»Ohne uns bricht das System zusammen«

In Barcelona hilft Amelia Campos Hausangestellten, selbstbestimmt und würdevoll zu arbeiten

  • Interview: Julia Macher
  • Lesedauer: 6 Min.
Care-Arbeit – »Ohne uns bricht das System zusammen«

Sie engagieren sich für faire Arbeitsbedingungen für spanische Hausangestellte. Warum?

In Spanien werden die Rechte von Frauen, die in Privathaushalten arbeiten, nicht ausreichend anerkannt. Niemand kontrolliert ihre Arbeitszeiten, überprüft ihre Gehälter oder ob sie einen Vertrag haben oder nicht. Dazu kommt, dass die große Mehrheit der Hausangestellten – nach unseren Schätzungen etwa 80 Prozent – keine gültigen Papiere hat. Sie arbeiten schwarz, und das macht sie angreifbar. Das hat zu einer enormen Prekarisierung des Sektors geführt.

Sie selbst stammen aus Mexiko. Waren Sie auch in dieser Lage?

Als ich 2015 mit meinen beiden kleinen Kindern nach Barcelona gekommen bin, blieb mir gar nichts anderes übrig. Das spanische Ausländerrecht lässt uns keine Wahl: Wer ohne Papiere einreist, kann erst nach drei, inzwischen zwei Jahren, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis beantragen. Damals habe ich bei vier bis fünf verschiedenen Familien pro Woche gearbeitet, für sieben bis acht Euro die Stunde. Ich habe psychisch kranke Menschen betreut, alte Leute versorgt, geputzt. Eine sehr harte, anstrengende Arbeit – nicht nur körperlich, auch psychisch: wegen der Menschen, die man betreut, wegen der fehlenden Ausbildung – und wegen der Unregelmäßigkeit. Mal habe ich nur alle 14 Tage gearbeitet, mal 15 Tage am Stück. Dazu kommt fehlende Wertschätzung: Die Ärzte oder Sozialarbeiter, die zum Hausbesuch kommen, ignorieren oft, dass die Person, die sich ganztägig um den Pflegefall kümmert, oft am besten Bescheid weiß.

Interview

Amelia Campos kam als Migran­tin nach Barce­lona und hat lange unter pre­kären Bedin­gun­gen als Haus­ange­stellte gearbeitet. Inzwischen arbeitet sie als Koordi­na­torin des Stadt­teil­vereins Més que cures und setzt sich im Netz­werk Cura Digna für bedarfs­orien­tierte Pflege und faire Arbeits­verhält­nisse ein.

Als was haben Sie in Mexiko gearbeitet?

Ich bin eigentlich Bauingenieurin von Beruf. Das hat manche Arbeitgeber in Spanien unangenehm berührt. Ich habe einige Zeit bei einem Mann gearbeitet, der Hafeningenieur war. Dem war es dann lieber, ich helfe seinen Kindern bei den Hausaufgaben, als dass ich putze. Als ich meine Papiere hatte, hieß es: »Gut, dass Sie das jetzt alles nicht mehr tun müssen.« Aber ich habe geantwortet: »Ich werde weiter putzen, wickeln und so pflegen, dass die Menschen ihre Würde behalten – nur dass ich jetzt eben auch würdevoll arbeiten kann.«

Seit 2020 arbeiten Sie bei Més que Cures (Mehr als Pflege), einer Pflegeinitiative im Stadtviertel Poblesec. Wie kam es dazu?

Als ich mich 2019, damals noch als irreguläre Migrantin, zur Pflegekraft umschulen ließ, hat mir eine Mitschülerin davon erzählt. Sie hat das Projekt gemeinsam mit neun anderen Frauen aus dem Viertel aufgebaut, um hier im Stadtteil Poblesec als selbstständige Unternehmerinnen professionelle Dienstleistungen im Bereich Pflege und Hausarbeit anbieten zu können. Da es dafür eine städtische Subvention gab, konnten sich die Frauen ganz auf ihre Ausbildung konzentrieren. Das war das Geheimnis ihres Erfolgs. Inzwischen arbeiten dort etwa 35 Frauen. Ich koordiniere dort Gemeinschaftsprojekte wie den »Racó de les cures«, den »Pflegewinkel«, wo wir einmal die Woche Gesprächskreise und Workshops für die Frauen anbieten.

Was läuft hier anders?

Sowohl die Pflege- oder Putzkraft als auch die Familie, die ihre Hilfe braucht, unterzeichnen mit uns einen Servicevertrag. Mit der Familie definieren wir, welche Tätigkeiten anfallen, und legen dann mit der Fachkraft die genauen Aufgaben sowie die Arbeits- und Urlaubszeiten fest. Wir wollen mit dieser Logik von »Du bist meine Angestellte und machst, was ich sage« brechen. Unser Modell bezieht beide Seiten gleichermaßen ein: Der Familie garantieren wir, dass sie auch im Krankheits- und Urlaubsfall über eine professionelle Fachkraft verfügt – und der Fachkraft, dass sie gerecht bezahlt wird, sozialversichert ist, Anspruch auf Urlaub, Krankengeld, Fortbildung hat. Beide Parteien zahlen uns dafür eine Monatsgebühr von zehn Euro. Unseren Nutzerinnen und Nutzern klarzumachen, dass dieses System sich auszahlt, ist nicht immer einfach.

Warum?

Viele Frauen sind Schwarzarbeit einfach gewohnt und dazu bereit, auf Sozialversicherung zu verzichten, um ein, zwei Euro mehr zu verdienen. Dabei büßen sie ein Vielfaches an Rechten ein! Ohne Sozialversicherung sind sie ganz auf den guten Willen ihrer Arbeitgeber angewiesen. Ich kenne den Fall einer Frau, die jahrelang einen alten Mann gepflegt hat und an seinem Todestag zu hören bekam: »Tschüss, das war es mit deinem Job.«

Und wie sieht es auf der anderen Seite aus?

Die meisten der 80 Familien, die unseren Service nutzen, verstehen den Ansatz. Ein paar monieren allerdings, dass sie bei uns einen Jahresvertrag unterzeichnen müssen. Aber nur so können wir unseren Fachkräften bezahlten Urlaub garantieren – etwas, was in der Branche leider nicht selbstverständlich ist. Wir hören immer wieder: »Ihr seid so teuer«, vor allem wenn es um Pflege geht. Aber wenn jemand eine 24-Stunden-Betreuung braucht, sind das eben drei Schichten und drei Fachkräfte. Das können sich nur wenige Familien leisten, und genau deswegen profitieren viele von der Existenz irregulärer Migrantinnen. Damit muss Schluss sein: nicht nur in Spanien, nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt.

Die spanische Linkskoalition sagt, sie habe mit der Einführung von Mindestlohn, Arbeitslosen- und Krankengeld sowie Verbesserungen beim Arbeitsschutz schon einiges für die Hausangestellten getan. Stimmt das?

Viele dieser Neuerungen sind erst auf Druck der Europäischen Union zustande gekommen. Aber das Hauptproblem bleibt bestehen: Wir unterliegen weiter einer arbeitsrechtlichen Sonderregelung. Unsere Berufskrankheiten werden immer noch nicht anerkannt, und weil in der Regel die Familie direkt die Fachkraft anstellt, sind Inspektionen so gut wie unmöglich. Und daran wird sich wohl so schnell nichts ändern.

Warum sind Sie sich da so sicher?

Wenn der Staat all diese Dienste übernehmen müsste, die wir als Hausangestellte leisten – für Pflege, für Haushaltsbetreuung –, dann wäre bald kein Geld mehr da. Deswegen hat der Staat auch ein Interesse daran, dass es weiter ein Heer von überwiegend migrantischen, schlecht bezahlten Arbeiterinnen gibt. Ich bin mir sicher, dass das System ohne uns ziemlich schnell zusammenbrechen würde. Und das Problem wird von Jahr zu Jahr größer, denn die Migrantinnen, die heute pflegen, sind selbst überwiegend über 50. Auch sie werden irgendwann Pflege benötigen. Die Weltbevölkerung wird immer älter – und damit die Herausforderung für die Regierungen größer.

Europaweit sind Spanien und Italien die Länder mit den meisten Hausangestellten. Woran liegt das?

Im Mittelmeerraum ist traditionell die Familie für Pflege zuständig – in erster Linie die weiblichen Familienmitglieder. Und heute, wo die meisten Frauen berufstätig sind, hat man die Zuständigkeit in der Familie belassen – mit dem Unterschied, dass die Arbeit jetzt eben von Angestellten erledigt wird. In Ländern wie Dänemark, Frankreich oder Deutschland ist die Pflege viel stärker institutionalisiert. Aber auch in Ländern, wo Pflegeaufgaben stärker in die Verantwortung der Verwaltung fallen, wird nicht genug in diesen Bereich investiert.

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