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Waffenruhe weiter wacklig

Angesichts des Misstrauens zwischen den Kriegsparteien bestehen Zweifel, ob sie sich über Wochen an die vereinbarten Schritte halten werden

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei einer Demonstration mit Familien der Geiseln hält ein Demonstrant ein Plakat, auf dem die beiden rechtsradikalen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gwir zu sehen sind, wie sie Ministerpräsident Netanjahu mit einem gelben Band erwürgen. Die Demonstranten forderten ein sofortiges Geiselabkommen.
Bei einer Demonstration mit Familien der Geiseln hält ein Demonstrant ein Plakat, auf dem die beiden rechtsradikalen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gwir zu sehen sind, wie sie Ministerpräsident Netanjahu mit einem gelben Band erwürgen. Die Demonstranten forderten ein sofortiges Geiselabkommen.

Noch ist die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas nicht in Kraft und schon gibt es die ersten Störversuche. So hat der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu der Hamas vorgeworfen, sich von einigen Punkten des Abkommens zurückgezogen zu haben. Die Hamas hat diese Vorwürfe umgehend zurückgewiesen. Die Anschuldigungen entbehrten »jeder Grundlage«, sagte ein Hamas-Vertreter am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. Israel schaffe »in einem entscheidenden Moment Spannungen aus dem Nichts«, fügte er hinzu. Die Hamas fordere die scheidende sowie die künftige US-Regierung dazu auf, Israel »zu zwingen, das Abkommen umzusetzen«, betonte er.

Nach monatelangen indirekten Verhandlungen zwischen der Hamas und Israel hatten die Vermittlerländer Katar und USA am Mittwochabend verkündet, die Kriegsparteien hätten sich auf ein Abkommen für eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln geeinigt. Kurz danach hatte Netanjahu erklärt, dass »mehrere Klauseln des Rahmens« noch offen seien und geklärt werden müssten.

Sicherheitskabinett tritt vorerst nicht zusammen

In den Einzelheiten liegen auch die Fallstricke. Das Büro des Regierungschefs teilte am Mittwochabend mit, Netanjahu werde erst nach Abschluss letzter Detailfragen eine Erklärung abgeben. Eine für Donnerstagvormittag erwartete Beratung des israelischen Sicherheitskabinetts wurde hingegen bis auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Sicherheitskabinett muss der Vereinbarung zustimmen, doch nun zögert Netanjahu dies hinaus, berichten verschiedene Medien. Beratungen seines Kabinetts knüpfte Netanjahu an die Bedingung, dass es eine Mitteilung der Vermittler gebe, dass die Hamas »alle Elemente des Abkommens« akzeptiert habe.

Netanjahu zufolge hat die Hamas in letzter Minute neue Forderungen erhoben, um, so die israelische Lesart, die Einigung zu torpedieren. Er forderte die Klarstellung der Vermittler aus den USA, Katar und Ägypten. Besonders strittige Punkte sind wohl die Auswahl der freizulassenden palästinensischen Häftlinge sowie die Präsenz israelischer Truppen im sogenannten Philadelphie-Korridor, einem schmalen Landstrich im Süden des Gazastreifens, der entlang der Grenze zu Ägypten verläuft. Der israelischen Regierung war es immer wichtig, sich die militärische Kontrolle über diesen Korridor zu sichern, um möglichen Waffenschmuggel von Ägypten in den Gazastreifen zu unterbinden. Für die Palästinenser ist jedoch ausgeschlossen, die Kontrolle über die eigenen Grenzen an Israel abzutreten.

Israel besteht auf einer Pufferzone

Ein hochrangiger israelischer Beamter bestätigte laut der israelischen Tageszeitung »Haaretz« am Donnerstag, dass die Vereinbarung den Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Philadelphi-Korridor nach Abschluss der ersten Phase der Vereinbarung vorsieht. Demnach werden die israelischen Streitkräfte während der ersten, 42 Tage dauernden Phase in dem Gebiet stationiert bleiben. Und: Sie würden dort auch bleiben, sollte die Hamas sich weigern, Israels Forderungen zu erfüllen. Der Philadelphi-Korridor wurde schon häufig als Grund genannt für das Scheitern früherer Versuche, einen Waffenstillstand und ein Geiselabkommen zu erreichen.

Israelische Medien berichteten, Israel werde im Rahmen des Abkommens während der ersten Phase eine Pufferzone im Gazastreifen aufrechterhalten. Aus dem Umfeld der Hamas hieß es, die Soldaten dürften sich bis zu 800 Meter tief innerhalb des Palästinensergebiets aufhalten. Der israelische Regierungsvertreter sagte, die Armee werde sich erst dann vollständig zurückziehen, wenn »alle Geiseln zurückgekehrt sind«.

Rechtsextreme Partei droht mit Auszug aus der Regierung

Netanjahu steht unter großem innenpolitischen Druck, denn seine rechtsradikalen Koalitionspartner Itamar Ben Gwir und Bezalel Smotrich wolen den zäh ausgehandelten Deal nicht mittragen. Beide haben als Sicherheits- respektive Finanzminister wichtige Regierungspositionen inne und wollen die Fortsetzung des Krieges und die Annexion sämtlicher palästinensischen Gebiete.

Die rechtsextreme Partei Religiöser Zionismus hat bereits angekündigt, sie bleibe nur in der Regierung, wenn Netanjahu verspricht, die Kämpfe nach der ersten Phase des Geiselabkommens wieder aufzunehmen. Offen ist, ob sich die Kriegsparteien in der zweiten Phase der Abmachung auf die Freilassung der restlichen Geiseln werden einigen können. Mit Agenturen

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