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Haltung als Selbstzweck
Christoph Ruf über zweierlei Art von Haltung in Politik und Medien: ideologische Inszenierung und glaubwürdige Konsequenz
Kürzlich las ich, wie der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki die Ampel-Jahre seit Ende 2021 empfunden hat: Jede Sachfrage habe in der Dreierkoalition mit Grünen und Roten zu erbitterten grundsätzlichen Diskussionen über individuelle »Haltungen« geführt. Kubicki fand das nervtötend. Und ich fürchte, ich weiß, was er meint. Dabei war mir der Machtpragmatismus von Konservativen und Liberalen nie sympathisch: die Reihen fest geschlossen, Stimmkarte heben, wenn der Vorsitzende das einfordert.
Zum Problem wird eine Haltung aber dann, wenn sie zum Selbstzweck wird, lautstark vorgetragen zum Zecke der Eigeninszenierung, die seltsam folgenlos bleibt. Vieles wäre einem erspart geblieben, wenn über den Inhalt von Ampel-Gesetzen auch in der Tiefe diskutiert worden wäre, so ausführlich wie über deren Ausformulierung. Zumal es die Leute merken, wenn das Hysterisieren vor allem von lebensweltlichen Fragen mit maximalem Opportunismus einhergeht. Ferda Ataman, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, die jede zweite Redaktion mit in Erlöser*innenpose vorgetragenen Formulierungs- und Verhaltensregeln beglückte, war zuvor unter anderem Redenschreiberin des CDU-Politikers Armin Laschet.
Rote und Grüne, die derzeit keine Formulierung zu drastisch finden, um Friedrich Merz als Steigbügelhalter des Faschismus darzustellen, werden sich ab dem 23. Februar um 18 Uhr darum streiten, wer der billigere Jakob ist, um unter eben diesem Merz ein paar Posten abzubekommen. So viel Pathos wie im Ampel-Koalitionsvertrag war selten – eine Politik, die daraus abzuleiten gewesen wäre, wurde leider vertagt.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Wenn Die Linke gerade im Aufwand ist, dann hat das mit ihrer Social-Media-Strategie und einer konsequenten und glaubwürdigen Haltung zum Thema Migration zu tun. Es hat aber auch damit zu tun, dass sie (mit dem BSW) die einzige Partei ist, die verstanden hat, dass eine gute Sozial- und Bildungspolitik immer noch die wirksamste antifaschistische Politik ist. Das ist etwas anderes als bei der deutschen Sozialdemokratie, die alle vier Jahre vor der Wahl ihre Klassiker herausholt und ernsthaft zu glauben scheint, dass keiner merkt, wer die letzten 27 Jahre fast durchgehend an der Regierung war.
Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Wie viele andere Journalistinnen und Journalisten habe ich mir in den vergangenen Jahren den Mund fusselig geredet, um gegen eine Stimmung anzugehen, die wohl jeder mitbekommt, der nicht festangestellt in der Redaktion einer Polit-Talkshow sitzt. Der Vertrauensverlust gegenüber Qualitätszeitungen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist erschreckend weit verbreitet. Und zu großen Teilen herbeigeschwurbelt.
Umso mehr bin ich auf 180, wenn beispielsweise in einem TV-Talk eine Grafik, die die Tatsache illustrieren soll, dass 57 Prozent der Befragten eine schärfere Migrationspolitik wollen, mit zwei Balken illustriert wird, von denen der 33-Prozent-Balken (derer, die mit Nein antworteten) fast so lang wie der 57-er ist. Werte Kollegen: Schön, dass ihr Haltung bewiesen habt; bedauerlich, dass davon nur die Partei profitiert, die ihr angeblich bekämpfen wollt. Noch bedauerlicher, dass ihr mit solchen Manipulationen einen ganzen Berufsstand in Misskredit bringt.
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