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Frankreich: Linkes Bündnis in Gefahr
Kommunisten und Grüne versuchen innerhalb der Neuen Volksfront zu vermitteln
Frankreichs Neue Volksfront steht erneut vor einer ernsten Zerreißprobe. Der Grund: Die Sozialisten (PS) stimmten vergangene Woche nicht für den Misstrauensantrag, den La France insoumise (LFI) gegen die Regierung eingebracht hatte.
Viele Kommentatoren sehen darin den Anfang vom Ende dieses linken Parteienbündnisses. Dass die Kommunisten und die Grünen, die an der Volksfront beteiligt sind, zu schlichten und zu vermitteln versuchen, kann an der dramatischen Zuspitzung der Lage kaum etwas ändern. Die Wut vieler LFI-Mitglieder kam deutlich durch Plakate zum Ausdruck, die sofort nach dem Votum auftauchten und auf denen die PS als Verräter bezeichnet und mit dem rechtsextremen Rassemblement National in einen Topf geworfen wurde.
Grüne verurteilen Provokationen
Den marxistischen Historiker Roger Martelli erinnert die aktuelle Situation beklemmend an die 1920er und 1930er Jahre, als die französischen Kommunisten – ferngesteuert durch die Komintern und Stalin – die Sozialisten als Sozial-Faschisten verleumdet und dadurch die Arbeiterbewegung geschwächt haben, was erst 1936 durch die Volksfrontpolitik und die erste linke Regierung korrigiert wurde.
Die Kommunisten gingen nun sofort auf Distanz zu solchen Ausfällen. »Wir verteilen keine Diplome über Verrat oder Seriosität«, sagte ihr Fraktionsvorsitzender André Chassaigne. Die Fraktion der Partei der Grünen, in der auch LFI-Dissidenten sitzen, die sich von Jean-Luc Mélenchon abgewandt haben, verurteilte die Provokationen von Scharfmachern. »Wir wollen vermitteln und eine Linke der Versöhnung sein«, erklärte der Fraktionssprecher Benjamin Lucas. Beobachter schätzen ein, dass der gleich große Abstand einerseits zur PS und andererseits zu LFI für die Grünen eine Art Ersatz für ein fehlendes politisches Programm ist.
Sozialisten werben für Verständnis
Vor dem Misstrauensantrag hatte es in der Grünen-Fraktion eine heftige Diskussion darüber gegeben, ob ein Votum gegen die Regierung nicht zu viel Unterordnung unter die radikale Linie von La France insoumise darstelle. Schließlich stimmten 37 von 38 Abgeordneten für den Antrag. Dass sie die Sozialisten nicht für deren Haltung verurteilten, soll aus ihrer Sicht der Beweis für ein Gegengewicht sein.
Die Sozialisten ihrerseits werben bei ihren Partnern der Volksfront für Verständnis. Die Ablehnung des Misstrauensantrages sei keinesfalls ein Bekenntnis zur Regierung Bayrou und deren Politik. Der Haushalt, der nun angenommen wurde, sei zwar »einer der schlechtesten in der Geschichte der Fünften Republik«, heißt es in einer PS-Erklärung. Doch das sei immer noch besser als gar kein Budget und als eine handlungsunfähige Regierung. Ständig nur alle Koalitionsangebote und Kompromissversuche abzulehnen, sei keine politische Alternative und helfe nicht, aus der Sackgasse herauszufinden und das Land wieder regierbar zu machen.
Angst vor Le Pen als neuer Präsidentin
Die sozialistischen Abgeordneten lehnen zusätzlich die LFI-Taktik ab, nicht nur Neuwahlen zu erzwingen, sondern auch noch die Amtsenthebung von Präsident Emmanuel Macron. Sie sind sich sicher, dass sich die Politiker von LFI gründlich verrechnet habt, wenn sie auf eine neue Chance für Jean-Luc Mélenchon hoffen, endlich als linker Präsident ins Elysée einzuziehen. Vielmehr werden sie genau das Gegenteil erreichen, glauben die Sozialisten. Sie sind überzeugt, dass die Taktik von LFI nur dazu führt, dass Marine Le Pen früher als bisher geglaubt das höchste Amt erobern kann und dass bei den nachfolgenden Parlamentswahlen das Rassemblement National an die Schalthebel der Macht gelangt.
Was die Sozialisten nicht öffentlich diskutieren, was aber zweifellos ihr Handeln mitbestimmt, ist das Bestreben, die PS wieder zu einer regierungsfähigen Partei zu machen. Dafür will die Rumpf-PS unter dem Parteivorsitzenden Olivier Faure, die seit Juni 2024 in der Volksfront mitgearbeitet hat, die Sozialisten zurückgewinnen, die der Ex-Präsident François Hollande repräsentiert.
Diese haben das linke Parteienbündnis wegen der Unterordnung unter La France insoumise und deren Strategie der bedingungslosen Ablehnung von Macron, seiner Regierung und seiner Politik verurteilt. Zurückgewinnen will man aber auch die Politiker des linken Flügels des Regierungslagers, die 2017 von der PS kommend sich dem damaligen Hoffnungsträger Emmanuel Macron angeschlossen hatten und die nach dem Ende seiner Amtszeit parteipolitisch heimatlos dastehen werden.
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