.« Der Schriftsteller versichert: »Solange Ruhnert die Geschicke Unions maßgeblich mitverantwortet, ist mir auch nach etlichen Niederlagen am Stück nicht bange. Bislang bekam er jede in der Mannschaft aufklaffende Lücke geschlossen.«

Insofern wäre es ein großer Verlust, wenn Ruhnert im Februar vom 1. FC Union zum FC Bundestag wechselt. Denn es gibt tatsächlich eine aus Bundestagsabgeordneten bestehende Mannschaft, die unter anderem bei speziellen Europameisterschaften gegen die Parlamentsmannschaften anderer Staaten antritt. Zum Kader gehören Politiker von SPD, CDU/CSU, FDP und Grünen – und einer der Stürmer ist André Hahn (Linke).

Auch der kürzlich abgelöste Union-Trainer Bo Svensson hatte gesagt, dass der Verein Oliver Ruhnert vermissen werde. Schriftsteller Nussbücker kann ergänzen, es seien längst nicht alle glücklich mit Ruhnerts Wirken in der Wagenknecht-Riege. Es herrsche aber die Meinung: »Er hat Gutes für Union getan, das zählt!«

In seinem Buch »Eisern nach oben«, das auf den Schlachtruf »Eisern Union« anspielt, erwähnt Nussbücker auch das ehrenamtliche Engagement von Ruhnert: seine Einsätze als Schiedsrichter in der Oberliga Westfalen – ein abgebildetes Foto zeigt ihn als Linienrichter bei einer Begegnung von Wattenscheid 09 und FC Gütersloh am 1. Mai 2022 – und sein Wirken als Kommunalpolitiker im Stadtrat von Iserlohn. Dabei unterschlägt Nussbücker in seinem Buch, dass Ruhnert damals noch Parteimitglied von Die Linke war, aus der er 2023 ausgetreten ist. Der Schriftsteller verzichtete ganz bewusst auf diese Angabe, weil sie für den Kontext unerheblich gewesen sei, wie er zugibt, und weil Unioner gegenüber Parteien generell misstrauisch seien.

Hier passt eine Tradition: Wenn der Stadionsprecher an der Alten Försterei die Aufstellungen durchgibt, rufen die Fans nach jedem Namen eines Spielers der eigenen Mannschaft »Fußballgott« und bei den Spielern des gegnerischen Teams »na und?«. Hier ließe sich sagen: Für Union ist Oliver Ruhnert ein Fußballgott, und dass er jetzt zum Team Wagenknecht gehört: Wen kümmert’s?

Mit dem Segen von Sahra Wagenknecht ist Ruhnert im Dezember als Spitzenkandidat nominiert worden. Es ist beim BSW vorerst undenkbar, solche Personalentscheidungen ohne sie zu treffen. Ob Ruhnert den politischen Aufstieg in den Bundestag schafft, ist noch nicht heraus. In den Meinungsumfragen steht das BSW bei vier bis maximal sieben Prozent.

Frank Nussbücker: Eisern nach oben. Das 1. FC Union-Buch. Rotbuch-Verlag, 271 S., 24,60 €.

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