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Pfefferspray und rote Fahnen

Die alljährliche Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin wurde von Polizeigewalt überschattet

Polizisten richten bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration Reizgas auf Demonstranten.
Polizisten richten bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration Reizgas auf Demonstranten.

Die traditionelle Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin am Sonntag begann stockend. Zuerst waren es organisatorische Probleme, die dazu führten, dass die sonst für ihre Pünktlichkeit bekannte Demonstration mit rund einer halben Stunde Verspätung loslief. Die Reihenfolge der Blöcke der verschiedenen Gruppen musste organisiert werden. Danach war es aber die Polizei, die teilweise mit Gewalt dafür sorgte, dass die Demonstration immer wieder stehen bleiben musste.

Zum Auftakt der Demonstration sagte Ellen Brombacher vom Bündnis LL-Demo noch, man sei interessiert daran, dass die Demonstration friedlich und störungsfrei verlaufe. »Sollte es zu Übergriffen kommen, wird die Demonstration anhalten, bis die Situation geklärt ist«, so Brombacher weiter. Das sei eine Frage des solidarischen Verhaltens.

Dieses solidarische Verhalten wurde dann auch notwendig. Gegen 11.30 Uhr kam es zu teilweise heftigen Angriffen der Polizei auf die Demonstration. Hinter dem Palästinablock rannten zahlreiche Beamt*innen in die Menge, Reizgas wurde versprüht. Mehrere Personen wurden abgeführt, teilweise mit Schrammen im Gesicht. Auf Videos in sozialen Medien ist zu sehen, wie einer Person in Gewahrsam mehrmals heftig gegen den Kopf geschlagen wird. Auf der Demonstration beobachtete »nd«, wie einzelne Beamt*innen mit Schlagstöcken auf hinter Transparenten stehende Demonstant*innen einschlugen. Der angegriffene Block beantwortete die Angriffe mit Rufen: »Die Straße frei der roten Jugend« und »Wo wart ihr in Hanau?« Im hinteren Teil des Blocks wurde eine Leuchtfackel gezündet. In einer Mitteilung auf X (ehemals Twitter) schreibt die Polizei, dass es zu »körperlichen Angriffen« auf Einsatzkräfte gekommen sei. »Es war deshalb teilweise notwendig, körperliche Gewalt und Pfefferspray einzusetzen«, so die Polizei weiter.

Nach den Auseinandersetzungen war ein*e Demonstrant*in über mehrere Minuten bewusstlos. Die Person wurde am Boden liegend und von der Polizei mit Plastikplanen abgeschirmt von Sanitäter*innen behandelt, bevor sie ein Rettungswagen in ein Krankenhaus brachte. Nach nd-Informationen war die betroffene Person zu diesem Zeitpunkt wieder bei Bewusstsein. Der Abgeordnete Ferat Kocak (Linke), der als parlamentarischer Beobachter vor Ort war, berichtet »nd«, er habe gesehen, dass die Person mehrere Schläge auf den Kopf bekommen habe. Kocak sagt, das Handeln der Polizei sei unverhältnismäßig gewesen.

Die ursprünglichen Gründe des Einschreitens der Polizei konnte ein Sprecher der Polizei dem »nd« nicht abschließend nennen. Kurz vor dem Zugriff allerdings hatte es eine Lautsprecherdurchsage der Polizei gegeben, in der die Demonstration und »vor allem der Palästina-Block« aufgerufen wurde, keine verbotenen Parolen zu rufen. Gemeint war damit vermutlich, die umstrittene Parole »From the river to the sea, Palestine will be free«, die vom Bundesinnenministerium 2023 verboten worden war.

Schon im vergangenen Jahr war die Demonstration durch teilweise massive Polizeigewalt lange aufgehalten worden. Ein 74-Jähriger wurde sogar lebensgefährlich verletzt und kam auf die Intensivstation. Um die Konsequenzen aus dieser Erfahrung hatte es im Vorfeld der Demonstration Auseinandersetzungen gegeben. Mehrere kommunistische Gruppen, darunter der »Bund der Kommunist:innen« und »Perspektive Kommunismus« veröffentlichten ein Statement, in dem sie ankündigten: »Wo die Staatsmacht zuschlägt, werden wir uns kollektiv verteidigen.« Die an der Organisation der Demonstration beteiligte Kommunistische Plattform hatte die Gruppen daraufhin aufgefordert »auf eigenmächtiges, dem Bündniskonsens widersprechendes Agieren zu verzichten«.

Nachdem sich die Situation beruhigt hatte, konnte der Aufzug seinen Weg zur Gedenkstätte der Sozialisten in Lichtenberg fortsetzen. Während optisch rote Fahnen unterschiedlichster Organisationen dominierte, waren es inhaltlich die Kriege in Gaza und der Ukraine sowie die Militarisierung und Kürzungspolitik in Deutschland. Das Vermächtnis von den 1919 von Freikorps ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht »verpflichtet uns den Kampf für Frieden mit der Klassenfrage zu verbinden«, hieß es in einem Redebeitrag zu Anfang der Demonstration. »Auch die Bundesrepublik ist vorne mit dabei, die Waffenarsenale hochzurüsten.« Die Kosten der Aufrüstung würden auf die große Mehrheit der Bevölkerung abgewälzt, so der Redner weiter. »Mehr Waffen heißt kein Geld für Gesundheit, Bildung und Wohnen.« Über die gesamte Demo hinweg waren, neben »Hoch die internationale Solidarität« immer wieder »Free Palestine«-Rufe zu hören.

Letztendlich konnte die Demonstration nach den Polizei-Angriffen weitestgehend problemlos bis zu ihrem Endpunkt laufen. Befürchtungen, dass es auf den letzten Metern vor dem Friedhof zu eng werden würde, weil dort aktuell Bauarbeiten stattfinden, bewahrheiteten sich nicht. Gegenüber »nd« sagt ein Polizeisprecher, dass nach einer vorläufigen Schätzung rund 3000 Menschen auf der Demonstration waren. Ellen Brombacher vom Demobündnis sagt im Gespräch mit »nd« hingegen, dass nicht weniger als in den vergangenen Jahren gekommen wären. »Und da waren es immer 10 000.« Nach Angaben der Deutschen Presseagentur gab es mindestens 20 Festnahmen.

Zum Ablauf der Demonstration zieht Brombacher trotzdem ein grundsätzlich positives Fazit. Sie sei »im Wesentlichen diszipliniert« gewesen. Sie betont auch die aktuelle Relevanz des Gedenkens an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. »Das, wofür die beiden gekämpft haben und wofür sie letztlich ihr Leben gelassen haben, nämlich Frieden für die Menschheit und eine Gesellschaftsordnung, in der man Mensch sein kann, ist heute mindestens so wichtig wie damals.«

Die Demonstration endete um 14 Uhr, gut eine Stunde später als erwartet, am Zentralfriedhof Friedrichsfelde, wo zahlreiche Demonstrationsteilnehmer*innen rote Nelken auf die Gedenkstätte für Luxemburg, Liebknecht und andere Sozialist*innen und Kommunist*innen niederlegten. Bevor die Demonstration gestartet war, hatten bereits am Morgen in einem stillen Gedenken zahlreiche Menschen den Ermordeten gedacht. Unter ihnen war auch die Bundesvorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner, die im Wahlkreis Lichtenberg ein Direktmandat bei der Bundestagswahl in sechs Wochen gewinnen will. Zur Demonstration konnte sie nicht gehen, wegen einer Parteivorstandssitzung, zu der sie nach dem Gedenken abreisen musste. »Wir kämpfen gegen den Aufstieg der Rechten, gegen den Faschismus, ich ganz konkret in Lichtenberg gegen Beatrix von Storch«. Gerade jetzt an die politische Gewalt gegen Genoss*innen in der jüngeren Vergangenheit wie auch vor einem Jahrhundert zu erinnern, sei immer noch wichtig.

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