- Kultur
- Die gute Kolumne
»Villarriba« oder »Villabajo«?
Kaufen ändert nichts, aber man sollte dennoch vom falschen Käse die Finger lassen
Rockbands empfehlen den Erwerb nach Haarfestiger riechender Kräuterliköre. Fußballtorwarte preisen die Qualität ungenießbarer Biere und legen mir den Besuch unseriöser Wettbüros ans Herz. Ein Fernsehtalkmaster rühmt den Geschmack der überwiegend aus Zucker und künstlichen Aromastoffen bestehenden Produkte des weltgrößten Lebensmittelkonzerns. Filmschauspielerinnen legen mir den Kauf streng riechender Duftwässer nahe. Schlagersänger rufen zum Konsum abstoßender Fertignudelsoßen auf. Schriftstellerinnen und Automobilfabrikbesitzer empfehlen die Wahl unangenehmer Parteien.
Und die ihnen Zusehenden und Zuhörenden tun umgehend, wie ihnen geheißen wurde. Sie kaufen und verzehren bereitwillig Nahrung, die in einer halbwegs zivilisierten Welt diese Bezeichnung nicht verdienen würde. Sie besprühen und benetzen ihre Körper aus freien Stücken mit übelriechenden Flüssigkeiten. Und sie entscheiden sich bei Wahlen für Politikerinnen und Politiker, die dafür sorgen, dass außer ihrem eigenen Kontostand alles sinkt: der Zivilisationsgrad, die Umweltschutzstandards, die soziale Sicherheit (naja, sagen wir besser: das, was davon noch übrig ist), das Maß an Solidarität mit den von dieser Gesellschaft Benachteiligten, der Umfang an medizinischer Versorgung und die allgemeine Lebenserwartung.
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Die Frage, warum Menschen glauben, dass ein ekliger Analogkäse ein edles und köstliches Erzeugnis ist, nur weil er ihnen in einem Reklamespot von einem grinsenden TV-Comedy-Onkel angepriesen worden ist – oder warum sie glauben, dass eine deutsche Neonazipartei den Weltzustand verbessert, nur weil der profilierungssüchtige Betreiber einer Social-Media-Plattform, die vor allem ein »Safe Space für Rassisten, Sexisten und Antisemiten« (»Spiegel«) ist, in einer reaktionären Zeitung einen KI-generierten Propagandaphrasensalat hinterlassen hat, ist nicht zufriedenstellend zu beantworten.
Viele scheinen offenbar davon auszugehen, dass schlechte Komiker, die im Fernsehen schale Witze erzählen, einen besonders feines Sensorium für die Qualität von Käse haben. Oder dass egomane Nervensägen, die in fragwürdigen Medien auf penetrante Art ihren Narzissmus ausleben, sich durch einen besonders scharfen Verstand und eine besonders ausgeprägte Liebe zu den Menschen auszeichnen. Ich kann Ihnen versichern: Beides ist nicht der Fall.
Tatsache ist: Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, zwischen rechtsextremer Propaganda, Satire, Reklame (»Produktinformationen«), Journalismus, Verschwörungsquatsch und diversen Mischformen davon (»Focus«, »Welt«, »Nius«, »NZZ«) zu unterscheiden. Sie glauben einfach rundweg alles, was irgendein aus Film und Fernsehen bekanntes Gesicht ihnen erzählt. Es gilt immer zu bedenken: Wir haben es hier mit einem deutschen Internet- und Fernsehpublikum zu tun, das über Jahrzehnte hinweg nicht von dem Gedanken abzubringen war, dass man sich für eine Wohnung in der ARD-»Lindenstraße« bewerben könne. Dasselbe Publikum rief stur immer wieder bei Reisebüros an und äußerte den dringenden Wunsch, einen Urlaub in den spanischen Dörfern »Villarriba und Villabajo« zu buchen, die nur in einem Werbespot für Spülmittel existierten.
Ich bin mir daher nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht eine gesetzliche Regelung eingeführt werden sollte, die eine umfassende Schulung in Medienkompetenz für alle Bürgerinnen und Bürger verpflichtend vorsieht. Sicher ist jedenfalls: Dass die einen die Leute glauben machen wollen, Scheiße sei Gold, und die anderen den Scheiß glauben, wird dadurch wohl kaum zu verhindern sein.
Vielleicht aber bin auch ich es, der eine Macke hat. Um zum Käsebeispiel zurückzukehren: Seit ich während der letzten Fußballweltmeisterschaft in einem Supermarkt eine Packung Gouda in den Händen hielt, von der mir ausgerechnet das Antlitz von Andreas Gabalier entgegengrinste und die ich daher angewidert wieder ins Kühlregal zurückstellte, kaufe ich kein von diesem Unternehmen hergestelltes Lebensmittel mehr. Die Herstellerkonzerne müssen ja irgendwann lernen, dass nicht alles hinnehmbar ist.
Natürlich weiß ich, dass man in einer grundfalsch eingerichteten Gesellschaft immer das Falsche kauft, ja, dass der bloße banale Akt des Einkaufs selbst in letzter Konsequenz eine konterrevolutionäre Handlung ist. Auch ist mir bekannt, dass man ein kapitalistisch organisiertes Staatswesen nicht ändert, indem man vom falschen Käse die Finger lässt und den vermeintlich richtigen kauft. Dennoch bestehe ich darauf, dass Gesichter von Personen, die Kulturerzeugnisse hervorbringen, deren Haupteffekt die beständige Vermehrung von entfesseltem Penisgehubere und nationalistischem Bierzeltgegröle ist, weder auf Lebensmittelverpackungen noch in der Berichterstattung halbwegs seriöser Medien etwas zu suchen haben sollten. Doch so, wie die Welt gerade eingerichtet ist, würde es mich nicht wundern, wenn auch solche Personen demnächst von der »Welt«-Redaktion um einen »Gastbeitrag« gebeten werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.