Versicherer im Fokus der Finanzaufsicht

Die Branche erwartet ein Beitragswachstum von fünf Prozent auf 250 Milliarden Euro

Konzept eines Gesamtpaketes an Versicherungen
Konzept eines Gesamtpaketes an Versicherungen

Die deutsche Versicherungswirtschaft blickt auf ein besonders erfolgreiches Jahr zurück. 2024 verzeichnete sie einen Beitragszuwachs von 5,3 Prozent auf die Rekordsumme von 238 Milliarden Euro. Die Branche habe drei schwierige Jahre hinter sich, sagte Präsident Norbert Rollinger am Donnerstag im Online-Mediengespräch des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin. »Die Talsohle scheint nun überwunden.«

Die Branche ist dennoch ins Visier der Bundesfinanzaufsicht Bafin geraten. Anfang des Jahres schreckte die Insolvenz des Start-ups Element Insurance in Berlin auf. 400 000 Kunden sind laut Bafin betroffen. Im zurückliegenden Jahrzehnt waren Dutzende neue digitale Versicherer auf dem Markt aufgetaucht. Mittlerweile haben sich ihre Reihen gelichtet. Auch Werbung über Google kostet eben viel Geld, die überwiegend junge Kundschaft ist besonders preissensibel und wechselwillig. Und anders als bei klassischen Versicherern mit langer Tradition und Millionenkundschaft ist die Kapitaldecke der Start-ups dünn. Element war hauptsächlich vom Versorgungswerk der Zahnärzte in der Hauptstadt finanziert worden.

Doch während Element-Kunden wohl vom Netzwerk der Branche aufgefangen werden, dürfte die Altersvorsorge der Zahnärzte Schrammen davontragen. Anders liegt der Fall bei FWU Life. Die Luxemburger Finanzaufsicht CAA hat den Lebensversicherer »liquidiert«. Das »Versicherungsjournal« beziffert die Zahl der Betroffenen auf 285 000, die meisten davon dürften in Deutschland leben.

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Aber auch etablierte Versicherungskonzerne sind gefährdet. So belastet der Zusammenbruch des Immobilienimperiums von René Benko die Renditen seiner Kapitalanlagen. Und da Versicherer auch direkt und an Banken vorbei Kredite an Firmen vergeben, sorgt sich die Bafin zudem um die steigende Zahl an Unternehmensinsolvenzen. Insgesamt habe sich das deutsche Finanzsystem im Jahr 2024 zwar als stabil erwiesen, so Bafin-Präsident Mark Branson kürzlich, aber 2025 dürfte »noch herausfordernder werden«. So könnten ökonomische Risiken die Anlageportfolios noch stärker belasten als bisher. Die Kapitalanlagen der Versicherungswirtschaft betragen rund zwei Billionen Euro.

»Hinzu kommen die zunehmende politische Unsicherheit und die Tendenz, dass sich geopolitische Spannungen und Konflikte immer mehr in den digitalen Raum verlagern«, mahnt Branson. Cyber-Angriffe könnten die Finanzstabilität bedrohen. Auch weil Finanzdienstleister IT-Dienstleistungen mehr und mehr auslagerten – und zwar auf wenige Anbieter. »Es entstehen riskante Abhängigkeiten und Konzentrationen.«

Auch GDV-Präsident Rollinger, im Hauptberuf Chef der genossenschaftlichen R+V Versicherung, wies auf den ungenügenden Schutz der Wirtschaft vor Cyberangriffen hin. Gleichzeitig seien Versicherer zurückhaltend bei der Zeichnung neuer Verträge, weil eine »Cyber-Pandemie« zu unübersehbaren Schäden führen könnte. Die Versicherer streben hier eine gemeinsame Versicherungslösung mit der künftigen Bundesregierung an. Ähnlich wie bei der Terrorversicherung Extremus könnte der Staat einen Großteil der Risiken finanziell absichern.

Neben der Schaden- und Unfallversicherung bilden Lebensversicherungen den größten Block. 2024 wurden 94 Milliarden Euro an Beiträgen verbucht, ein Plus von 2,6 Prozent. Trotz Kritik von der Bafin im Sommer: Lebensversicherer müssten den Kundennutzen ihrer Produkte stärker in den Fokus nehmen und den Absicherungsbedürfnissen und Renditeerwartungen der Verbraucher gerecht werden. »Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber leider nicht«, kritisierte Bafin-Direktorin Julia Wiens kürzlich erneut.

Im Fokus liegen insbesondere hohe Kosten für Verwaltung und Vertrieb. Die Effektivkosten – sie geben an, wie stark die jährliche Rendite durch die Kosten gemindert wird – lagen teilweise bei vier Prozent oder mehr. Unternehmen müssten also mit den dazugehörigen Kapitalanlagen eine Rendite mindestens in derselben Höhe erwirtschaften, damit die Kundschaft überhaupt davon profitiert.

Besorgniserregend seien auch hohe Stornoquoten. Das Schlusslicht bildet hier die Targo-Lebensversicherung. Ihr wurden innerhalb eines Jahres 8,98 Prozent aller Verträge gekündigt. Die niedrigste Stornoquote weist laut »Map-Report« Delta Direkt mit 0,64 Prozent aus. Die Stornoquote gilt als wesentlicher Indikator für die Qualität und Stabilität eines Lebensversicherers. Verbraucher sollten daher vor dem Abschluss wichtiger Verträge auf unabhängige Institutionen wie Verbraucherzentrale, Stiftung Warentest oder Finanztip zurückgreifen. Für 2025 erwartet GDV-Präsident Rollinger übrigens ein Beitragsplus von fünf Prozent auf 250 Milliarden Euro.

Die Versicherer streben bei der Cyber-Kriminalität eine gemeinsame Lösung mit der künftigen Bundesregierung an.

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