Eher ein Gefühl

Beim »Inhalte überwinden« vorne dabei: Bernd Stegemann will zeigen, »wie grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern«

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 6 Min.
Naturaufnahme mit Robert Habeck, ausnahmsweise ist nichts grün.
Naturaufnahme mit Robert Habeck, ausnahmsweise ist nichts grün.

Ein Mensch. Ein Wort», so lächelt einem Robert Habeck im Bundestagswahlkampf lässig entgegen. «Den Bach rauf» (so der Titel seines neuesten Buches) wie ein Lachs zum Laichen bewegt der Grünen-Politiker sich von der Küchentischpsychologie zur Küchentischpolitik: «Kanzler werden, Mensch bleiben.» Auch die sonstigen Botschaften der Grünen menscheln gefühlig-gemütlich: «zusammen» und «Zuversicht». Beim «Inhalte überwinden» (wie früher die Partei «Die Partei» plakatierte) sind die Grünen – ihrem alten Slogan «Nicht links, nicht rechts, sondern vorn» folgend – ganz vorne dabei. Man sonnt sich im spätabsolutistischen Glanz: «Der Start sind wir», hieß es beim Bundesparteitag.

«Grün ist eher ein Gefühl als eine Politik», sagte einmal der linke Journalist Friedrich Küppersbusch, der für seine bissigen und witzigen Kommentare zum politischen Geschehen bekannt ist. Doch welche Politik steckt hinter den Emo-Botschaften? Bernd Stegemann, der jahrelang als Theaterdramaturg (zuletzt am Berliner Ensemble) gearbeitet hat und an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst «Ernst Busch» unterrichtet, nimmt in seinem neuesten Buch die Grünen auseinander. Vom Theater weiß er, dass Authentizität («Mensch bleiben») der Effekt einer Inszenierung ist. Von Systemtheorie und Marxismus beeinflusst weiß er zudem, dass solche Inszenierungen handfeste Interessen verschleiern.

«In falschen Händen. Wie grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern» ist eine ideologiekritische Streitschrift. Den Grünen von heute hält Stegemann nicht einfach eine idealisierte Vergangenheit entgegen, sondern kritisiert direkt ihren derzeitigen progressiven Neoliberalismus. Stegemann argumentiert, dass die Grünen daran gescheitert sind, ein wirklich ökologisches Denken im Politischen zu etablieren. Gemeint ist damit ein Denken, das der außermenschlichen Dimension der Ökologie gerecht wird und das zugleich für die im Zwischenmenschlichen stattfindende Politik übersetzt. Kurz gesagt: Ein erweitertes Weltbewusstsein, das die politischen Kategorien und Institutionen auf die Probe stellt.

Weil die Grünen bei ihrem Auftrag, ein handlungsfähiges ökologisches Bewusstsein zu schaffen, versagt haben, existiert nur eine Schwundform: Ökologie als politische Ideologie. Die Form dieser Ideologie nennt Stegemann «Ich-Zentrierung». Es geht nicht um Welt-, sondern um Ich-Verhältnisse. Um moralisierende Signale statt Systemveränderung. Um Klassendünkel statt klassenübergreifende Bündnisse. «Die Grünen sind die Partei des neuen Individualismus und nicht der ökologischen Wende», schreibt Stegemann. Nur ist der neue Individualismus – mit all seinen virtuosen High-Performer-Selbstoptimierungstechniken, die zur «Professional Managerial Class» gehören – eben kein wirklicher Individualismus.

Stegemann folgt dem Soziologen Andreas Reckwitz («Die Gesellschaft der Singularitäten»), für den der konformistische Individualismus die hegemoniale politische Form der «neuen Mittelklasse» ist. Stegemann nennt sie auch «kreative Klasse». Der Trick dieser Klasse sei, das moralisch optimierte Selbst zum Subjekt der Geschichte zu machen. So präsentierten sich die Grünen einerseits als «postideologisch» («Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit») und andererseits als «Moralprediger der Nation». Stegemann nennt das einen «moralischen Populismus», der sich gegen Kritik immunisiert. Man nennt sich selbst vernünftig und demokratisch, allen anderen wird dieses Edelprädikat pauschal entzogen.

Die kommunikative Doppelstrategie der Grünen erinnert an eine Fußballmannschaft, die zugleich den Schiedsrichter stellt – und das als zwingend notwendige pädagogische Maßnahme rechtfertigt. So fantasieren die Historikerin Hedwig Richter und der «Zeit»-Journalist Bernd Ulrich in ihrem vieldiskutierten Buch «Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit» (Kant und Lenin werden in Titel und Inhalt gleichermaßen erniedrigt) von einer Selbstermächtigung grüner Eliten im Dienste eines höheren Guten – ein Paradebeispiel für Stegemanns These. Er schreibt dazu: «Grüne vertreten nicht die Umwelt, sondern den Innenweltraum ihres Milieus.»

«Angstkommunikation» und «Reinheitsfantasien» bestimmen für Stegemann den grünen Tonfall. Das lässt sich, von «Zero Covid» bis «Zero Russland», bestätigen. Oder auch beim Kampf gegen «Desinformation», «Hass und Hetze», ob mit Strafanzeigen oder jetzt neu mit einer «Netzfeuerwehr». Und auch der Ruf «Follow the Science!» zeugt vom diskreten Charme der Expertokratie: «Follow our experts!» Stegemann reißt nur an, wie dieser Politikstil (den es nicht nur, aber idealtypisch bei den Grünen gibt) mit kybernetischer Bevölkerungskontrolle und Notstandsregime kokettiert, wie auch die kürzlich erschienene linksradikale Broschüre «Zeit der Ökologie. Das neue Akkumulationsregime» argumentiert.

Was bei Stegemann außen vor bleibt (seine Argumentation allerdings unterstützt), ist die wirtschaftspolitische Wende der Grünen. Von Demokratisierung ist keine Rede mehr, stattdessen wird die sozial-ökologische Kriegswirtschaft forciert, wie es Ulrike Hermann in ihrem Bestseller «Das Ende des Kapitalismus» vorgedacht hat. Grinsekanzler Habeck ist inzwischen mit der Forderung nach 3,5 Prozent Militärausgaben nach vorne geprescht (gemeint sind 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das sind beim heutigen Stand ungefähr 150 Milliarden Euro pro Jahr, also 25 Prozent des Bundeshaushalts). Ist das noch öko? Was Stegemann hingegen aufgreift, ist das Versagen der Grünen in der Landwirtschaft wie beim Tierwohl.

Hätte die frühe Arbeiterbewegung gedacht und gehandelt wie die Grünen heute in Fragen der Ökologie, wäre außer ein bisschen Charity der «Upper Classes» nichts gewesen, so Stegemann. Sein Hauptargument ist, dass die Grünen inzwischen so sehr auf den neoliberalen Individualismus vereidigt sind, dass sie einem wahrhaft ökologischen Denken sogar im Wege stehen. In Stegemanns Worten: «Der grüne Individualismus macht aus der Ökologie ein Diskursereignis, mit dem in den akademischen Distinktionskämpfen moralische Pluspunkte gesammelt werden können. Und er macht aus dem ökologischen Denken ein sentimentales Gefühl, das dem Ich zur Selbsterhöhung dient.» Mehr nicht.

Wer von Ideologiekritik nicht unberührt ist, weiß schon, dass nicht nur die Grünen ihre Klasseninteressen mit einem höheren Gut bemänteln. Statt Ökologie und Demokratie kann man sich auch auf Freiheit, Wirtschaft oder Nation beziehen. Für Stegemann werden so nicht nur Interessen verschleiert, sondern auch Ressentiments ausgedrückt, wie er etwas sehr schematisch skizziert: «Die Linken verachten nach oben. Die Rechten verachten nach außen. Die Grünen verachten nach unten.» Soll heißen: Statt der Macht der Konzerne wird die einfache Bevölkerung von den Grünen als – schwer erziehbares – Hindernis ihrer Politik behandelt. Bereits in der Coronakrise zeigte sich, wie heftig diese Verkehrung sein kann.

Wer wissen will, was hinter dem aufdringlichen Dauerlächeln von Habeck oder den simplen Mensch-Botschaften der grünen Wahlplakate steckt, sollte Stegemanns Buch lesen. Es erklärt nachvollziehbar, wie die grüne Partei heute Politik macht und weshalb das noch nicht einmal mehr mit dem Markenkern der Ökologie etwas zu tun hat. Und man versteht auch, warum die Grünen so viel Ablehnung auf sich ziehen. Die Wut speist sich nicht nur aus Ressentiments, sondern reagiert – wie auch der sehr lesenswerte Soziologie-Bestseller «Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft» von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser zeigt – auf den verdeckten Klassenkonflikt im «Menschlichen, Übermenschlichen» der grünen Milieupartei.

Bernd Stegemann: In falschen Händen. Wie Grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern. Westend-Verlag, 176 S., br. 18 €.

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