Indymedia Linksunten: Archiv-Prozess endet mit Freispruch

Detlef Georgia Schulze hat eine Kopie der verbotenen Website hochgeladen. Doch die Staatsanwaltschaft verwechselte in der Anklage die URL.

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Protest in Freiburg gegen das Verbot der Internetplattform Indymedia Linksunten.
Protest in Freiburg gegen das Verbot der Internetplattform Indymedia Linksunten.

Gleich zu Beginn der Verhandlung bekundete der Richter am Berliner Amtsgericht Tiergarten, dass er und die Angeklagte hier heute gar nicht sitzen sollten. Da waren sich die beiden einig. Die Bloggerin und Publizistin Detlef Georgia Schulze war von der Staatsanwaltschaft beschuldigt worden, Anfang 2020 das Archiv der verbotenen Website Indymedia Linksunten unter der neuen Adresse linksunten.tachanka.org veröffentlicht zu haben. Deswegen sollte sie eine Strafe von 900 Euro zahlen (»nd« berichtete). Weil sie dagegen Widerspruch einlegte, kam es am 10. Januar zum Prozess. Dieser endete mit einem Freispruch.

Die linke Online-Plattform Indymedia Linksunten war 2017 im Anschluss an die teilweise militanten Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg abgeschaltet worden. Das Bundesinnenministeriums (BMI) bezeichnete die Seite als »die wichtigste Plattform des gewalttätigen Linksextremismus«. Das Verbot sorgte für Kritik bis in linksliberale Kreise. »Pressefreiheit gilt auch für unbequeme, ja selbst für schwer erträgliche Veröffentlichungen«, urteilte der Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen Christian Mihr. Auf Indymedia Linksunten wurden neben Berichten über militante Aktionen auch Recherchen über faschistische Zusammenhänge publiziert; Klimaaktivist*innen publizierten dort ebenso wie linke Gewerkschaftler*innen.

Um diese Inhalte nicht einfach durch das Verbot verschwinden zu lassen, hatten Unbekannte im Januar 2020 ein Archiv anonym ins Netz gestellt. »Bewegungen müssen Spuren ihrer Leidenschaft für zukünftige Generationen hinterlassen, denn vergessene Kämpfe sind verlorene Kämpfe«, lautete die Begründung. Zudem wurden die Leser*innen aufgefordert, nicht passive Konsument*innen zu bleiben. »Ladet es herunter, teilt es und erstellt Mirrors der Seite« hieß es dort. Mirrors sind Kopien oder Spiegelungen einer Website unter anderen Adressen, also URLs.

Detlef Georgia Schulze folgte diesem Aufruf. Anders als die erste Gruppe ging die Bloggerin dabei keineswegs konspirativ vor. Im Gegenteil: Im Impressum der URL links-wieder-oben-auf.net stand ihr Name. Im Editorial begründete sie das damit, »dass solche Medien wie linksunten erscheinen dürfen (juristischer Aspekt) und erscheinen sollen (politischer Aspekt)«.

Gegenüber »nd« stellt sie klar, dass sie nicht alles inhaltlich teile, »was ich – im Interesse der Meinungsäußerungs-, Presse- und Informationsfreiheit – für veröffentlichungswürdig halte«. Sie ist auch heute noch überzeugt, dass die Veröffentlichung des Archivs der verbotenen Plattform als Dokumentation nicht strafbar ist.

Diese Frage blieb beim Prozess vor dem Berliner Landgericht offen. Denn Georgia Schulze wurde freigesprochen, weil die Justiz schlampig gearbeitet hat. Nach fünfjährigen Ermittlungen war die Bloggerin im Strafbefehl nämlich beschuldigt worden, für das anonym eingerichtete Archiv auf linksunten.tachanka.org verantwortlich zu sein – und nicht für jenes auf der Website links-wieder-oben-auf.net, für das sie sich im Impressum namentlich verantwortlich zeichnete. Da blieb dem Richter und der Staatsanwaltschaft nur übrig, den Freispruch zu beantragen.

Alle Kosten trägt der Staat. Und die könnten sich noch erhöhen, weil die Bloggerin in einer ihrer drei Feststellungsklagen die lange Ermittlungsdauer von fünf Jahren moniert hatte. Würde dem Antrag vom Gericht stattgegeben, könnte sie Schadenersatz beantragen.

Noch ist offen, ob die Bloggerin erneut angeklagt wird, diesmal wegen des »von ihr namentlich verantworteten Archivs. Zu Beginn machte der Richter den Vorschlag, Schulze solle sich zu einer Einstellung gegen Zahlung einer geringen Geldstrafe bereit erklären. Dann hätte die Staatsanwaltschaft auf eine weitere Strafverfolgung verzichtet. Darauf ließ sich die Angeklagte nicht ein. Schließlich sei es rechtlich das Mindeste, dass man freigesprochen wird, wenn man für eine Sache angeklagt wird, mit der man nichts zu tun hat. Und sollte sie wegen des von ihr veröffentlichten Archivs noch angeklagt werden, will sie sich politisch verteidigen und einen Freispruch fordern. Das kündigte Schulze gegenüber »nd« an.

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