Klingt gut!

Propaganda des Alltags: Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, Leistung soll sich lohnen, die Steuerlast soll sinken

Industriemechaniker bei der Arbeit: Entscheidet seine Leistung über sein Einkommen? Leidet er unter seiner Steuerlast?
Industriemechaniker bei der Arbeit: Entscheidet seine Leistung über sein Einkommen? Leidet er unter seiner Steuerlast?

Die Steuerbelastung ist zu hoch, Leistung muss sich lohnen und Unternehmen wollen nachhaltiger werden: Das sind nur drei Beispiele für Aussagen, die in der politischen Debatte ständig auftauchen – und die eine Botschaft transportieren, die selten hinterfragt wird. Wir haben uns einige gängige Behauptungen und politischen Bezeichnungen genauer angesehen.

Leistung

Die Politik appelliert gern an den Leistungswillen der Menschen. »Wir wollen eine Agenda für die Fleißigen«, sagte FDP-Chef Christian Lindner, laut Olaf Scholz (SPD) ist »die Sozialdemokratie die Stimme der Fleißigen« und CDU-Chef Friedrich Merz findet, wir müssten »die Tugenden wieder wertschätzen: Leistungsbereitschaft, Fleiß, Anstand«. Leistung lohnt sich nicht nur für Deutschland, so heißt es, sondern auch für die Menschen. Denn das Einkommen sei abhängig von der Arbeitsleistung nach der Devise: Was man verdient, hat man auch verdient, weswegen ungleiche Einkommen keine Ungerechtigkeit sind, sondern Gerechtigkeit – eben Leistungsgerechtigkeit.

Korrekt ist das nicht. Die Annahme, die Arbeitsleistung bestimme das Einkommen, krankt nicht nur an der Existenz offensichtlich leistungsloser Einkommen wie Erbschaften, Mieteinnahmen oder Kapitalerträgen. Vor allem lässt sich die berühmte Leistung gar nicht messen und vergleichen. An der Frage »Leistet ein Krankenpfleger mehr oder eine Automechanikerin?« scheitern auch die klügsten Ökonom*innen zwangsläufig. Es fehlt schlicht der gemeinsame Maßstab für »Leistung«. Dasselbe im Betrieb: Auch dort ist jedes erbrachte Gut ein Ergebnis der Kooperation vieler – Mechaniker, Pförtnerin, Putzkraft und Buchhalterin. Die Bewertung von Einzelleistungen in Euro und Cent ist unmöglich. Das Einkommen spiegelt daher gar nicht den Beitrag eines Individuums zum Gesamtergebnis wider, sondern ist bloß der Anteil, den es daraus erhält.

Verteidigung

Wenn zwei sich streiten und das in Gewalt ausartet, wenden sie sich gern einem Dritten zu, um die Schuldfrage zu klären: Der andere hat angefangen! Das ist bei Kindern so wie bei Kriegsparteien. Stets gilt die andere Seite als Angreifer, man selbst hat sich nur verteidigt und ist insofern im Recht. In der Sache ist es zwar meist schwierig, den Anfang eines Konflikts festzulegen, und für Historiker dürfte die Frage, wer angegriffen hat und wer sich nur verteidigt hat, er amüsant sein, da jede Geschichte eine Vorgeschichte hat. Doch ist die Frage nach Angriff und Verteidigung ja keine wissenschaftliche, sondern eine moralische. Verteidiger haben immer recht.

Bei der »Bürokratie« ist unklar, warum weniger mehr sein soll.

Deswegen heißen für den Krieg zuständige Ministerien heutzutage fast durchgängig Verteidigungsministerien. Bis zum 20. Jahrhundert herrschte die fachlich korrekte Bezeichnung »Kriegsministerium« vor. In Deutschland wurde dann daraus ab 1919 das Reichswehrministerium – da wehrte man sich schon. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann entstand im Westen das Bundesministerium für Verteidigung, im Osten das Ministerium für nationale Verteidigung – das 1990 kurzzeitig sogar zum Ministerium für Abrüstung wurde. Das dauerte aber nicht lang, heute heißt es wieder Verteidigungsministerium, so wie überall, so dass die Welt heute endlich von Angreifern gesäubert ist.

Freund und Feind

Ende November lief folgende Nachricht über den Agenturdienst Reuters: »In Rumänien kommt es kommenden Sonntag zur Stichwahl über den künftigen Präsidenten. Aus dem ersten Wahlgangs am Sonntag vor einer Woche war überraschend der extrem rechte Nato-Kritiker und Russland-Freund Calin Georgescu als Sieger hervorgegangen. In der Stichwahl muss er sich der konservativen Oppositionsführerin und Ukraine-Freundin Elena Lasconi stellen.«

Okay, zugegeben, »Ukraine-Freundin« stand nicht in der Meldung. »Russland-Freund« aber schon.

Steuerlast

Im aktuellen Wahlkampf versprechen einige Parteien »Steuererleichterungen«, denn die »Steuerlast« sei zu hoch. Dahinter steht die Idee, der Staat sei ein schweres Gewicht, das alle tragen müssen. Der Staat als Last, die idealerweise gemindert wird, ist eine schräge Metapher. Als stünden den staatlichen Einnahmen aus der »Steuerlast« keine staatlichen Leistungen gegenüber – von Straßen und Brücken über Polizei und Justiz bis hin zu Schulen, Energie- und Wasserversorgung. Auch bei der »Bürokratie« ist unklar, warum weniger mehr sein soll. Was wäre von einer Kritik des Grundgesetzes zu halten, die findet, es habe zu viele Artikel und müsse schlanker werden? Und was würde eine Supermarkt-Eigentümer sagen, wenn man an der Kasse Rabatte verlangt, um in Zeiten der Inflation die »Kaufpreislast« zu senken?

Arbeitsplätze

Unternehmen begründen ihre Investitionen gerne damit, sie wollten »Arbeitsplätze schaffen«. Manchmal entlassen sie auch Personal mit dem Hinweis, dies würde »Arbeitsplätze sichern«.

Wenn Unternehmen eine Fabrik bauen oder betreiben, schaffen sie tatsächlich Arbeitsplätze. Nicht gelogen. Allerdings ist das Schaffen dieser Plätze nicht der Zweck der Veranstaltung. Das machte jüngst Volkswagen-Chef Oliver Blume klar, als er die Drohung mit Werksschließungen begründete mit dem Satz: »Wir können die besten Autos der Welt bauen – das spielt aber keine Rolle, wenn wir damit kein Geld verdienen.«

Kriegspropaganda

Der Bedarf an gezielter Meinungsbildung der Bevölkerung ist tendenziell umso größer, je schlechter die Zeiten sind. Propaganda ist daher im Krieg unerlässlich, schließlich sind hier neben ökonomischen Einbußen auch menschliche Verluste zu beklagen. Das schafft Bedarf nach Legitimierung – die über die Zeiten und Konflikte bemerkenswert ähnlich verläuft. 2001 fasst die belgische Historikerin Anne Morelli in einem Buch die zehn Prinzipien der Kriegspropaganda zusammen. Sie berief sich dabei auf den britischen Diplomaten Arthur Ponsonby, der bereits nach dem Ersten Weltkrieg 20 »Prinzipien der Kriegspropaganda« aufstellte, die Morelli zusammenfasste. Sie lauten:

1. Wir wollen den Krieg nicht.
Es stimmt, keine Seite will Krieg, jede will Frieden. Aber ihren Frieden. »Der Führer will den Krieg nicht. Er entschließt sich schweren Herzens dazu«, so rechtfertigte Nazi-Außenminister Joachim von Ribbentrop den Krieg gegen Polen.

2. Der Gegner ist allein für den Krieg verantwortlich.
Daher trägt er auch allein die Verantwortung für die Schäden und Opfer.

3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel.
Wahlweise auch ein Monster, ein Wahnsinniger oder ein Irrer. »Der Irre von Bagdad« wurde Iraks Staatschef Saddam Hussein im Irakkrieg genannt und Serbiens Präsident Slobodan Milosevic im Jugoslawienkrieg mit Hitler verglichen. Morelli erklärt: »Man kann eine Gruppe von Menschen nicht insgesamt hassen, nicht einmal als Feinde. Es ist daher wirkungsvoller, den Hass auf die feindliche Führungspersönlichkeit zu richten.

4. Wir kämpfen für ein edles Ziel, nicht für besondere Interessen.
Hier spielen Werte eine große Rolle, die Menschenrechte und die Sicherheit.

5. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich. Der Begriff »Kollateralschaden« wurde im Irakkrieg 1991 populär. Er fällt unabsichtlich an – oder wird vom Gegner erzwungen, etwa, weil er die Zivilbevölkerung als »menschliche Schutzschilde« benutzt und uns so keine andere Wahl lässt.

6. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen.

7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn wir in der Defensive sind und eine Niederlage droht.

8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache – da findet sich immer jemand.

9. Unsere Mission hat etwas Heiliges – und das Heilige ist nicht hinterfragbar.

10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.

Fakten sind zweitrangig – Parteinahme ist alles und Pazifismus keine Option. kau

Recht hat er. Denn Zweck von Volkswagen ist der Gewinn und sein Mittel dazu sind die Arbeitnehmer auf Arbeitsplätzen. Insofern können kapitalistische Konzerne tatsächlich nicht genug von Arbeitsplätzen haben – aber nur solche, die sich rentieren. »Jobs« ist in diesem Sinne ein Synonym für »Profit«. Nur klingt es halt viel schöner, wenn man sagt, dass der ganze Aufwand nur betrieben wird, um die Menschen »in Beschäftigung zu bringen«. Sie säßen ja sonst nur herum.

Nachhaltigkeit

Laut Wirtschaftsministerium »bedeutet Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden«. Das klingt erst mal gut. Seine propagandistische Kraft erhält das Wort in seiner Steigerung: »nachhaltiger«. So kann das Management eines Kohlekraftwerks guten Gewissens darauf verweisen, das es in seiner Kantine weniger Plastik verwendet – nachhaltiger als vorher ist das schon! Nur unter Umständen halt nicht nachhaltig. Was wäre von einem Mann zu halten, der sagt, er sei kinderfreundlicher geworden, weil er seine Kinder seltener schlägt?

Und damit es mit dem Umweltschutz nicht zu viel wird, weist das Wirtschaftsministerium daruf hin, es sei »wichtig, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – wirtschaftlich effizient, sozial gerecht, ökologisch tragfähig – gleichberechtigt zu betrachten«. Im Klartext: Wenn ein Betrieb keinen Profit macht, also wirtschaftlich nicht nachhaltig arbeitet, muss auch die Ökologie zurückstecken.

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