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- Gedenken an Oury Jalloh
Dessau: Beweismittel manipulieren, Aufklärungswillige kaltstellen
Die Justiz tat im Fall Jalloh alles, um einen mutmaßlich von Polizisten begangenen Mord nicht aufklären und ahnden zu müssen
Es war die Arbeit der Initiative im Gedenken an Oury Jalloh und wohl auch die einiger Journalistinnen, die Folker Bittmann zu der Überzeugung brachten, es müsse im Fall Oury Jalloh doch noch ein neues Verfahren geben. Und für kurze Zeit sah es so aus, als könne es Gerechtigkeit für die Familie des Mannes aus Sierra Leone geben, der in den Mittagsstunden des 7. Januar 2005 tot in Zelle 5 der Dessauer Polizeiwache in der Wolfgangstraße 25 aufgefunden worden war, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Im April 2017 sprach sich Bittmann, Leitender Oberstaatsanwalt in Dessau, gegenüber dem Generalstaatsanwalt für neue Ermittlungen und die Einschaltung des Generalbundesanwalts aus. Dem war ein längerer Erkenntnisprozess vorangegangen, der ihn unter anderem dazu veranlasst hatte, ein Brandgutachten in Auftrag zu geben.
Zuvor hatte die Unterstützerinitiative im Oktober 2015 ein Gutachten von Rechtsmedizinern und Forensikern aus Großbritannien und Kanada vorgelegt, das sie selbst finanziert hatte. Es lieferte zahlreiche Belege, die die von den bislang mit dem Fall befassten Staatsanwälten verfochtene These widerlegten, der zufolge sich Jalloh, an Händen und Füßen auf einer feuerfesten Matratze fixiert, mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben soll. Das Feuerzeug tauchte erst später bei den Asservaten auf und hatte keinerlei DNA-Spuren des zum Todeszeitpunkt erst 36 Jahre jungen Mannes.
Die Gutachter waren zu dem Schluss gekommen, dass eine Selbsttötung des Asylbewerbers faktisch auszuschließen ist. Der britische Rechtsmediziner Iain Peck sagte damals, eine Nachstellung der Todeszzene mit »zwei Litern Benzin« komme dem »Brandergebnis« am nächsten. Insgesamt erscheine es ihm »wahrscheinlicher, dass eine dritte Person das Feuer entzündet hat«.
Im Herbst 2016 kamen auch die von Staatsanwalt Bittmann beauftragten Gutachter zu dem Schluss, dass Oury Jalloh schon vor Ausbruch des Feuers bewusstlos gewesen sein und Brandbeschleuniger eingesetzt worden sein muss. Der Jurist formulierte damals einen konkreten Mordverdacht gegen zwei Polizisten. Ein Motiv, so seine Einschätzung, könne unter anderem die Vertuschung einer vorhergehenden Straftat, also schwerer Misshandlung des Asylbewerbers, gewesen sein.
Außerdem hatte Bittmann Kenntnis von eingestellten Ermittlungsverfahren wegen zweier weiterer Todesfälle im selben Polizeirevier, die auf schwerste Misshandlungen mit Todesfolge hindeuteten, unter Beteiligung von Beamten, die auch zum Zeitpunkt des Todes von Jalloh im Dienst waren. Am 8. Dezember 1997 starb Hans-Jürgen Rose, ein Maschinenbauingenieur, der zuvor von Polizisten nach einer Alkoholfahrt aufgegriffen worden war. Rose wurde einen Häuserblock entfernt vom Revier sterbend aufgefunden, mit schwersten inneren Verletzungen. Anfang 2024 erstattete Roses Witwe aufgrund neuer Erkenntnisse Anzeige wegen Mordes gegen vier Polizisten.
Der zweite Todesfall ereignete sich in derselben Zelle, in der auch Oury Jalloh starb. Am 29. Oktober 2002 war Mario Bichtemann dort zur Ausnüchterung eingesperrt worden. Ein herbeigerufener Notarzt stellte später seinen Tod fest. Todesursache war ein Schädelbasisbruch. Ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen zwei Polizeibeamte, einer von ihnen der später im zweiten Prozess um den Tod Jallohs zu einer Geldstrafe verurteilte Dienstgruppenleiter Andreas S., wurde eingestellt.
All das wollte Bittmann neu anschauen. Doch die Generalbundesanwaltschaft lehnte die Übernahme weiterer Ermittlungen ab. Im Juni 2017 entzog die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg dem Dessauer das Verfahren. Im Herbst desselben Jahres beschloss die Behörde die endgültige Einstellung der Ermittlungen.
Im Fall Jalloh blieb es also bei den Freisprüchen für zwei Polizisten im ersten Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau im Dezember 2008 aus Mangel an Beweisen und bei der Geldstrafe in Höhe von 10 800 Euro wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung gegen Dienstgruppenleiter Andreas S. im zweiten Prozess, die das Landgericht Magdeburg im Dezember 2012 verhängte. Das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass S. Alarmsignale aus der Zelle mehrfach ignoriert hatte. Den Freispruch gegen S. im ersten Verfahren hatte der Bundesgerichtshof nach Revision durch Staatsanwaltschaft und Nebenklage aufgehoben.
Die Familie Jalloh/Dialloh und ihre Unterstützer kämpften weiter. Im Januar 2019 reichten sie einen Antrag auf Erzwingung eines neuen Ermittlungs- und Klageverfahrens beim Oberlandesgericht (OLG) Naumburg ein. Doch er wurde im Oktober desselben Jahres als unzulässig abgewiesen. Dabei hatten die Unterstützer ein weiteres Gutachten vorgelegt, denen zufolge das Opfer vor seinem Tod misshandelt wurde und bewusstlos gewesen sein muss, als das Feuer ausbrach. Ein Team um den renommierten Radiologen Boris Bodelle hatte Dateien einer Computertomographie von Jallohs Leichnam neu ausgewertet, die zweieinhalb Monate nach dessen Tod angefertigt worden war. Das OLG erklärte dazu, es handle sich nicht um neue Beweise, da die Analyse auf der Basis vorliegender Daten erfolgt sei. Daher bleibe der Klageerzwingungsantrag unzulässig.
Auch beim Bundesverfassungsgericht scheiterten Jallohs Bruder Saliou Diallo und seine Anwältinnen. Er hatte vor dem obersten deutschen Gericht Beschwerde wegen Verletzung seines Rechts auf effektive Strafverfolgung, effektiven Rechtsschutz, willkürfreie Entscheidung und rechtliches Gehör eingereicht. Die Karlsruher Richter nahmen diese jedoch nicht zur Entscheidung an. Das OLG Naumburg habe in seiner Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass in den Ausführungen des Klägers eine Darstellung fehle, »welche Polizeibeamten den Brand gelegt haben sollen und aufgrund welcher Beweismittel ein diesbezüglicher Nachweis möglich sein soll«, teilten sie mit. Die Naumburger Entscheidung für eine Verfahrenseinstellung trage den Rechten des Beschwerdeführers »hinreichend Rechnung«, hieß es in der Begründung des Verfassungsgerichts (Az. 2 BvR 378/20).
Die mutmaßlichen Täter wurden also nie zur Verantwortung gezogen für eine Tat, deren Monstrosität so unglaublich schien, dass die Mehrheit der Journalisten lange an der These der Selbsttötung festhielten. Gleichwohl ist der Fall Jalloh heute im öffentlichen Gedächtnis verankert. Einerseits wegen der alljährlichen Demonstrationen seiner Freunde und ihrer unabhängigen Ermittlungen. Aber auch wegen mittlerweile zahlreicher Fernseh- und Rundfunkdokumentationen sowie einer Buchveröffentlichtung 2024 von Margot Overath, der vielleicht am besten mit allen Facetten des Falls vertrauten Journalistin.
Seit Montag findet sich zudem in der ARD-Mediathek eine sechsteilige WDR-Dokumentation, wenngleich unter dem nach Unterhaltung klingenden Stichwort »Crime Time / True Crime«.
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