Entlastung im Klinikum

Ärztestreik in kommunalen Krankenhäusern durch Einigung abgewendet

Der Personalmangel in Krankenhäusern führt auch zu langen Wartezeiten für Patient*innen. Die nun erzielte Tarifeinigung soll die kommunalen Kliniken für Ärzt*innen attraktiver machen.
Der Personalmangel in Krankenhäusern führt auch zu langen Wartezeiten für Patient*innen. Die nun erzielte Tarifeinigung soll die kommunalen Kliniken für Ärzt*innen attraktiver machen.

Und es ist doch Geld da. Überraschend einigten sich die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) nach mehr als fünf Runden auf Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Ein Schwerpunkt der Verhandlungen lag für die Fachgewerkschaft auf Änderungen bei der Schichtarbeit. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, bezeichnete das vorliegende Angebot als »substanziellen Fortschritt«. Damit soll auch dem Personalmangel und der Arbeitsverdichtung in den Kliniken entgegengewirkt werden.

Konkret sieht der Vorschlag eine Gehaltssteigerung von 8 Prozent für die etwa 60 000 angestellten Ärzt*innen der kommunalen Kliniken vor. Die soll in drei Stufen erfolgen: 4 Prozent rückwirkend zu Anfang Juli 2024, weitere 2 Prozent kommen jeweils im August dieses und im Juni kommenden Jahres dazu. Das ist nahe an der Ursprungsforderung des Marburger Bundes nach einem Gehaltsplus von 8,5 Prozent.

Daneben sieht die vorläufige Einigung höhere Entgelte für Bereitschaftsdienste und andere Zulagen vor, etwa für Nachtarbeit. Künftig gelten verbindliche Regelungen für die Dienstplanerstellung sowie eine zusätzliche Vergütung für kurzfristiges Einspringen. Auch werden die Zulagen für Schicht- und Wechselschichtarbeit einheitlich auf 315 Euro monatlich erhöht. Und der Zeitraum für Nachtarbeit wurde ausgeweitet sowie eine bessere Vergütung für Samstagsarbeit vereinbart. Die Vertragslaufzeit soll mit 30 Monaten vergleichsweise lang ausfallen.

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In einer Urabstimmung müssen die Gewerkschaftsmitglieder noch über das Angebot entscheiden. Bereits geplante Arbeitsniederlegungen, die am Mittwoch beginnen sollten, wurden ausgesetzt. Beide Parteien haben bis zum 14. Februar Zeit, um dem Vorschlag zuzustimmen.

Klamme Klinikumskassen

Die Arbeitgebervereinigung hatte sich in den Verhandlungen mit Verweis auf klamme Kassen quergestellt. Laut Zahlen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung mussten etwa knapp 30 Prozent der Krankenhäuser im Jahr 2022 Verluste hinnehmen. Von den 539 kommunalen Krankenhäusern wiesen die meisten finanzielle Defizite auf. Die VKA beziffert allein den bestandserhaltenden Investitionsbedarf der Kliniken auf rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Finanzlöcher werden derzeit in Teilen von den finanziell stark belasteten Kommunen gestopft. Eigentlich eine Aufgabe der Länder, die aber seit Jahrzehnten zu wenig Investitionsfördermittel zur Verfügung stellen.

Ein Hauptteil der Kosten in Kliniken entfällt auf das Personal. Die Krankenhäuser in Deutschland geben laut Berechnungen des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens Pricewaterhouse Coopers aus dem Jahr 2020 etwa 60 Prozent ihrer Einnahmen für Personalkosten aus, davon etwa ein Drittel für die vergleichsweise hohen Gehälter für Ärzt*innen.

Hohe Lohndifferenz

Bereits in der Weiterbildung verdienen sie bei einer 40-Stunden-Woche knapp 5300 Euro im Monat. Zum Ende der Spezialisierung sind es etwa 6800 Euro monatlich. »Nach einer über sechsjährigen Hochschulausbildung, nachfolgender Approbation und mindestens sechsjähriger Facharztweiterbildung«, wie ein Sprecher des Marburger Bundes erklärt. Die lange Aus- und Weiterbildung markiere einen wesentlichen Unterschied zu anderen Berufsgruppen, die früher ein entsprechendes Tarifgehalt erhalten. Dazu zählen etwa ausgebildete Pfleger*innen, die nach einer dreijährigen Ausbildung etwa 3300 Euro verdienen. In der höchsten Entgeltstufe kommen sie nach 15 Jahren auf rund 4000 Euro.

Den Verweis auf die knappen Kassen der Kliniken hatte die Fachgewerkschaft zurückgewiesen und betont: »Die Krankenhäuser sind in der Lage, wertschätzende Gehälter zu zahlen.« Und es könne nicht von den Beschäftigten erwartet werden, »dass sie für Fehler der Geschäftsführungen oder Defizite, die auf politische Versäumnisse zurückzuführen sind, aufkommen und Gehaltseinbußen hinnehmen«, erklärte ein Sprecher auf nd-Nachfrage. »Gleich welcher Berufsgruppe«, ergänzte er.

Solidarität gefragt

Am 24. Januar beginnen auch die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Dazu zählen Beschäftigte der kommunalen Krankenhäuser wie Pfleger*innen. Verdi fordert für sie unter anderem Lohnerhöhungen von 8 Prozent, mindestens aber 350 Euro. Zudem will die Gewerkschaft mehr Wahlfreiheit bei den Arbeitszeiten.

Mit Blick darauf, dass die Beschäftigtengruppen gegeneinander ausgespielt werden könnten, betont Streikforscher Alexander Gallas von der Universität Kassel, diese Gefahr bestehe immer. Verhindern lasse sich eine solche Dynamik im öffentlichen Dienst nur, »wenn die Beschäftigten bei den allgemeinen Tarifverhandlungen mit Nachdruck fordern, dass es zu klaren Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen und Entlohnung kommt«. Dafür sei es auch notwendig, über weitreichende Arbeitskampfmaßnahmen nachzudenken, unterstreicht er.

Dass sich der Marburger Bund im Rahmen der Tarifverhandlungen mit den anderen Klinikumsbeschäftigten solidarisieren wird, ist unwahrscheinlich. »Wir führen unsere eigenen Verhandlungen und kommentieren nicht die Verhandlungen anderer«, erklärte ein Sprecher.

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