Es geht auch ohne Pestizide

Umweltfreundliche Innovationen in der Landwirtschaft ersetzen Agrarchemie

  • Susanne Aigner
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit Nützlingen lassen sich gezielt Schadinsekten bekämpfen.
Mit Nützlingen lassen sich gezielt Schadinsekten bekämpfen.

Pestizide sind eine wichtige Ursache für den Verlust der Artenvielfalt und von Lebensräumen in intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaften. Agrochemikalien wirken tödlich auf viele Insekten, auch auf wichtige Bestäuber wie Bienen und Hummeln sowie auf Organismen in Böden und Gewässern. Trotzdem ist der Verkauf von Pestiziden seit Jahren nicht rückläufig: Jährlich werden rund 30 000 Tonnen Wirkstoffe bzw. rund 90 000 Tonnen Pflanzenschutzmittelprodukte ausgebracht. Weitere agrochemische Einträge in der Landwirtschaft gilt es zu vermeiden, wenn die natürliche Insektenvielfalt überleben soll.

Eine Alternative stellt der biologische Pflanzenschutz dar, bei dem Nützlinge eingesetzt werden, zum Beispiel Schlupfwespen oder Florfliegen gegen Blattläuse oder Raubmilben gegen Spinnmilben. Bei Kulturen im Gewächshaus werden solche Nützlinge bereits erfolgreich angewendet. Im Freiland jedoch sind biologische Verfahren nur schwer umzusetzen, weshalb hier für gewöhnlich synthetische Insektizide zum Einsatz kommen.

Die »Nützlingsrollwiese« könnte das jetzt ändern. Entwickelt wurde die Rollwiese von der Staatsschule für Gartenbau Stuttgart-Hohenheim und der Hermann Welzel Gartenbau GbR nach dem Vorbild eines flexiblen Rollrasens. Ziel ist es, Schadorganismen auf Gemüsekulturen im Freiland – in diesem Fall für Salat und Kohlrabi – in einem frühen Stadium durch Ausbringen von Nützlingen zu minimieren. Und das geht so: Für Schädlinge, die sich am häufigsten über den Salat hermachen, werden passende Gegenspieler im optimalen Entwicklungsstadium auf einer Rollwiese etabliert, auf der bereits passende Nahrungspflanzen eingesät wurden, bevor dieser zum richtigen Zeitpunkt ausgerollt wird.

Ergänzt wird das System durch ein eigens entwickeltes Verfahren zu Aussaat, Anzucht, Verpackung, Transport sowie Ausbringung des Rasens.

Rund 80 geförderte Projekte

Es handelt sich hierbei um eines von rund 80 Projekten der Förderinitiative »Vermeidung und Verminderung von Pestiziden in der Umwelt«, die seit 2020 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert werden. Auf einer Tagung im Dezember wurden bislang geförderte Projekte vorgestellt. Ziel der Initiative ist es, Pestizidrückstände in der Umwelt zu reduzieren oder besser noch zu vermeiden. Kleine und mittlere Unternehmen sowie deren Kooperationen mit Forschungseinrichtungen konnten innovative Ideen für ökologische Pflanzenschutzmaßnahmen fördern lassen.

Nützliche Insekten können auch durch maßgeschneiderte Blühstreifen angelockt werden. Um die Kulturen gesund zu erhalten und Unkraut zu unterdrücken, werden gezielt Wildkräutermischungen zwischen den Reihen der Kulturpflanzen gesät. Eigens hierfür wurden mechanische Hack- und Pflegetechniken mit punktgenauer Führung entwickelt. Mit dem Projekt kann auch die Biodiversität im konventionellen Ackerbau erhöht werden.

Im Obstbau werden Insektizide besonders oft eingesetzt. So breiten sich in Obstbauanlagen immer öfter Phytoplasmosen aus, die durch Blattflöhe übertragen werden. Die eigentlichen Krankheitserreger sind Phytoplasmen – eine Gruppe von Bakterien. Die von ihnen verursachten Pflanzenkrankheiten mindern die Qualität des Obstes oder lassen die Bäume gar absterben.

Einige Blattfloharten überwintern an Nadelhölzern, deren Koniferenduftstoffe im Frühjahr auf Insekten abweisend wirken. Im ökologischen Birnenanbau wird als Gegenmittel zusätzlich Kaolin verwendet, ein weißes Gesteinspulver, das einen weißen Film auf den Bäumen hinterlässt. Auf den glitschigen Tonmineralien rutschen die winzigen Füßchen der Insekten ab, sodass sie sich auf den Blättern nicht halten können.

Der Nachteil ist, dass der Film nicht regenfest ist. Hier setzt ein DBU-gefördertes Projekt an, in dem ein aufsprühbarer, regenfester Film entwickelt wurde, der auf diversen Tonmaterialien basiert. Um die repellente Wirkung zu verstärken, soll der Film mit einem Koniferenduftstoff versetzt werden. Die Sprühlösung soll Blattläuse fernhalten und die Übertragung von Phytoplasmen verhindern. Untersucht wird noch, wie die Lösung biologisch wirksam bleibt, ohne dass sie sich negativ auf die Umwelt auswirkt. Ziel ist ein wirksamer Sprühfilm, der zur Anwendung zugelassen wird.

Zielgenau gegen Kirschessigfliegen

Ein weiteres Schadinsekt ist die aus Südostasien eingewanderte Kirschessigfliege. Sie befällt reifes Weichobst, also beispielsweise Kirschen, Zwetschgen und Beeren und kann in kurzer Zeit zum Totalausfall der gesamten Kirschernte führen. Für gewöhnlich wird sie kurz vor der Ernte zum Problem. Oft muss kurzfristig entschieden werden, ob früher geerntet wird oder ob Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Um hier die richtige Entscheidung zu treffen, müsste vorher der Befallsdruck festgestellt werden. Dafür fehlte bisher eine effiziente und umweltgerechte Methode.

Das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz entwickelte zusammen mit zwei Unternehmen hierfür eine spezielle Monitoringfalle: Bisher genutzten sogenannten Becherfallen fügten sie eine Sensorik hinzu, die die Menge der gefangenen Insekten auswertet. Über eine App erhalten Obstbauern und Winzer die Daten zur aktuellen lokalen Insektenbelastung in Echtzeit. Anhand der aktuellen Fliegenpopulation in Verbindung mit den Wetterprognosen bis zum Erntezeitpunkt können die Kirschenanbauern dann im Einzelfall entscheiden, ob sie Insektizide ausbringen oder nicht.

Die vor vier Jahren angestoßene und nun abgeschlossene Förderinitiative hatte zum Ziel, chemische Pflanzenschutzmittel durch mechanische, thermische und optische Methoden oder durch biologische Alternativen zu ersetzen. Gleichzeitig sollten vorbeugende Maßnahmen wie weite Fruchtfolgen oder Anbaupausen den Befall mit Schadorganismen verringern. Ermittelte Schadensschwellen sollten Kriterien der Biodiversität berücksichtigen. Zudem ging es darum, Nutzorganismen zu fördern und Pestizideinträge in Schutzgebiete zu vermeiden.

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