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  • Verfassungsgericht zu Maja T.

Auslieferung nach Ungarn war rechtswidrig

Bundesverfassungsgericht gibt Beschwerde von Maja T. statt

Ungarn hat zugesagt, die non-binäre Person nach Deutschland zu überstellen – allerdings erst nach einer Verurteilung, damit sie ihre Strafe in Deutschland absitzen kann.
Ungarn hat zugesagt, die non-binäre Person nach Deutschland zu überstellen – allerdings erst nach einer Verurteilung, damit sie ihre Strafe in Deutschland absitzen kann.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Donnerstag der Verfassungsbeschwerde einer nach Ungarn ausgelieferten Antifaschist*in stattgegeben. Die sich als non-binär identifizierende Maja T. war am 28. Juni 2024 nach einem Beschluss des Berliner Kammergerichts im Morgengrauen nach Ungarn ausgeliefert worden. Allerdings hatte das höchste deutsche Gericht die Auslieferung am Vormittag desselben Tages per einstweiliger Anordnung untersagt. Diese Entscheidung wurde nun im Hauptsacheverfahren bestätigt.

Maja T. wird von ungarischen Behörden vorgeworfen, im Februar 2023 gemeinsam mit insgesamt 18 Personen beim sogenannten »Tag der Ehre« vermeintliche oder tatsächliche Sympathisanten der rechtsextremen Szene in Budapest angegriffen zu haben. Der deutschen Staatsangehörigen soll deshalb in Ungarn der Prozess gemacht werden. Sie soll nach dem Willen der dortigen Staatsanwaltschaft für 24 Jahre in »verschärfte Strafhaft« ins Zuchthaus kommen.

Die Übergabe an die ungarischen Behörden war von der sächsischen Polizei, die im sogenannten Budapest-Komplex auf deutscher Seite die Ermittlungen führt, trotz eines Eilantrags von Maja T. beim Bundesverfassungsgericht vollzogen worden. Als Karlsruhe um 10.50 Uhr die Übergabe per einstweiliger Anordnung untersagte, war sie nach einer »Durchlieferung« durch Österreich bereits seit 10 Uhr in ungarischem Gewahrsam. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin informierte das Bundesverfassungsgericht darüber erst zwei Stunden später.

In seiner Entscheidung vom Donnerstag rügte das Bundesverfassungsgericht, dass das Kammergericht in Berlin seiner Pflicht zur vollständigen Aufklärung der Haftbedingungen in Ungarn nicht nachgekommen sei. Das Berliner Gericht habe sich nicht ausreichend mit Berichten über die Situation in den dortigen Gefängnissen auseinandergesetzt, die auf »systemische und allgemeine Mängel« hindeuteten.

Ungarn habe zwar eine Garantieerklärung ausgestellt, dass Maja T. im dortigen Justizsystem gut behandelt werde. Diese Zusicherungen hält das Bundesverfassungsgericht aber für zu unspezifisch, auch habe eine individuelle Gefahrenprognose in Bezug auf die non-binäre Maja T. gefehlt. Zudem hätten die ungarischen Behörden erklärt, dass es kein Register über die Geschlechtsidentität von Gefangenen gebe, was gezielte Schutzmaßnahmen für Betroffene erschwere.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in seinem Beschluss das fortbestehende Rechtsschutzbedürfnis von Maja T., da die Auslieferung einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstelle, der weiterhin fortwirke. Praktische Auswirkungen dürfte der Beschluss zunächst nicht haben: Sie befindet sich weiterhin im Budapester Gefängnis, am 21. Februar beginnt ihr Prozess mit einer ersten Anhörung und der Frage, ob T. die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe im Grundsatz bestätigt und sich auf einen »Deal« mit einem verkürzten Verfahren und 14 Jahren Zuchthaus einlässt.

»Juristisch ist das natürlich ein großer Erfolg, auch wenn die Entscheidung tragischerweise Maja nicht ohne Weiteres aus der Isolationszelle führen wird«, sagt dazu ihr deutscher Anwalt Sven Richwin. »Wir hoffen, dass die ungarischen Behörden jetzt soviel Anstand besitzen, zumindest eine Hafterleichterung durch einen Hausarrest für Maja zu gewähren.« Ungarn habe zugesagt, dass Maja T. zurücküberstellt werde, sagte Richwin außerdem – allerdings erst nach einem Urteil in Budapest. Anschließend könnte sie die Strafe in Deutschland verbüßen.

Der Linke-Europaabgeordnete Martin Schirdewan fordert indes eine unverzügliche Rückführung von Maja T. Allerdings hat die Bundesregierung keinerlei Handhabe, dies vor einem Prozess in einem anderen EU-Staat zu erzwingen. Möglich wäre eine solche Vereinbarung allenfalls auf diplomatischem Weg. Schirdewan appelliert dazu an die zukünftige Bundesregierung sowie die CDU-SPD-Landesregierung in Sachsen und fordert auch Konsequenzen »sowohl personeller als auch institutioneller Art« für Verantwortliche der Blitz-Auslieferung von Maja T. in Deutschland.

Anwalt Richwin sieht in dem Beschluss aus Karlsruhe auch eine »starke Signalwirkung« für die Parallelverfahren von weiteren Beschuldigten im Budapest-Komplex, die aktuell von Auslieferung nach Ungarn bedroht sind. Möglichen Zusicherungen aus Ungarn, in denen rechtsstaatliche Verfahren versprochen werden, könne von deutschen Gerichten »nun nicht mehr fahrlässig ungeprüft gefolgt werden«.

Das betrifft besonders die sieben aus Ungarn gesuchten Antifaschist*innen, die sich vor zwei Wochen deutschen Behörden gestellt haben – unter ihnen ist auch ein Syrer mit Flüchtlingsstatus. Sie fordern ein faires Verfahren für die zum »Tag der Ehre« vorgeworfenen Taten in Deutschland, wie es ab 19. Februar auch im Fall der Nürnbergerin Hanna S. erfolgt. Wegen der Angriffe auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextreme wird ihr vor dem Oberlandesgericht München der Prozess wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung und versuchtem Mord gemacht.

Auch das »Budapest Solidaritätskomitee« (BASC) äußerte sich auf Anfrage des »nd« zu der Entscheidung aus Karlsruhe und kritisiert eine »politische Justiz«. Landesgerichte würden sich »vom politischen Verfolgungseifer« des sächsischen LKA treiben lassen. »Wir fordern nun mehr denn je einen Einsatz deutscher Politik zur sofortigen Rückkehr von Maja nach Deutschland und den Stopp aller Auslieferungen nach Ungarn«, fordert die Soligruppe.

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