Mit Technologie gegen den Hunger

Namhafte Wissenschaftler fordern eine Agrarforschungsinitiative, die einer Mondlandung gleichkommt

Industrielle Landwirtschaft zieht die Degradierung von Böden nach sich.
Industrielle Landwirtschaft zieht die Degradierung von Böden nach sich.

Eine Gruppe von Agrarforscher*innen und Nobelpreisträger*innen verschiedener Disziplinen machte Mitte Januar mit einem offenen Brief auf den millionenfachen Hunger und Mangelernährung in der Welt aufmerksam. Bei laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) 733 Millionen Hungernden im Jahr 2023, wird der Hunger auf der Welt voraussichtlich nicht wie in den Entwicklungszielen verankert bis zum Jahr 2030 beseitigt sein. Vielmehr befürchten zumindest die Unterzeichner*innen des auf der Seite der World Food Prize Foundation veröffentlichen Briefes, dass die Ernährungsunsicherheit angesichts einer bis 2050 um 1,5 Millarden Menschen wachsenden Weltbevölkerung zunehmen werde, bei voraussichtlich abnehmenden Erträgen der Landwirtschaft: »Prognosen zufolge wird der Klimawandel die Produktivität der meisten wichtigen Grundnahrungsmittel verringern«, heißt es in dem Schreiben.

Laut einer 2023 im Fachjournal »Nature« veröffentlichten Studie des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) könnten die Erträge von Weizen, Mais, Hirse und Reis bei unvermindertem Klimawandel und ohne Anpassungsmaßnahmen um sieben bis 23 Prozent im Laufe dieses Jahrhunderts zurückgehen. Vor allem in den Tropen sind laut Prognose Ertragsminderungen zu erwarten. Extremwetter in allen Weltregionen würden für zusätzliche Unsicherheit sorgen. Ein weiterer Aspekt, nämlich die Qualität der Agrarerzeugnisse ist hier noch gar nicht einbezogen: Studien haben gezeigt, dass verschiedene Getreide bei höherem CO2-Gehalt der Luft weniger Proteine bilden.

Erosion und Degradierung von Böden, Biodiversitätsverluste, Wasserknappheit, Konflikte und »Politiken die Innovation einschränken« tragen laut offenem Brief zur sich verschlechternden Ernährungslage bei. »Wir sind nicht auf dem richtigen Weg, um den künftigen Nahrungsmittelbedarf zu decken«, so die Schlussfolgerung. Gefordert wird daher eine Initiative, die einer Mondlandung gleichkäme. »Wir müssen bereit sein, risikoreiche und lohnende Forschung zu betreiben, mit dem Ziel, unsere Lebensmittelsysteme so umzugestalten, dass sie die Ernährungsbedürfnisse aller Menschen nachhaltig erfüllen«, wird daraus abgeleitet. Doch welche Forschung ist gemeint?

Die US-amerikanische Agrar- und Klimaforscherin Cynthia Rosenzweig, Trägerin des Welternährungspreises 2022 der oben genannten Stiftung, erklärt auf nd-Nachfrage: »Diese Technologien befinden sich zum Teil seit Jahren in der Entwicklung, allerdings mit geringen Investitionen.« Rosenzweig selbst arbeitet mit dem Projekt zum Vergleich und zur Verbesserung von Landwirtschaftsmodellen (Agmip) seit Langem daran, welche derzeit nur wenig beachteten Nutzpflanzen im Zuge des Klimawandels eine größere Rolle spielen könnten. Als vielversprechende Kulturen nennt Rosenzweig das in Afrika angebaute Getreide Fonio, Kuhbohnen, Sesam oder das Wurzelgemüse Taro.

Doch in dem offenen Brief geht es nicht allein um die Diversifizierung der Ernährung, sondern auch um »Verbesserung von Biologie und Genetik«, etwa um die Photosynthese von Nutzpflanzen und die biologische Stickstofffixierung der wichtigen Getreidearten zu verstärken.

Ohne den Nährstoff Stickstoff geht beim Pflanzenwachstum nämlich gar nichts, und so sind die Hochertragssorten, die seit der »Grünen Revolution« der 60er Jahre überall auf dem Globus angebaut werden, auf die Zufuhr von mineralischem Kunstdünger – erzeugt unter Einsatz fossiler Energien – angewiesen. Ließe sich die biologische Stickstofffixierung etwa durch Bodenbakterien verbessern, könnte an teurem und energieintensivem Dünger gespart werden. Tatsächlich gibt es in diesem Bereich verschiedene Forschungsansätze, sowohl mit als auch ohne Einsatz gentechnisch veränderter Organismen.

So können Nährstoffverfügbarkeit und Bodenleben über Anbaumethoden wie das Mulchen verbessert werden. Ein Überblicksartikel von Jagdish K. Ladha et al. im Fachjournal »Field Crops Research« im Juli 2022 kommt zu dem Ergebnis, dass Diversifizierung und der häufige Einbezug von Leguminosen in die Fruchtfolge derzeit das größte Potenzial bieten, um den Bedarf an fossil erzeugtem Mineraldünger zu verringern.

»Wir müssen bereit sein, risikoreiche und lohnende Forschung zu betreiben.«

Offener Brief 
World Food Prize Foundation

Wenn von risikoreicher Forschung die Rede ist, dürfte aber etwas anderes gemeint sein. So berichtet ein Forschungsteam um Myriam Charpentier vom John Innes Centre in Großbritannien kürzlich in »Nature« von Weizenpflanzen, die nach Einfügen eines bestimmten Gens an den Wurzeln vermehrt von symbiotischen Bakterien und Pilzen besiedelt worden sind. Solche Wurzelsymbiosen sind eigentlich typisch für Leguminosen. Die Knöllchenbakterien an den Wurzeln fixieren elementaren Stickstoff (N2) aus der Luft und machen ihn für ihre Symbiosepartner verfügbar.

»Sollte es (…) gelingen, N2-fixierendes Getreide zu erzeugen, müsste der Einsatz dieser Technologie sorgfältig gesteuert werden, um die unerwünschte Verringerung der Anbaudiversifizierung zu vermeiden, die mit einer Ausweitung von Getreidemonokulturen einhergehen würde«, geben Ladha et al. schon 2022 zu Bedenken.

Und so stellt sich auch bei der aktuellen Initiative die Frage, inwiefern sich denn die Welternährungskrise allein mit Technologie bekämpfen ließe. »Wir müssen an mehreren Fronten arbeiten, wenn wir Investitionen in landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung tätigen, um sicherzustellen, dass einkommensschwache Gemeinschaften von der Produktionssteigerung profitieren und die Existenzgrundlage der Landwirte geschützt wird«, beteuert Rosenzweig. Das ist ein optimistischer Ansatz, der sich an der heutigen Realität kaum messen lässt. Denn momentan ist die globale Landwirtschaft eher geprägt von einem Verteilungs- als einem Produktionsproblem. Nach vorläufigen Zahlen der FAO für 2023/24 dienten nur 42,3 Prozent der weltweiten Getreideproduktion direkt der menschlichen Ernährung, der Rest wurde verfüttert oder diente Energieerzeugung und Industrieproduktion.

Zu den Sponsoren der World Food Prize Foundation zählen Agrar- und Energiekonzerne wie Bayer und Chevron.

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