»Eine Apokalypse muss nicht das Ende allen Lebens bedeuten«

Emily Ray und Robert Kirsch über den Weltuntergang und warum die Prepping-Kultur ein schlechtes Vorbild für die Klimabewegung ist

Alleine gegen den Rest der Welt: So sollte man sich nach der neoliberalen Vorstellung auf den Weltuntergang vorbereiten. Dahinter steht die Idee: Jeder denkt am besten zuerst an sich.
Alleine gegen den Rest der Welt: So sollte man sich nach der neoliberalen Vorstellung auf den Weltuntergang vorbereiten. Dahinter steht die Idee: Jeder denkt am besten zuerst an sich.

Kriege, Klimawandel, gesellschaftliche Krisen: Gefühlt standen wir selten so nah am Abgrund wie im Jahr 2024. Sie setzen sich wissenschaftlich mit Apokalypsen auseinander. Was bedeutet der Begriff für Sie?

Emily Ray: Viele assoziieren mit dem Begriff Apokalypse nach wie vor jüdische beziehungsweise christliche Weltuntergangserzählungen oder andere Arten der Offenbarung. Wörtlich aus dem Griechischen übersetzt bedeutet der Begriff Enthüllung. In unserer Forschung betrachten wir eine Apokalypse als ein Ereignis, das eine Welt beendet. Es geht um einen unumkehrbaren Bruch mit dem, was ist. Das kann bedeuten, dass wirklich alles ein für alle Mal vorbei ist, beinhaltet aber auch die Möglichkeit, dass aus dem Ende etwas Neues entsteht. In unserem Forschungsbereich herrscht Uneinigkeit darüber, ob es so etwas wie eine Postapokalypse geben kann. Fest steht jedenfalls, dass eine Apokalypse nicht zwangsläufig das Ende allen Lebens bedeutet, vielmehr geht es um eine absolute Zäsur mit dem Bisherigen.

Ist die Vorstellung eines »unumkehrbaren Bruchs mit dem, was ist« nicht subjektiv? Ein Beziehungs-Aus kann sich ja auch wie das Ende einer Welt anfühlen. Wie unterscheiden Sie das von einer wahrhaftigen Apokalypse?

Ray: Der Begriff der Apokalypse wird oft metaphorisch verwendet. So würde ich Ihr Beispiel auch einordnen. Das Ende einer Beziehung ist vielleicht tragisch, aber nicht apokalyptisch. Apokalypsen sind etwas Kollektives – das Ende einer Lebensweise für eine ganze Gruppe.
Robert Kirsch: Wie wir eine Apokalypse kategorisieren, ist auch eng mit sozialen und politischen Kontexten verwoben. Einige Wissenschaftler*innen betrachten beispielsweise Ereignisse wie die Kolonisierung Amerikas oder die Expansion nach Westen in den USA als apokalyptische Zäsuren für die betroffenen Gemeinschaften. Die Vertreibung der Indianer etwa beendete zwar nicht alles Leben, verursachte aber unumkehrbare Veränderungen für diese Gruppen. Das zeigt: Apokalypsen können je nach Perspektive unterschiedlich erlebt werden. Deshalb glaube ich nicht, dass wir immer beurteilen können, was eine »echte« Apokalypse ist und was nicht.

Interview


Emily Ray und Robert Kirsch sind politische Theoretiker*innen an der Sonoma State University in Kalifornien beziehungsweise der Arizona State University. Zwischen 2022 und 2023 waren beide Fellows am Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien in Heidelberg. Dort arbeiteten sie unter anderem an ihrem Buch »Be Prepared: Doomsday Prepping in the United States«, das im Oktober erschienen ist.

Gibt es dann unterschiedliche Grade oder Intensitäten von apokalyptischen Ereignissen?

Kirsch: Der italienische Philosoph Giorgio Agamben schrieb in diesem Zusammenhang über die »Zeit, die die Zeit braucht, um zu enden«. Einige Apokalypsen, wie etwa ein ausartender Atomkrieg, können sich sehr schnell entfalten – eine sofortige existenzielle Vernichtung. Andere, wie der Klimawandel, laufen langsamer ab, aber das Endergebnis ist immer noch ein unumkehrbarer Bruch mit dem, was ist. Beim Klimawandel lernen wir, dass die Zeit für sinnvolles Handeln mit jedem Jahr weiter schwindet. Um es mit Agambens Worten zu sagen: Die Zeit, die die Zeit braucht, um zu enden, wird kürzer.

In Deutschland wurden Umweltschutzgruppen wie »Extinction Rebellion« und »Letzte Generation« als Weltuntergangspropheten diskreditiert. Aber Sie sagen, der Klimawandel ist in der Tat ein apokalyptisches Ereignis?

Ray: Ja, ich denke in diesen Begriffen über den Klimawandel. Die Umweltprobleme, die damit einhergehen, werden die Welt, wie wir sie kennen, zerstören. Wir werden nicht mehr so weiterleben wie bisher. In diesem Sinne ist der Klimawandel apokalyptisch. Ich denke dabei auch an den politischen Theoretiker Timothy Luke. Er prägte den Begriff der »nachhaltigen Degradierung« und kritisiert damit den modernen Nachhaltigkeitsbegriff. Denn Nachhaltigkeit wird meistens innerhalb des kapitalistischen Systems gedacht, Umweltschutz bedeutet dann immer noch, Institutionen und das Wirtschaftssystem so zu erhalten, wie sie sind. Für Luke ist das aber keine nachhaltige Lebensweise, sondern lediglich das Hinauszögern des Endes. Nachhaltige Degradierung bedeutet also: Wir wissen, dass das Ende kommt, aber wir möchten nur noch ein bisschen so weitermachen wie bisher. Und zwar nicht, weil das gut ist, sondern weil die Alternative so viel schlimmer sein könnte.

Hierzulande wird die Fraktion innerhalb der Klimabewegung immer lauter, die davon ausgeht, dass ein ökologischer und gesellschaftlicher Kollaps unvermeidbar ist. Es gehe nunmehr darum, widerstandsfähiger zu werden und den Zusammenbruch so gerecht wie möglich zu gestalten, heißt es. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Ray: Historisch gesehen hat Umweltschutz immer auch Elemente des Survivalismus enthalten (»survival« heißt auf Deutsch »überleben«). Das geht oft einher mit der Idee, unabhängig von der industrialisierten Welt zu sein. Also beispielsweise sich selbst mit Nahrung versorgen zu können oder in der Wildnis zurechtzukommen. Allerdings sind das meistens weiß und männlich dominierte Erzählungen. Für mich ist deshalb eine wichtige Frage, wie diese geschlechtsspezifische und rassifizierte Komponente in der Klimabewegung adressiert wird. Mein Eindruck ist, dass das bisher noch nicht ausreichend geschieht. Dabei sind es gerade indigene Gruppen und schwarze Gemeinschaften, die seit Jahrhunderten durch Formen apokalyptischer Brüche leben. Es ergibt Sinn, sich auf eine Welt vorzubereiten, die nicht mehr so funktioniert wie früher; doch es ist auch wichtig zu erkennen, dass viele Gemeinschaften ähnliche Brüche seit Generationen überlebt haben. Sie haben Weisheit und Erfahrungen zu bieten, die oft übersehen werden. Doch um dieses Wissen einzubringen, müssen wir lernen, Geteiltes zu nutzen, ohne es zu vereinnahmen.

Kirsch: In unserem gemeinsamen Buch »Be prepared« haben wir uns genauer mit dem Prepping auseinandergesetzt. Bei einer apokalyptischen Gefahr wie dem Klimawandel, die uns alle betrifft, ist eigentlich klar: Es braucht eine kollektive Antwort auf eine kollektive Bedrohung. Konkret heißt das, dass es auch systemische Veränderungen braucht, Institutionen müssen neu gedacht werden. Aber in unserer neoliberalen Welt werden kollektive Handlungslösungen grundsätzlich abgelehnt, unabhängig von der Größe des Problems. Im amerikanischen Kontext symbolisiert das Bild des Bunkers diese Reaktion: In Anbetracht des bevorstehenden Zusammenbruchs, kommen wir da zusammen und bilden Solidaritätsnetzwerke oder isolieren wir uns und beginnen zu »preppen«? Neoliberale Subjekte tendieren dazu, Letzteres zu wählen – und gewissermaßen die Bunkertür hinter sich zu schließen. Es reicht also nicht, zu erkennen, dass uns die Klimakrise vor ein kollektives Handlungsproblem stellt. Es muss auch darum gehen, diese neoliberale Subjektivität zu überwinden.

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Können Sie den Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und amerikanischer Prepping-Kultur genauer erklären?

Ray: Prepping bedeutet, sich auf eine Unterbrechung der Grundversorgung vorzubereiten, wie etwa Störungen der Wasserleitungen oder Stromausfälle. Das Ziel ist es, unabhängig überleben zu können, ohne auf die öffentliche Daseinsvorsorge angewiesen zu sein. Dass das in den USA als individuelle Aufgabe gesehen wird, hat historische Gründe: Während des Kalten Krieges diskutierte die Regierung, wie man die Bürger auf einen Atomschlag vorbereiten könnte. Sollte man öffentliche Bunker bauen oder den privaten Bunkerbau fördern? Letztlich entschied sich die Regierung gegen die öffentliche Variante, weil sie befürchtete, dies könnte als kommunistisch wahrgenommen werden. Die Angst, sich damit den Kommunismus als Ideologie in die USA einzuladen, war also Teil der Entscheidung, die Menschen als Individuen verantwortlich zu machen.
Kirsch: Hinzu kommt, dass die Menschen in den USA ein berechtigtes Misstrauen gegenüber der Fähigkeit des Staates haben, in Krisenzeiten effektiv zu handeln. Das haben die Reaktionen auf die unzähligen Naturkatastrophen gezeigt. Mit dem neoliberalen Aushöhlen des Staates ist ein Teufelskreis angestoßen worden: Ein handlungsunfähiger Staat führt dazu, dass Einzelpersonen für ihr eigenes Leben verantwortlich gemacht werden, sie investieren in den Schutz der eigenen vier Wände und beginnen Lebensmittel zu horten; das wiederum wird Teil einer nationalen Identität, in der der Staat sagt: »Wir müssen diese Dinge den Menschen nicht bereitstellen, denn seht mal, sie machen es selbst. Die Leute reproduzieren amerikanische Werte zu Hause.«

Dient die amerikanische Prepping-Kultur also als warnendes Beispiel für Klimabewegungen, die »solidarisches Prepping« in Betracht ziehen?

Kirsch: Ja, absolut. Die USA stehen für den schlechtesten Weg, dieses Problem anzugehen. Leider wird diese Kultur auch in andere Teile der Welt exportiert. In Deutschland etwa gibt es einen Survival-Trend auf Youtube: Überwiegend Männer filmen sich dabei, wie sie in der Wildnis überleben, oder unterirdische Schutzräume bauen.

Ray: Bunker sind kein Alleinstellungsmerkmal der USA, sie gibt es überall. Was die Situation in den Vereinigten Staaten jedoch besonders macht, ist die Kultur des privaten Bunkers, in der das Zuhause selbst zu einer Art Festung ausgebaut wird. Wir nennen das Bunkerisierung: Es geht nicht nur darum, vorübergehend eine Krise zu überstehen, sondern permanent im Bunker zu leben. Das ist die Botschaft der amerikanischen Prepping-Kultur: Kümmere dich um dich selbst und deine Kernfamilie – aber ja nicht um andere, das sind nur Trittbrettfahrer.

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