Stefan Gelbhaar: Grüne Zentrifugalkräfte

Ehemaliges Bundestagsmitglied verlässt die Partei, sieben Frauen halten Vorwürfe aufrecht

Statt Stefan Gelbhaar steht seine Realo-Kollegin Julia Schneider zur Wahl – daran will der Pankower Kreisverband der Grünen weiter festhalten.
Statt Stefan Gelbhaar steht seine Realo-Kollegin Julia Schneider zur Wahl – daran will der Pankower Kreisverband der Grünen weiter festhalten.

Der Zusammenhalt der Grünen-Partei ist auf eine schwere Probe gestellt. Nachdem sich ein Teil der Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen ihren Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar als offenbar fingiert herausgestellt hat, zeugen die Reaktionen von ernsthaften Differenzen innerhalb der Partei.

Sieben Frauen werden an ihren Belästigungsvorwürfen festhalten. Das erklärte der Bundesparteivorsitzende Felix Banaszak am Montag unter Berufung auf die Ombudsstelle gegen sexuelle Gewalt, an die sich Mitte Dezember zur etwa gleichen Zeit mehrere Frauen gewandt hatten. Daraufhin hatte Gelbhaar den Verzicht auf seine Kandidatur für die Landesliste der Pankower Grünen zur Bundestagswahl erklärt.

Die Sprecherin der Grünen Jugend Berlin, Leonie Wingerath, hatte damals gesagt, dass es wichtig sei, den Betroffenen zu glauben und sich professionell um sie zu kümmern. Wingerath begrüßte den Verzicht Gelbhaars auf die Landesliste. Wie der Landes- und Kreisverband forderte sie, dass er auch vom Direktmandat, das er noch im November deutlich gewonnen hatte, zurücktrete. Im Januar wurde die Wahl wiederholt, Gelbhaar nicht wiedergewählt.

Zuvor hatte der RBB Ende Dezember auf Grundlage von eidesstattlichen Erklärungen von konkreten Vorwürfen berichtet. Auch Meldungen an die Ombudsstelle hätten dem Sender anonym vorgelegen. Der Sender räumte nun journalistische Fehler ein, nachdem die Identität einer Frau, die von Gelbhaar zum Kuss gezwungen worden sein soll, sich als mutmaßlich erfunden herausstellte. Alle anderen dem RBB bekannten Vorwürfe seien von deutlich geringerer Tragweite. Die bisherige Vorsitzende der Grünen-Fraktion in Mitte, die mit der erfundenen Identität in Verbindung gebracht wird, war am Samstag von ihrem Posten zurück- und aus der Partei ausgetreten. Der dpa hatte sie gesagt, sie wolle Schaden von der Partei und von Betroffenen von sexueller Gewalt nehmen.

Kanzlerkandidat Robert Habeck erklärte am Dienstag, dass der Vorgang mehr mit Deutschland machen würde, als mit dem Wahlkampf der Grünen. Frauen bräuchten einen Raum, in dem sie Belästigungen ansprechen können. Dieser Fortschritt werde nun »quasi kaputt gemacht«. Der Bundesparteivorstand hat indessen eine eigene Kommission eingesetzt, die nicht nur die Vorfälle, sondern den gesamten Vorgang aufklären soll.

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Am Dienstag war der ehemalige Berliner Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu unter Berufung auf »toxische Machtstrukturen bei den Berliner Grünen« aus der Partei ausgetreten. Was Gelbhaar widerfahren ist, sei kein Einzelfall. Mutlu war 2021 nicht mehr zum Direktkandidaten für Mitte gewählt worden, nachdem Vorwürfe bekannt geworden waren, denen zufolge er gezielt Parteibeitritte eingeworben haben soll, die für ihn stimmen sollten.

Andreas Otto, Mitglied im Abgeordnetenhaus und im Kreisverband Pankow, will mit einem Antrag an die Pankower Mitgliederversammlung, Stefan Gelbhaar wieder rehabilitieren. Die Partei sei einer Intrige mit schweren Vorwürfen aufgesessen, die »frei erfunden waren.« Der Kreisverband solle bei Gelbhaar um Entschuldigung und die Übernahme einer wichtigen Rolle zum Beispiel bei der Berlin-Wahl 2026 bitten.

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