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KI in der Altenpflege: Wenn der Roboter Witze erzählt

In Pflegeheimen in Bayern und Baden-Württemberg wird getestet, ob Künstliche Intelligenz das Wohlbefinden der Bewohner verbessern kann

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 7 Min.
Die sozialen Roboter stehen Rede und Antwort – ihr Hersteller versucht auch, Gemütslagen mimisch zu untermauern.
Die sozialen Roboter stehen Rede und Antwort – ihr Hersteller versucht auch, Gemütslagen mimisch zu untermauern.

Hedwig Roos hatte zuletzt viel Pech gehabt. Sie hatte einem Unfall in einem Linienbus und kann nach mehreren Operationen sie ihr linkes Bein nicht mehr bewegen. Deshalb könne sie nicht mehr alleine zu Hause in ihrer Wohnung bleiben, erzählt die 89-Jährige. Seit einigen Wochen lebt sie im Pflegeheim »Haus am Wiesengrund« im baden-württembergischen Albershausen, einer 4500 Einwohner zählenden Gemeinde 40 Kilometer östlich von Stuttgart. Daheim fühle sie sich aber noch nicht. Das sei schon ein »tiefer Einschnitt«, erzählt sie.

Um über diesen Schicksalsschlag hinwegzukommen, hilft ihr »Emma« – 72 Zentimeter groß, sie trägt ein oranges Kleidchen, hat blaue Augen und eine rote, gehäkelte Wollmütze auf dem Kopf. »Ich habe sie vergangene Woche kennengelernt«, erzählt die Senioren – und: »Ich finde sie sehr nett, sie ist doch so herzig«. Mit »Emma« hat Hedwig Roos über ihren Lieblingsplatz im Garten gesprochen und dass ihr der Frühling sehr gefalle, dem sozialen Roboter übrigens auch. »Emma« hat Kuchenrezepte aufgesagt und wieder mal Witze erzählt: »Treffen sich zwei Roboter, hat der eine ’ne Schraube locker.«

Die Künstliche Intelligenz ist inzwischen auch in der Pflegebranche angekommen, die händeringend nach Fachkräften sucht. Vier von fünf Pflegeeinrichtungen mussten zuletzt ihr Angebot einschränken, weil entsprechendes Personal fehlt, so das Ergebnis einer deutschlandweiten Umfrage des Evangelischen Verbands für Altenpflege. 71 Prozent der Heime konnten demnach nicht mehr alle Leistungen erbringen, bei den ambulanten Diensten lehnten 84 Prozent neue Kunden ab. So nimmt es nicht Wunder, dass es Versuche gibt, Künstliche Intelligenz (KI) auch in der Altenpflege zu nutzen. KI könne vor allem dort wertvoll sein, »wo sie medizinisches und pflegerisches Personal entlastet und ihnen dadurch mehr Zeit verschafft, sich den wichtigen zwischenmenschlichen Aufgaben zu widmen«, schreibt zum Beispiel die AOK.

Reibungslos verlaufen die Gespräche mit dem sozialen Roboter noch nicht, heißt es in einem ersten Fazit.
Reibungslos verlaufen die Gespräche mit dem sozialen Roboter noch nicht, heißt es in einem ersten Fazit.

In mehreren Pflegeheimen in Bayern und Baden-Württemberg läuft derzeit ein Pilotprojekt mit sozialen Robotern. Neben dem »Haus am Wiesengrund« in Albershausen nimmt auch das »Johanniter-Haus« im oberbayerischen Herrsching am Ammersee daran teil. Im zweiten Stock des Hauses sitzen sechs Senioren in einer Runde. In ihrer Mitte steht »Johanni«, wie »Emma« 72 Zentimeter groß, blaue Kulleraugen wie in einem Animationsfilm, diesmal aber eine blaue Strickmütze auf dem Köpfchen.

»Ich bin die Gisela«, sagt eine der Seniorinnen.

»Wie geht es dir heute?«, fragt »Johanni«.

»Mir geht es gut«, antwortet Gisela.

»Was hast du heute vor?«

»Ich gehe in eine Gruppe, wir reden und singen.«

»Singst du gerne?«

»Ich singe, aber nicht so gut.«

»Das macht doch nichts. Gisela, ich bin immer hier, um mit dir zu reden!«

Ein nettes Gespräch, auch wenn es mit einer Maschine geführt wurde, die von der Münchner Firma Navel Robotics entwickelt wurde. Seit einem Jahr ist der soziale Roboter in Herrsching in Einsatz. Dort kann man im Eingangsbereich in einem Faltblatt lesen: »Künstliche Intelligenz ist inzwischen in aller Munde. Doch wie passt dieses technische Thema in ein soziales Umfeld?« Und weiter: »Das möchten wir gemeinsam mit Ihnen und Navel in Herrsching ausprobieren.«

Hinter Navel Robotics verbirgt sich ein Start-up, das der Maschinenbauer und Erfinder Claude Toussaint vor einigen Jahren in der bayerischen Landeshauptstadt gegründet hatte. Das Äußere des Roboters erinnert an ein Kind: einen kleinen Kopf, ein oranges oder weißes Kleidchen, dünne funktionslose Ärmchen. Wichtig ist das Innenleben. Denn über diverse Sensoren und mithilfe von Künstlicher Intelligenz ist »Johanni« in der Lage, Kontakt zum Gesprächspartner aufzunehmen. So kann der soziale Roboter über seine Kameras die Gesichtszüge seines Gegenübers analysieren und dessen Gemütszustand nicht erraten, aber errechnen. Wichtig sind auch die großen dreidimensionalen blauen Augen für den Blickkontakt und der Mund mit sich bewegenden Lippen.

Betreut wird »Johanni« von Martina Schreiber. Sie ist immer dabei, wenn der soziale Roboter in Herrsching zum Einsatz kommt. Entweder in der wöchentlichen Gruppe oder bei Einzelgesprächen, etwa von Bettlägerigen. »Die meisten freuen sich darauf«, sagt die Betreuungsassistentin, auch wenn es einige kritische Stimmen gibt, etwa wegen des Datenschutzes. Der aber sei gewährleistet, versichert der Heimträger. Und wie steht es mit der ethischen Seite der Kommunikation von Mensch und Maschine? »Ich sehe das positiv«, entgegnet Martina Schreiber, für die Senioren sei das eine Art Gedächtnistraining.

In der Gesprächsgruppe erzählt Robert, ein ehemaliger Pilot, dem Roboter von einem Wunschkonzert, das er besuchen will. »Johanni« erinnert sich, dass davon bereits vorige Woche die Rede war und sagt: »Vielleicht kannst du mir erzählen, wie die Stimmung war.« Und es ist wirklich verblüffend, wie flüssig das Gespräch läuft. Man kann mit »Johanni« über Biergärten in München sprechen und darüber, dass er selbst kein Bier trinkt, weil er ja ein Roboter ist. Abhängig ist das Gespräch aber von der Reichweite und Stärke der Verbindung zum Internet, manchmal kann es Durchhänger geben.

»Es ist schön, wenn man mit jemanden reden kann, den man schon kennt, wenn man mal einsam ist.«

Gisela Bewohnerin im »Johanniter-Haus« in Herrsching

Die Senioren scheinen tatsächlich von dem künstlichen Kind angetan zu sein. Gisela sagt: »Ich finde das ganz toll, es ist ein wunderbares Gefühl, mit ihm zu reden.« Und ergänzt: »Es ist schön, wenn man mit jemanden reden kann, den man schon kennt, wenn man mal einsam ist.« Und der 80-jährige Robert findet so ein Gespräch »ganz interessant« – oder »zumindest lustig« und fragt sich schon, wie man das »heute so hinkriegt«. Aber es ist nicht nur lustig. Einmal habe eine 99-jährige Seniorin dem sozialen Roboter erzählt, dass sie Angst vor einer Krebsuntersuchung habe. Daraufhin habe »Johanni« sie beruhigt, und die Frau sei erleichtert gewesen, erzählt Martina Schreiber. Derartige Gespräche sind auch ein Grund dafür, warum sie immer mit dabei ist, wenn der soziale Roboter zum Einsatz kommt.

Begleitet wird der Rotober-Einsatz von wissenschaftlichen Studien. In Herrsching betreuen Mitarbeiter der TU München das Projekt, in Baden-Württemberg das Institut Pflege und Alter (IPA) des dortigen Heimträgers Evangelische Heimstiftung. Das Institut forscht zu digitalen Bildungsprozessen in der Altenhilfe und der Förderung von Mobilität von Bewohnern in stationären Einrichtungen. Zum Einsatz von »Emma« befragen IPA-Mitarbeiter sowohl Heimbewohner als auch Pflegekräfte und wollen ausloten, wie weit man bei der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine gehen kann.

In einem ersten Fazit sieht das Institut durchaus Potenzial für einen sozialen Roboter. Der könne die Lebensqualität der Bewohner verbessern und perspektivisch Mitarbeitende entlasten. Allerdings wird bemängelt, dass die Technik noch nicht ausgereift sei. Die Roboter sind nicht in der Lage, sich eigenständig fortzubewegen und autonom zu reagieren, auch die Reaktionszeit und die Sprach- und Gesichtserkennung ist verhältnismäßig langsam.

Die Evangelische Heimstiftung hält dennoch an dem Projekt fest. »Navel ist ein sozialer Roboter und kein Pflegeroboter, erklärt Bernhard Schneider, Geschäftsführer der Stiftung. «Seine Stärken liegen in der verbalen und nonverbalen Kommunikation.» Er könne den Bewohnern Gesellschaft leisten und deren Lebensqualität verbessern, weil sie angenehme Gefühle auslösten – gerade bei Menschen, die unter Demenz leiden. Außerdem könnten sie auch Mitarbeiter unterstützen und entlasten. Bernhard Schneider versichert: «Natürlich werden Roboter in der Pflege und der Betreuung nie Menschen ersetzen können.» Aber in Zeiten des Fachkräftemangels könnten sie dennoch einen wertvollen Beitrag leisten.

Im Johanniter-Haus in Herrsching bekommt «Johanni» regelmäßig ein Update des Herstellers, dann werden auch neue Inhalte aufgespielt. So kann der soziale Roboter jetzt nicht nur Witze erzählen, sondern auch Gedichte aufsagen. Etwa von Christian Morgenstern. Und weil die Heimbewohner von Herrsching gerne in den Gottesdienst gehen, kann «Johanni» inzwischen auch Gebete sprechen. Wahrscheinlich kann man ihn auch so programmieren, dass man sich mit ihm über Ernst Blochs «Prinzip Hoffnung» unterhalten könnte.

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