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Wohnungslosigkeit: Desaströse Bilanz
Explodierende Wohnungslosigkeit, Mietpreisrekorde und immer mehr Zwangsräumungen. Alles eine Frage der Datenlage?
Allein im Jahr 2023 wurden im Internet inserierte Angebotsmieten bundesweit um 7,3 Prozent erhöht, in Großstädten stiegen sie sogar um 10,5 Prozent. Das ist der höchste Anstieg der letzten zehn Jahre. Auch in dünn besiedelten ländlichen Kreisen stiegen die Mietpreise überdurchschnittlich um 7,9 Prozent. Das geht aus der Antwort des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag hervor, die »nd« exklusiv vorliegt. Inserate aus Lokalzeitungen, Vermittlungen über Kunden und Wartelisten von Unternehmen fließen in diese Daten nicht ein, besonders günstige Mieten sind deshalb unterrepräsentiert.
Auch an anderen Punkten hakt es. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit zehn Jahren beständig, obwohl die Ampel die Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau – also für die Schaffung und Modernisierung von günstigem Wohnraum – seit 2020 verdreifacht hat.
Das könnte auch damit zusammenhängen, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) seit 2014 insgesamt 12 965 Liegenschaften verkauft, aber nur 95 davon für den sozialen Wohnungsbau vergünstigt an Kommunen abgegeben hat. 2020 stieg die BImA dafür im Rahmen der Wohnraumoffensive in den Wohnungsbau ein, bis Ende 2028 soll sie bis zu 6000 Wohnungen auf bundeseigenen Grundstücken errichten. Stand September 2024 waren davon 310 fertiggestellt. Zugleich stieg die Zahl der Zwangsräumungen von 2022 auf 2023 weiter an.
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Das Gesamtbild: Überall werden die Wohnungen schneller weniger und teurer, als Maßnahmen der Ampel greifen. So zeigt der 2023 beschlossene Bund-Länder-Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung für schnelleres Bauen noch keine Wirkung. Gegen eine Verlängerung der Mietpreisbremse, die Mieten bei Neuvergaben begrenzen sollen, legten wiederum CDU/CSU und FDP ein Veto ein. Der Deutsche Mieterbund (DMB) sieht die Maßnahme deswegen vor dem Aus.
»Die wohnpolitische Bilanz der Bundesregierungen seit 2014 ist verheerend«, so Caren Lay, Mieten-, bau- und wohnungspolitische Sprecherin der Linken. Die Linke fordere deswegen einen Mietendeckel, um Mieterhöhungen zu stoppen und bezahlbares Wohnen zu sichern, sowie ein Investitionsprogramm von 20 Milliarden Euro jährlich für den sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau.
Die Extremfolgen der rasanten Preissteigerungen und des Mangels leistbaren Wohnens zeigen sich im vergangene Woche veröffentlichten Wohnungslosenbericht der Bundesregierung. Laut ihm hat der Wohnmarkt »nicht den alleinigen, aber dennoch einen erheblichen Einflussfaktor auf den Umfang von Wohnungslosigkeit«. Betroffen sind inzwischen über eine halbe Million Menschen, mehr als doppelt so viele wie bei der letzten Erfassung 2022.
Im Wohnungslosenbericht werden sowohl in staatlichen Unterkünften untergebrachte wohnungslose Personen erfasst, über die das Statistische Bundesamt berichtet, als auch verdeckte wohnungslose Personen, die bei Bekannten unterkommen sowie wohnungslose Menschen ohne Unterkunft, die auf der Straße oder in Behelfsunterkünften leben. Das ist eine statistische Neuerung. Da Menschen in Frauenhäusern oder in Haftanstalten nicht mitgezählt werden, dürfte die Dunkelziffer dennoch höher sein.
Ein Drittel der Wohnungslosen lebt demnach in 14 deutschen Großstädten, die meisten, gemessen an der Einwohnerzahl, in Hamburg und Stuttgart. In Ostdeutschland ist die Zahl Wohnungsloser geringer als in Westen – nimmt man Berlin aus. Die Bundeshauptstadt befindet sich auf Platz Drei der Städte mit den meisten Wohnungslosen. Hier stiegen die im Internet inserierten Mieten laut Angaben des BMWSB im Übrigen allein 2023 um 26,7 Prozent.
Den drastischen Anstieg der Wohnungslosen erklärt der Bericht unter anderem dadurch, dass bei der Erhebung 2022, wie häufig bei Ersterhebungen, eine Untererfassung der tatsächlichen Zahlen stattfand. Ausführliche Daten zu Wohnungslosigkeit werden erst seit einem Entscheid der Ampel dazu erfasst. Außerdem waren manche Wohnungsloseneinrichtungen nach pandemiebedingten Schließungen vor dem letzten Bericht noch nicht in den Regelbetrieb zurückgekehrt. »Insgesamt ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der wohnungslosen Menschen trotz aller Anstrengungen, Wohnungslosigkeit zu überwinden, gestiegen ist«, so der Bericht.
Der DMB schlägt die Brücke zurück zum Mietrecht. Wenn dort die richtigen Weichen gestellt würden, wäre der Wohnungsverlust für viele Betroffene vermeidbar. »Wir fordern deswegen, den Kündigungsschutz zu verbessern«, so DMB-Bundesdirektorin Melanie Weber-Moritz.
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