- Kommentare
- Kriegsdienst
Der Bullerbü-Pazifismus des Robert Habeck
Christoph Ruf staunt nicht schlecht über Robert Habecks späte Reflexion bezüglich der Praxistauglichkeit einer »grundpazifistischen Haltung«
Robert Habeck hat drei Jahre vor mir in Hamburg Zivildienst gemacht. Er in einer Behinderteneinrichtung, ich in einem Altenpflegeheim. Damals – ja, so war das, liebe Kinder – musste man sich das Privileg, ein paar Monate länger miserabel bezahlt dem Vaterland dienen zu dürfen, vorher durch eine alberne Prozedur verdienen. Es galt schriftlich darzulegen, dass es einem das Gewissen verbiete, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Alle anderen Gründe, so vernünftig sie auch sein mochten, führten zur Ablehnung der Verweigerung und zum Wehrdienst in einer Provinzkaserne, wo Weisheiten wie »Unter Druck wird aus Kohle ein Diamant« gelehrt, die Erwiderung, dass unter Druck auch aus dem Hintern Scheiße komme, aber nicht geduldet wurde. Hunderttausende machten auch deshalb damals den Zivildienst. Andere taten es, weil es ihnen sinnvoller erschien, sich um Bedürftige zu kümmern, als im Schlamm zu robben und sich erzählen zu lassen, was »der Iwan« doch für ein böser Mensch sei.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Es gab allerdings ganz offenbar einen Menschen, der den Passus von den Gewissensgründen ernst genommen hat: Robert Habeck. Der will, so sagte er im Oktober, tatsächlich erst nach dem Beginn von Putins Angriffskrieg festgestellt haben, dass »eine grundpazifistische Haltung in der Welt, in der wir leben, und das ist ein harter, ein bitterer Satz, nicht praxistauglich ist«. Zieht man das Habeck-typische pastorale Gesülze (»ein harter, ein bitterer Satz«) ab, bleibt: Staunen. Und das wird nicht kleiner, wenn man nun im »Spiegel« liest, dass er der verpassten Zeit im Schlamm noch immer nachtrauert: »Ich hätte heute kein moralisches Argument mehr zu verweigern. Ein Aggressor wie Putin nutzt Schwäche eiskalt aus.« Nun sind solche Sätze – wie alles, was in Wahlkampfzeiten geäußert wird – auch taktisch zu deuten. Hier als weiterer Kniefall vor der Union, ohne die das, was Grüne wirklich im Inneren zusammenhält, ab Ende Februar nicht mehr möglich sein wird.
Und doch glaube ich Habeck, dass er 1988 seine Verweigerung aus Überzeugung pazifistisch begründet hat. Was im Übrigen nicht unsympathisch ist bei einem 18-Jährigen. Ganz offensichtlich hat Habeck aber seinen Bullerbü-Pazifismus auch noch 30 Jahre weiter unreflektiert mit sich herumgeschleppt und erst Anfang 2022 zu reflektieren begonnen. Das passt nun recht gut zu meinem Bild von der Partei, für die er in den Wahlkampf zieht und in der es schon immer viel um Gefühle und Gefühligkeiten ging.
Aber muss man wirklich 53 Jahre alt werden, um sich erstmals zu vergegenwärtigen, dass Auschwitz nicht mit pazifistischen Mitteln befreit wurde? Dass der Menschheit vieles erspart worden wäre, wenn Georg Elser beim Attentat auf Hitler mehr Glück gehabt hätte? Gab es seit 1991, dem Ende des Habeck’schen Zivildienstes, nicht ein paar hundert Kriege und Massaker, bei denen sich pure Gewalt durchsetzte? Und: Wenn all das nichts im Kopf bewirkte, warum tat es dann jetzt der Ukraine-Krieg? Doch wohl hoffentlich nicht wirklich, weil Kiew näher an Schleswig-Holstein liegt als Ruanda oder Afghanistan?
Die aktuellen Plakate der Grünen zeigen Habeck mit den aussagekräftigen Slogans »ZUVERSICHT« und Baerbock mit »ZUSAMMENHALT«. Warum man »ZU DOOF« verworfen hat, erschließt sich mir nicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.