Der Gipfel zum KI-Hype

Staatschefs, Konzernbosse und Wissenschaftler beraten in Paris über Chancen und Risiken der boomenden Technologie

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lässt sich beim Finale des Bundeswettbewerbs Künstliche Intelligenz ein Projekt zeigen, bei dem ein Roboter Tischtennisbälle erkennt und einsammelt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lässt sich beim Finale des Bundeswettbewerbs Künstliche Intelligenz ein Projekt zeigen, bei dem ein Roboter Tischtennisbälle erkennt und einsammelt.

Die Publicis-Gruppe ist ein multinationaler Werbedienstleister und mit einem Umsatz von 15 Milliarden Euro sowie über 100 000 Mitarbeitern ein Gigant der Branche. Vor wenigen Tagen stellte das Unternehmen mit Sitz in Paris eine eigens entwickelte KI vor, die die Risiken von Greenwashing bei Werbeversprechen schneller erkennen und vermeiden soll. Das Tool überprüft Texte und Bilder auf Nachhaltigkeitsbehauptungen und spuckt aus, wo Fakten fehlen. Antreiber sind recht strenge rechtliche Vorschriften in Frankreich und die geplante Green-Claims-Richtlinie der EU.

Um Projekte wie diese dreht sich eine seit Donnerstag laufende Veranstaltungswoche zum rasant wachsenden Bereich Künstliche Intelligenz (KI) in der französischen Hauptstadt. Sie findet anlässlich des an diesem Montag startenden »Aktionsgipfels zur Künstlichen Intelligenz« statt, der von Frankreich und Indien ausgerichtet wird. Zu dem zweitägigen Treffen werden zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie Konzernbosse etwa von Open AI und Google in Paris erwartet. Auch US-Vizepräsident J.D. Vance hat sein Kommen angekündigt. Dabei sollen gemeinsame wissenschaftliche Grundlagen, Lösungen und Standards für eine dem Fortschritt und Gemeinwohl dienende KI erarbeitet werden, wie die Gastgeber schreiben. Diese »disruptive« Technologie eröffne beispiellose Möglichkeiten, die Schlüsselbereiche wie Gesundheit, Bildung, Beschäftigung und Innovation revolutionieren könnten. Bei den Gipfeln, die seit 2023 halbjährlich stattfinden, geht es vor allem darum, eine gemeinsame Basis für die Sicherheit und Regulierung insbesondere von fortgeschrittenen KI-Systemen zu finden.

Frankreich will die Veranstaltung auch als Schaufenster für eigene Unternehmen nutzen. Das Land gilt als führend in Europa: Nach Angaben des Verbands France Digital gibt es dort über 750 KI-Startups, die 35 000 Arbeitsplätze geschaffen haben und »in allen Bereichen tätig sind, die die heutige Gesellschaft transformieren«. Laut Digitalministerin Clara Chappaz arbeiten zudem 2000 Wissenschaftler und 600 Doktoranden an der KI-Forschung. Zudem konnten französische Start-ups allein im vergangenen Jahr acht Milliarden US-Dollar an Investitionen anziehen. Pünktlich zum Gipfel unterzeichnete man einen Großdeal: Die Vereinigten Arabischen Emirate wollen in Frankreich mehrere Milliarden Euro für den Bau eines gigantischen neuen Rechenzentrums für KI investieren. Das Zentrum werde das Herzstück eines neuen »KI-Campus« sein, erklärte der Elysée am Donnerstag. Präsident Emmanuel Macron und sein Amtskollege aus den Emiraten, Scheich Mohammed bin Sajed al-Nahjan, unterzeichneten am Donnerstag ein entsprechendes Abkommen.

In Frankreich sorgt der Staat für gute Rahmenbedingungen für Start-ups und setzt dabei auch auf eine starke Regulierung. Anders als in den USA, wo mächtige Digitalkonzerne das Geschäft vorantreiben und die neue Regierung die ohnehin schwachen Regeln für den Bereich gestrichen hat. Zudem will man den Sektor dort mit 500 Milliarden US-Dollar fördern – es geht also um völlig andere Dimensionen. Gleichzeitig holt nun China technologisch auf, wo der Chatbot Deepseek neue Maßstäbe bei Kosten- und Energieeffizienz setzt, was kürzlich für Turbulenzen an den US-Börsen sorgte.

Europa hinkt zunehmend hinterher. Vielversprechende Start-ups werden nicht selten von Konzernen aus den USA aufgekauft oder wandern dorthin aus. Kurz vor dem Gipfel floppte zudem ein französischer Chatbot, der als europäische Konkurrenz zu ChatGPT und Deepseek angekündigt worden war: »Lucie« ließ sich nicht nur über Kuheier als nahrhaftes Lebensmittel aus, sondern gab auch eine weitere erstaunliche Erkenntnis zum Besten: »Die Quadratwurzel aus einer Ziege ist eins.« Bereits nach wenigen Stunden ging »Lucie« wieder offline.

Auch schlugen deutsche und französische Gründerverbände nach dem Deepseek-Schock Alarm: Angesichts massiver Investitionen in den USA und innovativer Durchbrüche in China sei »dringendes Handeln nötig, um Europas technologische Souveränität zu sichern«, heißt es in einem gemeinsamen Aufruf. Die Verbände fordern mehr Kapital von Großinvestoren und den Einsatz von mehr KI im öffentlichen Sektor. »Das globale Wettrennen um die Führungsrolle bei Künstlicher Intelligenz beschleunigt sich«, sagt Verena Pausder, Vorsitzende des deutschen Startup-Verbands. Wenn Europa vereint und entschlossen auftrete, könne es mithalten. »Unsere Stärke liegt in unseren Talenten, unserer Weltklasse-Forschung und dem Potenzial unseres integrierten Marktes.«

Jenseits der Konkurrenz-Frage dreht sich in Paris vieles um die Risiken, die mit dem KI-Boom verbunden sind. In Paris wurde der erste internationale KI-Sicherheitsbericht vorgestellt, an dem rund 100 Forscher aus rund 30 Ländern mitgearbeitet haben. Sie warnen vor einem »Kontrollverlust« mit dramatischen Folgen. Neben bereits bekannten Gefahren wie falschen und irreführenden Inhalten gebe es immer mehr Beweise für »zusätzliche Risiken wie biologische Angriffe oder Cyberattacken«, sagte Yoshua Bengio, Computerwissenschaftler an der Universität von Montréal, am Donnerstag bei der Vorstellung. Angesichts der Risiken und der rasanten Entwicklung im Wettbewerb zwischen Technologieriesen forderte Bengio eine strengere internationale Regulierung von KI und mehr Forschung zum Thema Sicherheit. Hierhin gehe derzeit nur »ein Bruchteil« der massiven Investitionen. »Ich weiß nicht, wie wir da ohne staatliches Eingreifen durchkommen sollen«, sagte der IT-Experte. Es brauche weltweite Zusammenarbeit und ein gemeinsames Verständnis für die Risiken.

Das richtet sich an die neue US-Regierung, die sich von solchen Bestrebungen isoliert und die Gefahr verschärft, dass sich Macht in den Händen einer begrenzten Anzahl von Privatunternehmen konzentriert. Es klingt wie eine Mahnung Richtung Washington, wenn die Gastgeber des Gipfels schreiben: »Mit dem rasch zunehmenden Einsatz von KI gehen bedeutende Herausforderungen einher – insbesondere in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Informationen, den Schutz der Grundrechte und die Zugänglichkeit. Es liegt demnach in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, das Gleichgewicht unserer Gesellschaften zu wahren und eine KI zu gestalten, die die universellen Werte achtet.«

Aus der Zivilgesellschaft kommen zudem Forderungen, gemeinwohlorientierte digitale Infrastrukturen aufzubauen und zu fördern. Wichtig seien massive Investitionen in freie und Open-Source-Software, wie es in einem Forderungskatalog des Bündnisses Bits & Bäume zur Bundestagswahl heißt. Zwölf Organisationen aus Umwelt- und Klimaschutz, Digitalpolitik, Arbeit, Entwicklungspolitik und Wissenschaft kritisieren darin zudem, dass der Großteil der digitalen Technologien und Dienstleistungen in Europa von großen Tech-Konzernen betrieben wird. Diese entzögen sich häufig einer demokratischen Kontrolle und gefährdeten somit Demokratie und Souveränität.

Zu einem Gutteil besteht der KI-Hype aber auch aus schlicht überflüssigen Dingen. Mit Blick auf die Anti-Greenwashing-KI von Publicis kommentiert das Fachportal absatzwirtschaft.de: »Dass die Werbebranche nun auf eine Technologie setzt, um sich selbst zu kontrollieren, klingt ein bisschen nach Absolution durch Eigenregie. Böse Zungen könnten nun behaupten: Die Werbebranche hat keinen Algorithmus gebraucht, um glaubwürdig zu sein – sie hätte auch einfach ehrlich sein können.«

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